IM OSTEN WUCHS DAS GOLD IM KELLER

Ach, was waren das für selige Zeiten, als der frostige Kalte Krieg noch ganz Europa überzog und die Feinde im Visier unserer Feldstecher, Radaranlagen und Überwachungsflieger klar auszumachen waren. Hysterisch hochgerüstet, stand unser Bollwerk der Frivolität und Völlerei bereit, die BRD-West gegen die blutrünstige, konsumdarbende Brut aus dem Osten zu verteidigen. Notfalls mit x-fachem Overkill, der dieses Land in den größten Krater des Planeten verwandelt hätte, falls irgendein Besoffski im Weißen Haus oder im Kreml mit der Stirn auf den roten Knopf geknallt wäre. Damals sind wir haarscharf am Super-GAU vorbeigeschrammt. Jetzt juckt es die grenzdebilen Erben der altvorderen Politikvollstrecker wieder in den Overkillfingern. Zur Einstimmung, wie toll der Kalte Krieg vor vier Jahrzehnten war, ein Zeitsprung zurück ins romantische Jahr 1984 mit einer absolut wahren Geschichte …

AUSSEN. EHEMALIGE INNERDEUTSCHE GRENZE – TAG

Ein kalter Herbsttag. Wir sehen die ehemalige Grenze bei Helmstedt/Marienborn. Im Vordergrund eine weiß/beige Betonsäule, in der einst das DDR-Staatsemblem prangte.

Blick durch die runde Auslassung in der Säule: Im Hintergrund sind schemenhaft Teile des ehemaligen Grenzübergangs zu sehen. Heute eine Gedenkstätte. Für was, fragt man sich, als mahnende Erinnerung an dummdeutsche Kleinstaaterei oder vielleicht an geschmacklose Sicherheitsarchitektur?

VFX: Auf einmal erscheint das Staatsemblem der DDR wieder an seinem angestammten Platz in der runden Auslassung der Betonsäule, teilt wieder Stacheldraht Deutschland, sind wieder Soldaten auf den Wachtürmen, herrscht wieder innerdeutscher Grenzbetrieb, ist die Welt noch in Ordnung.

Denn wir sind 39 Jahre in die Vergangenheit gereist …

AUSSEN. INNERDEUTSCHE GRENZE – TAG

Eine Textzeile tippt sich wie per Telex geschrieben ins Bild:

30. September 1984

Ebenfalls ein kalter Herbsttag. Blick aus einem fahrenden Auto:

Wir nähern uns dem Grenzübergang Helmstedt/Marienborn. Mit seinen Zäunen, Wachtürmen, Scheinwerfern und Soldaten gleicht er dem Eingang eines Straflagers.

Off: Musik: „Heroes” David Bowie, englische Version, beginnt.

An einem Mast über den niedrigen Grenzkontrollbaracken weht schwarz, rot und gold, mit Hammer und Zirkel im Ährenkranz, die Fahne der Deutschen Demokratischen Republik.

Eine große Anzahl Fahrzeuge reiht sich in die Spuren der Kontrollstationen. Links staut sich der Einreiseverkehr in die DDR, rechts werden deutlich zügiger die Transitreisenden nach Westberlin abgewickelt. In der rechten Schlange befindet sich ein weinroter 73er Opel Manta.

INNEN. OPEL MANTA, INNERDEUTSCHE GRENZE – TAG

Der Mann hinter dem Steuer in Oberhemd, schmaler Krawatte und einer Ray-Ban Sonnenbrille ist Max König (34), genannt BOHRER. Er ist ein Berufsverbrecher, Spezialität Bankraub, und auf dem Weg nach Berlin, um einen Job zu erledigen. Genervt beobachtet er …

AUSSEN. INNERDEUTSCHE GRENZE – TAG

Graugekleidete DDR-Grenzer, die mit maskenhaft ausdruckslosen Gesichtern ausgiebig Insassen und Ausweise in den Fahrzeugen kontrollieren. Das Fahrzeug vor dem Manta, ein VW-GOLF, wird soeben von einer DDR-GRENZERIN (30) abgefertigt. Sie reicht die Papiere zurück, der Golf fährt weiter. Die Grenzerin winkt den Manta heran.

INNEN. OPEL MANTA, INNERDEUTSCHE GRENZE – TAG

Bohrer lässt den Wagen vorrollen.

Die Grenzerin blickt ausdruckslos auf das Fahrzeug hinab.

GRENZERIN: Papiere.

Das Fenster offen, einen Arm lässig auf den Rahmen gelehnt, präsentiert Bohrer seinen PASS.

BOHRER: Gerade noch dachte ich, was für ein trüber Morgen …

Die Grenzerin nimmt das Dokument.

BOHRER: Doch dann treffe ich Sie und schon scheint die Sonne wieder.

Bohrer lächelt, makellose Zahnreihen unter seiner Sonnenbrille strahlen die Grenzerin an.

GRENZERIN (ungerührt): Nehmen Sie die Sonnenbrille ab.

BOHRER (Sonnenbrille in die Haare hochschiebend): Schenken Sie mir jetzt ein Lächeln?

Prompt deutet die Grenzerin zu einer Seitenbucht.

GRENZERIN: Fahren Sie den PKW dort rechts heran.

BOHRER: Ich wusste, dass Sie mir mehr als nur ein Lächeln schenken werden, Madame. Sie schenken mir Ihre kostbare Zeit …

Bohrer fährt den Manta auf die zugewiesene Stelle.

AUSSEN. OPEL MANTA, INNERDEUTSCHE GRENZE – TAG

Türen auf, Motorhaube auf, Kofferraum auf, Inhalt auf den Asphalt. Das Fahrzeug wird von der Grenzerin und einem Kollegen gründlich gefilzt.

Bohrer steht einige Schritte entfernt, unverdrossen …

BOHRER (zu Grenzerin): Ein simples Nein hätte ja gereicht.

Keine Reaktion von der Grenzerin und ihrem Kollegen.

BOHRER: Sehen Sie’s mal von der Warte: Wenn ich geflogen wäre, hätten wir beide uns nie kennengelernt.

GRENZERIN: Reden Sie nur, wenn Sie aufgefordert werden.

BOHRER: Aber gerne, Madame.

Handschuhfach, Rückbank, Seitenblenden, eine Reisetasche und deren Inhalt, nichts bleibt dem inquisitorischen Wühlen der beiden Grenzer verborgen.

Bohrer zündet sich eine Zigarette an und lässt das auffällige Zippo-Feuerzeug in der Hosentasche verschwinden.

Dann sind die Grenzer endlich fertig. Der Manta wirkt wie ausgeweidet.

Die Grenzerin reicht Bohrer seine Papiere zurück.

GRENZERIN: Sie können weiterfahren.

BOHRER (trotzig strahlend): Wissen Sie eigentlich, dass Sie vor Herzlichkeit leuchten?

GRENZERIN: Weiterfahren!

Sie geht zum nächsten Fahrzeug in der Warteschlange.

BOHRER (ihr nach): Fürs Einräumen würde ich ein paar Westjeans springen lassen. Wie wär’s, Puppe?

Keine Reaktion.

Also zeigt Bohrer ihr den Stinkefinger.

Just in diesem Moment dreht die Grenzerin sich um.

Sofort schiebt Bohrer den Finger zwischen die Lippen, als müsse er unbedingt Speisereste zwischen den Schneidezähnen entfernen.

WIRD FORTGESETZT …

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