UNTER DEUTSCHEN HEIZPILZEN I

In stiller Vorfreude auf das alljährliche Annagelfest, Reflexionen über den seit Jahrzehnten zu Kreuze kriechenden Film dieser Republik.

Kinofilme sind im besonderen Maße das Produkt ihrer Produktionsumstände, der Systeme von Finanzierung und Auswertung, von Marketing und Zensur – ob geschmacksideologischer oder politischer-, in denen sie hergestellt werden. Das gilt für Mainstream Hollywood-Blockbuster ebenso wie für Genre-Filme, für Independent-Produktionen wie für iranische Underground-Werke, und es gilt natürlich für den „deutschen Film”.

Mainstream Promises – feuchte Träume deutscher Filmförderer

Der Blockbuster aus dem Lalaland sucht das globale Publikum, der Genre-Film sucht seine Genre-Fans, der Independent Film sucht seine bourgeoise Nische, der iranische Underground sucht seinen Weg aus dem Land an die globale Öffentlichkeit (die nationale ist ihm häufig verwehrt). Wen oder was sucht der deutsche Film? Vielleicht Wohlgefallen? Das Diktat der Hochkultur, welches jahrzehntelang Filme in Kunst und Schmutz teilte (aufgrund welcher Kriterien eigentlich?), ist längst dem (Publikums)erfolgsüchtigen Film gewichen. Die Antwort auf die obige Frage lautet dementsprechend: Der deutsche Film sucht Wohlgefallen bei Publikum und Kritik.

Geheimnisvoller als jede Kameraeinstellung seit dem Oberhausener-Manifest

Der Zustand des Deutschen Kinos lässt sich seit Jahren so zusammenfassen: Ja, es gibt sie, die Kinofilme mit großem Publikumszuspruch. Diese fallen regelmäßig in zwei Kategorien (Ausnahmen bestätigen die Regel): 1) Komödien von und mit Schweiger, hirnlos, sentimental und häufig mit Nennung von Körperteilen im Titel; und 2) Komödien ohne Schweiger, dafür mit Blondschopf Schweighöfer, oft in sexuellen Nöten, oder mit Deutschtürken, die auf Goethe fucken – oder der Dichterfürst, den die meisten Zuschauer nur als gleichnamigen Platz oder Straße kennen, fuckt auf sie. Andere Genres – von anderen Fressen ganz zu schweigen – finden hierzulande so gut wie nicht statt. N.B. andere Genres: „Deutschen Actionhelden” auf der großen Leinwand hilft auch kein Fernsehvorverkauf, sogar wenn sie knallhart drohen, garantiert nicht im Dienst zu sein und damit noch viel hemmungsloser als Sonntags um 20.15 Uhr zur Sache zu gehen.

Schauen sie vielleicht den deutschen Kinohit des Vorjahres „Schlapphoden II“ ?

Der deutsche Film ist in erster Linie das Ergebnis seiner Finanzierung – namentlich des dafür verantwortlichen Systems, in dem die mächtigen Sachverwalter des Elends, die Sender und die Förderanstalten, das Sagen haben. In unserer sehr merkantilistischen Förder-Republik gilt selbstredend wie überall auf der Welt: wer zahlt, der bestimmt. Das Auswahlverfahren für bewilligte Projekte garantiert darüber hinaus eine inhaltliche Steuerung und – aufgrund der Fernsehgelder – eine starke redaktionelle Abhängigkeit. Hierin liegt der Grund für die Misere. Was die Beteiligten natürlich öffentlich bestreiten.

Der US-Kritiker Richard Brody fand am 16.02.2016 im „The New Yorker” als Außenstehender die richtigen Worte zur Lage der hiesigen Filmindustrie. Hier ein paar Auszüge, mal schnell übersetzt:

„Im deutschen Film dominieren banale, unterscheidungslose historische Dramen, sie handeln hauptsächlich vom Holocaust, aber auch vom Kalten Krieg (einer der neueren Filme ist „Labyrinth der Lügen”). Bei diesen Filmen geht es weniger um eine kritische Neubetrachtung der Geschichte, als um eine Neuverpackung bereits vorprogrammierter Antworten. Sie mögen dabei, das sei der Natur des Dramas geschuldet, auf historischen Fakten beruhen. Durch ihre unkritische naturalistische Darstellung jener historischen Fakten jedoch, entkoppeln sie die Geschichte von der Gegenwart. Die standardisierten Handlungsbögen dieser skrupellos-professionellen Dramen reduzieren historische Details auf vertraute und leere Reuebekundungen . . .”

Dreharbeiten zu DIE CHERUSKER nahe Kalkriese, Teutoburger Wald

„Das zeitgenössische deutsche Kino ist wie das Holocaust-Mahnmal (unweit des Potsdamer Platzes), es isoliert die Gegenwart von der Vergangenheit. Was dem deutschen Film heute fehlt, ist die Kraft in der ersten Person zu filmen, die Verbrechen der Vergangenheit in der Gegenwart zu sehen, zuzugeben, dass sie unvermeidlich die eigenen sind, oder, in dieser Sache das Gegenteil zu deklarieren, dass sie es nicht sind. Aber es ist nicht nur eine Frage des guten Willens, der Bereitschaft, moralische Risiken zu übernehmen, es ist eine Frage des künstlerischen Mutes. Die deutsche Filmindustrie beweist zu oft einen grundlegenden Mangel an ästhetischem Wagemut … Es herrscht ein Herstellungssystem aus Finanzierung und Produktion, das sich jeden einzelnen Regisseur und sein Projekt einverleibt, und damit ein Mangel an Unabhängigkeit erzeugt, sowohl wirtschaftlich als auch künstlerisch.”

(N.B. Das sollte sich besonders Nico Hoffmann, der TV-Oberhistoriker von eigenen Gnaden, ins Stammbuch schreiben. Obwohl seine Produktionen im Kino nicht vorkommen.)

Woraufhin der deutsche Film trotzig den Kopf aus dem Arsch der Förderanstalten zieht und ungehalten ausruft: „Und in Hollywood? Was herrscht denn da? Na … ?”

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