50 Jahre ROTE ARMEE FRAKTION – Raushole von Andreas Baader 14.05.1970

Es gibt wenig Liebe für die „idealistischen Widerständler“, die in den Jahren des Kalten Krieges zwischen 1970 – 1990, und danach bis zur Selbstauflösung 1998 gegen die „gute“ Bundesrepublik Deutschland gekämpft haben. Wundert niemanden wirklich, oder? Anlässlich der 50. Wiederkehr des Urknalls der RAF ein paar ergänzende Gedanken . . .

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Der Unterschied zwischen Rechten und Linken: Die Nazis hatten mit Unterstützung des konservativen Bürgertums 1933 die Macht erlangt, die Rote Armee Fraktion dagegen bedrohte 1970 mit ihrer bloßen Existenz das konservative Bürgertum. Denn Faschisten gehörten und gehören zur Bourgeoisie. (Wer sich die „Wirtschaftsprogramme“ der Ultrarechten von heute anschaut, erkennt dies sofort.) Hingegen Sozialisten, erst recht Kommunisten, die natürlichen Feinde des Bürgertums sind und nur Schabernack wie Umverteilung oder gar Enteignung von Privatvermögen im Sinn haben.

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Die RAF war eine radikalisierte Minderheit, die mit Gewalt gegen Einrichtungen und Repräsentanten des von ihnen verhassten Systems einen politischen Wandel erzwingen wollte. Sie entwickelte sich aus der Jugendrevolte und der Studentenbewegung Ende der 1960er Jahre, und blieb immer nur eine kleine Gruppe: Gingen zu Anfang 5-7 Leute in den Untergrund, waren es zur Hochphase, kurz vor dem Abgang von Baader, Ensslin und Raspe 1977, vielleicht ganze 45 Personen. In der Folge lag ihre Anzahl entweder im unteren zweistelligen oder gar im einstelligen Bereich.

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GEDANKENSPIEL 1: Selbst wenn im konsumberauschten West-Deutschland 1970 ein größerer Anteil der Bevölkerung – ohne unbedingt das gewählte Mittel des bewaffneten Widerstandes zu befürworten – den Zielen der RAF zugeneigt gewesen wäre, hätte das im Ergebnis keine Veränderung der Verhältnisse zur Folge gehabt, sondern nur ein noch konsequenteres Eingraben der Staatsorgane und eine radikalere Bekämpfung.

Beispiel Italien: Hier versetzte eine mögliche Beteiligung der Kommunisten an der Regierung die Mächtigen in Angst und Schrecken. In der Folge betrieb die bürgerlich faschistische Rechte im Staat mit breiter Unterstützung der katholischen Kirche brutalsten Terror von rechts – gegen den die linken Terroristen beinahe Waisenknaben waren. Stichworte: Bleierne Jahre und Strategie der Spannung.

Folgen der Klimaaufheizung: Fiese Terrorattacke auf unschuldige Spießbürger am Isar-Ufer

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Hatte die RAF die tatsächliche Situation und das revolutionäre Potenzial in der BRD falsch eingeschätzt? Gut möglich, sie sahen für sich jedenfalls keinen anderen Ausweg, was zwangsläufig bedeutete, die Revolutionäre glaubten (oder hofften) sich ihre Voraussetzungen selbst schaffen zu können.

Schauen wir uns die politischen Ziele ihrer Erklärung von 1971 an: Kampf dem Monopolkapitalismus und Entfesseln einer Revolution, mit allem was daraus erfolgt. Das ferne Endziel (vage formuliert, da der Fokus auf den Nahzielen lag) lautete, eine von kapitalistischer Knechtschaft und Ausbeutung befreite Menschheit, die Erfüllung der Utopie des Kommunismus, eine Welt, in der alle nach ihren Fähigkeiten und Bedürfnissen leben können. Schön naiv, nicht wahr?

Wenn eine Bevölkerung schon den Nahzielen nicht folgt, gewinnt sie fernen Endzielen noch viel weniger ab. In einem derartigen Klima schafft sich kein Revolutionär seine Voraussetzungen.

N.B. Der Staatskapitalismus des Ostblocks galt gesellschaftlich der RAF nicht als Vorbild, auch wenn der UDSSR und ihren Satelliten bescheinigt wurden, sich auf dem „richtigen Weg“ zu befinden.

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Der ideologisch von den wirtschaftlichen Annehmlichkeiten des Kapitalismus „umerzogenen“ Bevölkerung in West-Deutschland konnte die RAF mit den vorgenannten „Versprechungen“ also nicht beikommen. Dem Westler war nur der realexistierende Sozialismus (Breschnew) bekannt, eine andere Form nicht vorstellbar. Wer wie ich Verwandte in der DDR hatte, durfte sich spätestens mit der Reisemöglichkeit (als Folge des Grundlagenvertrags von 1971 zwischen Bonn und Ostberlin) ein eigenes Bild vom glorreichen Osten, dem Paradies der Arbeiter und Bauern machen. Natürlich um rein wissenschaftlich den beliebten Totschlagspruch der Alten „geh doch rüber, wenn’s dir hier nicht passt“ ad absurdum zu führen. Drüben umarmte einen dann die sehr ernüchternde Realität, gepaart mit der Erkenntnis: Lieber im „Scheißwesten“ in ideologischen Widersprüchen leben als im stalinistisch geprägten, materialistisch darbenden, unfreien „Scheißosten“. Die persönliche (Konsumenten-)Freiheit hatte auf einmal vieles für sich.

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Schließanlage von Stammheim 1976

Die Mehrheit der Bevölkerung teilte die Ziele der RAF also nicht, die Mittel teilten sie erst recht nicht, die Protest-Linke, von der selbsternannten Elite als „Arschgeigen, Feiglinge, Trittbrettfahrer etc.“ tituliert, hatten weder Bock sich einem „Geistesgestörten“ wie Andreas Baader und seiner Stadt-Guerilla-Kampftruppe anzuschließen, noch ihnen sich als politischer Arm anzudienen. Die Ablehnung war reziprok. Ein zusätzliches Indiz für die Selbstisolierung der RAF, ungeachtet ihres Sympathisantenkreises. Meinhof war vielleicht die intellektuelle, Außenseiter Baader aber die zentrale Figur, um die sich alle scharten. Seine Befreiung am 14.05.1970 hatte die Gründung der Roten Armee Fraktion und alles, was anschließend daraus resultierte, erst ausgelöst. Ohne Baaders Energie wäre wohl wenig davon geschehen, hätte es keine RAF in der Form gegeben.

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Baader starb 1977 von eigener Hand, wie auch Ensslin und Raspe. Die Gründe mögen vielfältig sein. Einer erscheint mir bedeutend: Der emotional entwurzelte Baader erlebte in den Phantasiewelten der Spätwestern und Gangsterfilme der Jahre 1965 – 72 jene Helden, die ihm als Anführer einen kompromisslosen Weg zum Mythos wiesen. Er war der dominanteste Charakter und damit sicherlich „der Gleichste unter den Gleichen“ der Kampfgefährten. Möglicherweise brauchte er nicht einmal die Krücke Kino. Vielleicht reichte der Weg und das Ende des Helden der kubanischen Revolution Ernesto Che Guevara, um zu Erkennen, welche politische, moralische und vor allem mythische Kraft im eigenen „Opfertod“ liegt. Der Tod als Waffe, konsequente Fortsetzung seiner Strategie vom „eigenen Körper als Waffe“.

(Im Gegensatz dazu hatte Che sich nicht selbst getötet, sondern den möglichen Tod als Risiko eines Revolutionärs hingenommen. Das ist ein wesentlicher Unterschied. Che Guevara wurde von einem CIA-Schergen ermordet und heimlich verscharrt, weil die Amis Angst vor seiner Mythifizierung hatten. Ging voll nach hinten los.)

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Was bleibt nach dem bewaffneten Kampf der RAF, in dem sinnlos unschuldige Menschen ermordet wurden, weil sie als Repräsentanten des „Schweinesystems“ galten, und bei dem GenossenInnen ebenso sinnlos auf der Strecke blieben?

Hier steckt in der Fragestellung bereits eine Wertung. War der Kampf wirklich sinnlos? Gemessen woran? An den Zielen und den tatsächlichen Ergebnissen? An den mittel- und langfristigen Folgen? An unserer heutigen Situation? Oder weil jede terroristische Gewalt ihre Ziele diskreditiert?

Wer aus der Perspektive „Terrorismus als Strategie und Taktik“ Anspruch und Ergebnisse vergleicht, kommt zu dem Urteil: Die RAF ist auf ganzer Linie gescheitert. Sie wollte schließlich die Bevölkerung aufrütteln und als Avantgarde der Revolution den Weg bereiten. Tatsächlich führte sie von Beginn an einen aussichtslosen, brutalen Kampf, der sie schnell von ihren eigentlichen Zielen entfernte und vollends ins Abseits brachte.

Die Konsequenzen des Terrors der RAF für die Gesellschaft, ihr Einfluss auf die extreme Linke, auf die Friedensbewegung, die frühen Grünen, das Bewusstsein in der Bevölkerung für Macht und Ohnmacht von Terror und Staatsgewalt, die Grenzen von Politik, all das sind Aspekte, über die Soziologen, Historiker, Psychologen etc. noch lange diskutieren werden.

Mich beschäftigt ein Punkt: Inwieweit hatte der Linksterrorismus in Deutschland zu einem politischen und gesellschaftlichen Diskurs über die grundssätzlichen Ziele und den Weg der bundesrepublikanischen Gesellschaft geführt oder ihn verhindert? Innerhalb der Linken fand diese Diskussion schon lange vorher statt – auch wenn sie häufig nur akademisch war. In anderen Teilen der Gesellschaft ließ die Gewalt der RAF eine Debatte über ihre Ziele gar nicht erst aufkommen.

Für das Bürgertum stand nur eine Frage auf der Agenda: Wie am besten und schnellsten die lästigen „systembedrohenden“ Terroristen loswerden? Die Reaktion des Staates auf den Terrorismus war daher durchaus hysterisch und überzogen, aber folgerichtig angesichts der vorherrschenden Logik und dem Werdegang der damaligen politischen Verantwortlichen.

Nur verschwanden damit weder die ursächliche Gewalt des Systems noch die soziale Ungerechtigkeit und die Zerstörung der Umwelt, auch nicht die physischen und psychischen Schäden, die eine (immer hemmungsloser) entfesselte Konsum- und Konkurrenzgesellschaft anrichtet. Im Gegenteil.

Die Folgen dieser Unfähigkeit zur Reflexion und echten Selbstkritik unseres Systems, des absolut dummen weiter so, erleben wir tagtäglich.

Die Verlierer interessieren niemanden

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Heute, angesichts der „neuen Realität“ durch Covid-19 wird deutlich, dass nur große, unmittelbare Bedrohungen zumindest temporär drastische Veränderungen auslösen. Die Bedrohung durch die isolierten, nicht mehrheitsfähigen „Extremisten“ der RAF war in diesem Sinne sogar zu ihrem absoluten Höhepunkt „niemals groß und unmittelbar“ genug.

GEDANKENSPIEL 2: Selbst wenn, rein hypothetisch, damals genügend kritische Masse erreicht worden und der Staatsapparat in die Knie gezwungen wäre (was für eine irrwitzige Vorstellung), hätte das keine gesellschaftliche Veränderung im Sinne der neuen Mehrheit zur Folge gehabt. Denn die Bundesrepublik Deutschland war der westliche „Musterstaat“ der USA an der Frontlinie zum Ostblock und Teil der NATO.

Die „Supermacht des Westens“ hätte keinen radikalen Wechsel der politischen Machtverhältnisse, schon gar nicht des Wirtschaftssystems hingenommen – eine Diktatur zur Aufrechterhaltung der Besitzstände des Status quo hingegen jederzeit. Wer das nicht glaubt, braucht sich nur die reale Politik der „friedliebendsten“ aller Nationen anschauen: mit Diktatoren, die dem Kapitalismus und damit US-Unternehmen alle Freiheiten ließen und lassen, kamen und kommen Washington und Wall Street immer prima aus. Alle Anderen werden bekämpft, wahlweise a) militärisch offen und verdeckt, b) geheimdienstlich verdeckt, c) mit politischen und wirtschaftlichen Sanktionen und d) Propaganda. Zumeist finden verschiedene ausgewählte Mittel gleichzeitig Anwendung (hybride Kriegsführung). Die treuen Verbündeten müssen immer brav mitspielen, sonst gibt’s was auf die Finger. „Sprecht sanft und tragt stets einen Knüppel bei euch“, wie einst schon US-Präsident und Kriegstreiber Theodore Roosevelt seinen Leuten empfahl. Inzwischen wird nicht einmal mehr sanft gesprochen.

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Baader und Co. wollten wie oben angeführt einen Veränderungsprozess in Gang setzen, wussten aber nicht wirklich, was geschehen sollte, wenn dieser tatsächlich in Bewegung geraten würde. Sie entwarfen niemals eine klare Vision, die eine breite Bevölkerung hätte teilen können, das wäre die Aufgabe der großen Revolution gewesen. Damit offenbart sich ein weiterer Unterschied zwischen den Rechten und den Linken. Die Rechten verkünden gleich zu Anfang ihre Vision, besser Ziele, und haben einen Plan parat. Je idiotischer und gemeingefährlicher ihre Ziele und ihr Plan sind, desto eifriger wird eine Umsetzung betrieben, wie uns die Geschichte lehrt. Die Linke im Westen verliert sich in internen Diskussionen, in dem Spagat zwischen, „was erhalten“ und „wie verändern“. Den Rechten ist das völlig egal. Sie sind zerstörerisch, dumm und hörig. Man schaue sich nur ihre widerwärtigen Gallionsfiguren an. (Siehe LINK unten.)

(N.B. Reigning Psychopaths des 20. Jahrhunderts: Der Gröfaz-Massenmörder wurde von anderen wirklich hinreichend durchgekaut. Es gab bei den „Linken“ ebenso große widerliche Schlächter, Killer wie Stalin, Mao, Pol Pot, usw. Mit diesen Herrschaften und anderen wird bei nächster Gelegenheit ordentlich Schlitten gefahren.)

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FRAGE: Was wäre aus Ulrike Meinhof, Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Jan-Carl Raspe, Holger Meins und den anderen geworden, wenn sie anstatt in den Untergrund zu gehen, sich z.B. als außerparlamentarische Aktivisten und Organisatoren ähnlich wie Rudi Dutschke engagiert hätten?

ANTWORT: Eine zutiefst bourgeoise Frage, die sich ihnen nicht stellte.

Vielleicht bleibt nur die Erkenntnis, dass die Truppe am Ende genauso entfremdet von sich, von der Gesellschaft und vom Leben war, wie die Mehrheit von uns es heute ist.

FAZIT: Adorno schrieb: Es gibt nichts Richtiges im Falschen. Er vergaß anzufügen: Das Falsche richtig zu ändern, ist äußerst schwierig und gelingt nur verschwindend wenigen. Destruktive Gewalt hilft dabei nicht.

Einen Trost gibt es allerdings, solange man Widerstand leistet, ist man nicht geschlagen. Hasta siempre.

LINK zum ROMAN über TERRORISMUS und MANIPULATION:

LINK: Über die Psychologie der Gallionsfiguren der Idiotie . . .

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