Popkultur ist in erster Linie Ware und damit den Gesetzen der Profitmaximierung unterworfen. Betrachtungen zu den Konsumgütern, mit deren Hilfe wir die Zeit bis zur Beerdigung totschlagen.
Seit wir in der „Zukunft“ angekommen sind, seit etwa Mitte der 1990er Jahre, leben wir in einer kulturellen Dauergegenwart, die alles Dagewesene ständig recycelt. Das hat sowohl ökonomische Gründe, Investoren können sich leichter vorstellen, wofür sie Millionen lockermachen, sowie auch seelenhygienische, angesichts der düsteren Zukunftsaussichten ist die Vergangenheit überschaubar und tröstlicher. (Und sollte sie es nicht sein, kann man mit alternate history fantasies à la Tarantino, die historischen Grausamkeiten wie in Inglorious Basterds, Django, Once Upon a Time in Hollywood geschehen, einfach ausradieren.)
Die Dauergegenwart killt jede Zukunft
Jüngstes Beispiel ist der neue Kinohit aus der Dukatenkackmaschine Hollywood: JOKER von Todd Haynes, mit Joaquin Phoenix.
Die Story: Ein vom Leben gefisteter, zweitklassiger Stand-up Comedian entdeckt sein wahres Talent für Gewalt und Grausamkeit und rächt sich für die lebenslangen Demütigungen einer kalten und uninteressierten Gesellschaft.
Die Scheinmoral: Die Gesellschaft ist schlecht und treibt den Einzelnen in den Wahnsinn.
Die wahre Moral: Wir wollen einen Hit, der so erfolgreich ist wie die Batman-Trilogie mit Christian Bale.
Die Methode: Same but different. Dark, moody, cynical, emotional void. (Alan Moore trägt wohl Schuld daran, mit Watchmen, V for Vendetta und The Killing Joke in den 1980er Jahren die Regeln fürs heutige Superhelden-Genrekino geschaffen zu haben.)
Haynes nimmt die Welt von Taxi Driver und King of Comedy, holt sich dazu gleich Robert DeNiro, der in beiden Filmen die Hauptrolle spielte, als zweibeinigen Authentizitätsbeweis in eine Nebenrolle und lässt Phoenix auf diese Welt los. Autor und Regisseur Haynes erzählt eine Retrogeschichte in einer Retroaufbereitung für die heutigen Sehgewohnheiten. Das nenne ich formales Wiederkäuern.
Der Bösewicht Joker bekam Anfang der 1950er Jahre die Backstory, dass er in eine Chemielauge fiel und dadurch verunstaltet wurde (von Jack Nicholsons Joker in Tim Burtons 1. Batman so gezeigt). Dann schrieb Alan Moore 1988 The Killing Joke und verpasste dem Joker die Biografie des Losers Arthur Fleck, die Haynes in seinem Film verwurstet. Diese origin story ist also ein recycelter Mischmasch der Vergangenheit und bestätigt die vorherrschende Dauergegenwart im Mainstream. Jetzt wissen alle wie Joker wurde, was er ist.
N.B. Ein englischer Kritiker meinte, der Film würde nur mit einem armen Weißen in der Opferrolle funktionieren. Ein Schwarzer wäre angesichts unserer Realität so unbedeutend, dass er wahrscheinlich noch während des Vorspannes tot in der Gosse liegen oder im Knast enden würde.
Joker als Rechtfertigungsstory für weiße Loser?
N.B. Die weiblichen Opfer sind allesamt schwarz und sterben im Off. Sie sind unsichtbar und werden nicht einmal gezeigt. Was soll uns das sagen?
Das Ergebnis der Qual: Unsäglich selbstmitleidige Fast-Food-Leere.
Daten garantieren kalkulierte Erfolge
JOKER 2019 ist auch ein Resultat der Marktforschung, die bekanntermaßen ein wichtiges Instrument der Industrie ist, um Publikumswünsche zu verstehen. Schließlich sind Entertainment-Produkte für den Markt bestimmt und dienen nur einem einzigen Zweck: ihrem Verkauf. Eine Ware, die für ihren Absatz produziert wird, muss selbstverständlich dem Publikum gefallen. Nur bleibt am Ende jedoch immer die nagende Unsicherheit, ob das Werk ein Erfolg wird oder nicht. Darum wird versucht, sei es beim Buch, Film oder im TV, mit Serien, Sequels, Prequels, Spin-Offs und natürlich Merchandising, möglichst viel Profit aus einem erfolgreichen Stoff zu saugen. Der Erfolg von gestern soll den Erfolg von heute und am besten gleich den von morgen gewährleisten. Einige der bekanntesten Beispiele für mediale Produktmarken oder Franchises sind z.B. Star Wars, Harry Potter, Herr der Ringe – und Batman, zu der natürlich auch die origin story von Todd Haynes gehört.
Martin Scorsese lieferte jüngst eine schöne Aussage zu den Marvel-Superhero-Filmen: Sie wären kein Kino, sondern eine spektakuläre Achterbahnfahrt wie in einem Vergnügungspark.
Was Streaminganbietern den Geschäftserfolg sichern soll, weil es dem Publikum gefällt, saugen Konzerne wie Netflix und Amazon aus ihren Nutzerdaten. Auf nutzergenerierten Daten basierende Algorithmen bestimmen die „schöne neue Streamingwelt“, nach der Filme und Serien in über 100 Genres (besser Kategorien) und deren Nutzergruppen eingeteilt werden. Diese Daten sind das Kapital der Unternehmen. Sie bestimmen letztlich ihren Börsenwert. Mittels der Algorithmen wird versucht, zukünftiges Verhalten der Nutzer zu „programmieren“, um immer erfolgreichere Formate anzubieten und so die Nutzer „süchtig“ zu machen. Das Geschäft der Streaminganbieter ist global, ihr Publikum auch. Was in einem einzelnen Land nur eine kleine Nische darstellt, ist weltweit aufaddiert ein Riesenmarkt. Von dieser Erkenntnis leben Horrorfilme bereits seit Jahrzehnten. Damit erklärt sich auch die scheinbar verwirrende Nischenpolitik einiger Konzerne, die neben Serienfutter mit überraschenden Arthaus-Filmen aufwarten, jüngstes Netflix-Beispiel, Oscargewinner Roma von Alfonso Cuarón. Sie folgen der Logik eines guten Dealers: Wer seine Nutzer kennt und bedient, der verdient. Immer.
Im Streaming-Zeitalter lautet das neue globale Seriendiktum: Vorverkauf, Internationalität, Nostalgie und Spektakel. Gibt es bereits einen Publikumserfolg in einem anderen Medium? Ist der Stoff international attraktiv? Bedient er nostalgische Gefühle? Ist er ein großes Spektakel? Mindestens ein Kriterium muss erfüllt werden, besser jedoch mehrere. (Original Content, extra fürs TV entwickelt, scheuen auf sichereren Return-on-Investment bedachte internationale Geldgeber wie der Teufel das Weihwasser.) Bei der deutschen Budgetorgie Berlin Babylon, einer ARD und Sky Co-Produktion, kann man hinter jedem der vier Kriterien ein Häkchen machen. Dafür gibt’s Applaus vom internationalen Publikum wie vom bedeutungslosen Feuilleton. Das freut die Branche, sie ist endlich das, für was sie sich schon immer hielt, und lobt sich gleich mal selbst für den Mut zur „neuen deutschen Serie“, die ohne Vorlagen wie Boardwalk Empire, Peaky Blinders und Baz Luhrmanns Der Große Gatsby, natürlich unvorstellbar wäre. Romanerfolg hin oder her.
Längst haben große Konzerne Serielles Erzählen als profitables Geschäftsmodell erkannt und investieren Milliarden. So stecken aktuell Netflix 6,3 Milliarden, Amazon über 4,7, Hulu 4,5 und Apple 1,0 Milliarde US-Dollar ins Programming. Auch Plattformanbieter Deutsche Telekom ist mit ihrer ersten Eigenproduktion Deutsch-Les-Landes im Geschäft (in Partnerschaft mit Amazon France). Wir lernen daraus, wo Geld zu verdienen ist, da wird investiert, solange dort Geld zu verdienen ist. Das sogenannte Peak-TV befindet sich in der Phase des Verteilungskampfes, die Streaming-Giganten kaufen rechts und links kreative Erfolgsgaranten ein, um sich den Markt sichern. Verlieren werden diejenigen, denen zuerst der finanzielle Atem ausgeht.
Voll geil, denkt der Konsument und twittert seine Begeisterung ob der Riesenauswahl in die Welt hinaus. Ernüchternd für die Kreativen ist jedoch: Serielles Erzählen ist das neue Fastfood für die Generation Smartphone. Denn laut Messungen des Nutzerverhaltens wird während des Serienkonsums auf den Phones und Tabletts, gleichzeitig anderen Online-Beschäftigungen nachgegangen, wie liken, linken, posten, usw. Soviel Ablenkung bedeutet für die Branche, je stärker der Wettbewerbsdruck, desto mehr Publikumserfolge werden benötigt, will man nicht absteigen. Daher schalten die großen Streamingdienste bei ihren Produktionen zwangsläufig auf Nummer sicher. Womit wir wieder bei dem o.g. „globalen Diktum“ angelangt sind und letztlich beim Wiederholen immer gleicher Muster. Profit geht vor Kreativität und künstlerischem Risiko. Weshalb es aus der Endlosschleife der Gegenwartstyrannei offenbar kein Entkommen gibt.
LINK zur Ideologie der Streamingherrlichkeit . . .
Nachstehend wie Jean-Patrick Manchette in situationistischer Tradition die Unterwanderung der Popkultur in den 1970er Jahren verstand . . .