Um ein Ding zu drehen, braucht man die richtige Ausrüstung . . .
Der Typ wollte Waffen.
Er sagte zu Harter: „Maschinenpistolen, am besten H&Ks, wie die Bullen sie benutzen, aber absolut sauber, nicht zurückverfolgbar.”
Was er damit vorhatte, sagte er nicht.
Der Typ hieß Arkan und stammte aus Bosnien. Harter hatte ihm einmal den Hals gerettet, seitdem hielt Arkan ihn für einen Freund. Harter hielt ihn für unberechenbar.
Arkan war erst vierzehn, als die Familie vom Bürgerkrieg überrascht wurde. Seine Großmutter väterlicherseits stammte aus Sarajewo. Die alte Dame wurde siebzig und weigerte sich trotz der wachsenden Spannungen, ihre Heimatstadt zu verlassen. Also ließen seine Eltern in dem kleinen Dorf in Westfalen die Jalousien runter, stellten Wasser und Strom ab, und fuhren mit ihren zwei Söhnen in einem alten Mercedes 200 D die 1300 Kilometer lange Strecke in die bosnische Heimat. Sie wollten nur sieben Tage bleiben, doch dann kesselten serbische Milizen die Stadt ein. Der Belagerungszustand währte drei Jahre. Tagtäglicher Granatenbeschuss, Scharfschützen, die wahllos töteten, Plünderungen und ethnische Säuberungen, traumatisierten den Jungen. Er neigte zur Gewalttätigkeit, wurde kriminell und pendelte zwischen Knastaufenthalten und erfolglosen Neuanfängen hin und her. Bei ihrem Treffen trug Arkan einen eleganten Anzug mit Krawatte und glänzenden Schuhen, und machte auf Harter einen optimistischen, beinahe euphorischen Eindruck.
Er lehnte sich über den Tisch und sagte: „Du kommst doch problemlos da ran.”
„Ich verkaufe keine Waffen.“
„Aber jede Wette, du kennst einen.“
„Du nicht?“ Er ging Harter allmählich auf die Nerven.
Arkan grinste nur. Er wollte offenbar keinen der üblichen Kanäle benutzen, es musste ein fetter Job sein.
Sie saßen um elf Uhr vormittags im Komasaufen, einer ehemaligen Eck-Kneipe, in der aggressiver Anarcho-Rock dröhnte. Außer ihnen verloren sich hier ein paar Alkoholiker, die ihren Tatterigen besänftigten. Igor, der neue Pächter, war ein Kumpel von Harter. Er bezeichnete seinen Laden als Kampfansage an die Gentrifizierung, hatte das schäbige Mobiliar behalten, die Wände rot übergeschmiert und blaue Lampen angeschraubt. Das Loch hätte eine komplette Renovierung bitter nötig gehabt. Ein Abriss hätte’s auch getan. Die Szene schiss drauf. Hier war der Sprit billig, dazu gab‘s die Bundesliga live auf Teletext und an den Wochenenden lärmten Underground-Bands. Heute war Donnerstag, von der Playlist brüllte Lemmy: „Stay out of jail.“
Harter sagte: „Hör auf Lemmy.“
„Ist nicht so leicht. Digger, du weißt, was ich brauche-“
„Digger mich nicht.“
„Is‘ ja gut“, sagte Arkan, „jedenfalls, weiß ich, was du brauchst.“
Harter schwieg. Er war völlig abgebrannt und brauchte dringend einen Auftrag, der sich lohnte. Sein letzter lag bald fünf Monate zurück. Klar, kannte Arkan seine Lage. Seit längerem hauste Harter in einem alten Wohnwagen mit ausrangiertem chemischen Klo und einer Art winterfestem Vorzelt, der ganzjährig auf einem Campingplatz stand. Der Stellplatz kostete 50 Euro im Monat, Kanalanschluss, Gemeinschaftswaschräume und -toiletten inklusive. Strom kostete extra, WiFi-Zugang auch. Harter zahlte bar und niemand stellte Fragen. Der Platzwart betrieb nebenbei einen Kiosk, wo er seinen Campern die nötigsten Waren anbot, sogar weniger überteuert als in einem dieser Tankstellenshops. Trotzdem, billiger und anonymer konnte man nirgendwo sonst wohnen.
Harter war hier nicht der einzige Dauermieter. Im Gegenteil, immer mehr Menschen verlegten notgedrungen ihren ständigen Wohnsitz an Orte wie diesen. Nebenan lebte eine alleinerziehende Mutter mit einem 450-Euro-Job, die nicht Anschaffen gehen wollte; gegenüber ein Fliesenleger, der nach Scheidung und Suff sich langsam wieder berappelte; auf dem Eckplatz am Stromverteiler ein altes Ehepaar, das die Wohnung in der Stadt aufgeben musste, weil nach über 50 Jahren Arbeit ihre gemeinsame Rente nicht ausreichte. Mit einigen Einschränkungen und regelmäßigen Lebensmittelrationen von Die Tafel, kamen sie geradeso zurecht. Vor ein paar Wochen tauchten Leute vom Ordnungsamt auf. Das Gerücht von der Räumung machte die Runde. Unmut machte sich breit, Widerstand begann sich zu formieren. Irgendjemand hing ein Protestbanner an den Zaun. Jetzt fuhren öfters die Bullen vor. Der Campingplatz wurde Harter langsam zu heiß, er musste verschwinden, er brauchte minimum vier Scheine. Schwere Entscheidung.
„Arkan, sag mir, was du vorhast.“
„Spielt doch keine Rolle.“
„Beantworte endlich meine Frage.“
„Meine soziale Stellung verbessern.“
„Reicht dir die Verkleidung nicht?“
„Hör auf zu Grinsen, Harter. Ein anständiger Anzug macht selbst aus ’nem Anarcho wie dir ’nen neuen Menschen. Ist nicht mal teuer. Kauf was einigermaßen Passendes von der Stange und ich connecte dich mit meiner Änderungsschneiderin“, sagte Arkan, „organisiere mir zwei HKs und du kannst dir sogar einen Maßanzug leisten.“
Harter überlegte. Er hatte Waffen. Ein Bekannter hatte sie bei ihm deponiert, fabrikneu und nicht nachverfolgbar, der Bekannte wollte sie nicht zurückhaben. Es konnte ihm scheißegal sein, was Arkan damit anstellen würde.
„Nachher muss ich dir wieder den Arsch retten.“
„Darin hast du ja Übung. Im Ernst, du kennst die Regel, sobald ich dir sage, was ansteht, hängst du mit drin.“
„Vielleicht”, sagte Harter.
„Wahrscheinlich benutze ich sie nicht mal, dann kriegst du sie jungfräulich zurück. Den Kaufpreis kannst du trotzdem behalten. Win-Win für dich, so oder so.”
„Vielleicht habe ich zwei Pistolen und eine MP an der Hand. Allerdings keine deutsche Wertarbeit.”
„Sind die sauber?”
Was sollte Harter dazu sagen? Er sagte: „Sie sind eigentlich für den Eigenbedarf bestimmt.”
Arkan grinste erneut. „Eigentlich existiert nicht, hab ich von dir gelernt. Wie viel willste dafür haben?”
Harter nannte seinen Preis, Arkan akzeptierte sofort. Am Tag darauf wechselten Geld und Waffen die Besitzer.
„Es gibt nicht viele, auf die ich zählen kann. Wenn alles klappt, kriegst du ’nen Anteil. Versprochen.“
„Lass mal gut sein.“
Zum Abschied umarmte er Harter, hielt ihn für einen Moment fest. „Wenn nicht, dann musst du mich rächen.“