FANAL – Auszug Kapitel 7

Wer heute in unserer zynischen Gesellschaft tatsächlich noch glaubt, eine bessere Welt wäre möglich, der kriegt jeden Tag aufs Neue eine Klatsche. Die Mächtigen halten es mit dem trommelnden Kaninchen aus dem Spielzeugladen, immer weitermachen, bis die Batterien abkacken. Zuviel ist nicht genug! Die Cree-Indianer Nordamerikas nannten das für sie unbegreifliche Phänomen dieser Gier der Bleichgesichter: Wétiko (Kannibalismus). Die Gierigen fressen sich am Ende selbst. Längst hat diese selbstzerstörerische Krankheit den gesamten Globus verseucht. Heilung nicht in Sicht. Im Kapitel 7 von FANAL diskutieren die alten Weggefährten Rieger und Georg über verlorene Ideale und vergeudete Jahre . . .

„Für mich hat sich nichts geändert“, sagte Rieger, „für dich vielleicht?“

„Die Welt hat sich verändert. Heute ist alles unpolitisch. Unsere Revolution ist gescheitert.“ Georg redete zu schnell. Es gab niemanden mehr, der ernsthaft über damals sprechen wollte. Niemand, der ihn verstand.

Trommeln ist das neue Pfeifen im Walde

„Unsere Revolution hat nie stattgefunden“, sagte Rieger.

„Genau, nur eine Handvoll Groupies folgte der selbsterklärten Avantgarde – und Simpel wie ich.“

„Als wenn das ’n Unterschied gemacht hätte.“

„Das ist der Unterschied! Wir haben vier Jahrzehnte verloren. Wir haben unsere historische Chance vertan.“

Sein Gegenüber brauchte einen Zuhörer. Rieger spielte mit: „Erläutere mir deinen Standpunkt, Genosse.“

„Die politische Frustration, das Aufbäumen und der Terror der 70er und 80er Jahre, dienten der staatlichen Oppression als Legitimation, jeden Widerstand, jeden Ruf nach wirklicher Veränderung zu kriminalisieren“, sagte Georg und nahm dankbar Fahrt auf, „nach dem Zusammenbruch des Ostblocks haben sie den Sack zu gemacht. Heute befinden wir uns in dem Stadium des invertierten Totalitarismus. Die Politik hat sich vollends der Diktatur der Konzerne und dem Finanzkapitalismus unterworfen. Die Konsumenten huldigen dem Marken-faschismus. Nationalstaaten haben ihre politische Macht verloren. Es herrschen globale Großkonzerne. Unsere repräsentative Demokratie repräsentiert die Interessen dieser Großkonzerne. Marktkonforme Demokratie, nennt Mutti das und erklärt das System für alternativlos. Das debile Volk freut sich, weil sie so entschieden nicht regiert und ihre Frisur adrett sitzt. Das sind die Konsequenzen unserer Niederlage, Jan.“

Was musst du dir für ’n verquasten Müll anhören, dachte Rieger, der nie politische Texte gelesen hatte, höchstens Plakatüberschriften und Parolen. Er kramte nach Phrasen, die immer passten.

Die Roten hatten die hübschesten Frauen

„Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker.“

„Hör doch mit der Scheiße auf. Glaubst du nach dreißig Jahren neoliberaler Konterrevolution weiß noch einer, wie Solidarität geschrieben wird? Unsere Wahl beschränkt sich auf vorgegebene Alternativen. Das Wohlbefinden der Nation hängt einzig vom Wachstum ab. Alles auf Kosten anderer und bald von uns selbst.“ Wütend nahm Georg einen Schluck Bier.

„Kein System herrscht ewig.“ Noch so eine Phrase.

„Das glaube ich schon lange nicht mehr und wenn, ich werd’s nicht mehr erleben.“

„Wenn ich Zweifel habe, denke ich immer an Vietnam“, sagte Rieger, „die Nachrichten servierten bei uns früher den Krieg zum Abendbrot. Vom Napalm verbrannte Kinder, nackt, schreiend. Wir haben dazu Dauerwurst und Nutella gefressen. Das vergesse ich nie. Das macht mich heute noch wütend.“

Von Vietnam bis Syrien, solange Rieger sich erinnern konnte, herrschten Not, Elend und Krieg immer anderswo. Es störte nur Gutmenschen wie Georg.

„Zum Kotzen“, sagte Georg, „was ist mit Chile, mit El Salvador, Nicaragua? Oder zuletzt Honduras? Was haben sie da veranstaltet? Neuerdings werben sie mit Che und Marx für Autos. Im Konsum sind alle gleich, soweit die Scheine reichen.“

„Und der Rest ist Kiffen“, sagte Rieger.

Beide grinsten. Er betrachtete Georg über seine Bierflasche hinweg. Der wirkte plötzlich nachdenklich.

„Hättest du mich nicht vor den Bullenschweinen gerettet, wäre ich heute ein Krüppel.“

„Dem engeren Sympathisantenkreis anzugehören, war nicht ungefährlich“, sagte Rieger.

„Ich bin ein Sympathisant der Menschlichkeit.“

„Mein Georg, in der Feigheit noch eloquent.“

„Nur verbohrte Idealisten betreiben offensiven Terrorismus. Staaten sind viel cleverer. Sie nutzen die naiven fanatischen Militanten für ihre Zwecke und stellen deren offensive Strategie gegen das System auf den Kopf, machen aus ihr defensiven Terrorismus, der dem System nützt. Denn jedes System ist zuerst bestrebt sich zu erhalten. Wenn es in einer Krise steckt, müssen Feinde bemüht werden. Das schließt die Fronten. Dabei weiß heute jedes Kind, Krisen sind systemimmanent.“

Rieger sah Georg mit gespieltem Erstaunen an.

„Tu nicht so“, sagte Georg, „aber klar doch werden mit Krisen Milliarden verdient. Erst kommt die Not, dann das Elend, dann die Verzweiflung und dann …“

Er machte eine angestrengte Pause.

„Kommt nichts? Kein bisschen Widerstand? Ich dachte, die Dinge ändern sich gerade.“

„Du meinst Occupy? Darum bist du zurückgekommen? Weil die Dinge sich ändern? Ist das Land jetzt reif für den Wider-stand? Demos machen, vor der EZB zelten? Ist es das?“

Rieger hielt den Blick, um so besser, wenn Georg das glauben wollte. Er hob sein Bier zum Anstoßen.

„Ich war in Kairo dabei.“

Damit für Leute wie Georg die Hoffnung nicht stirbt

Georg stöhnte auf. Er stieß nicht an. „Kairo. Das hier ist Deutschland. Hier passiert nichts.“

Rieger nahm einen Schluck und sagte: „Hier passiert genau das, wofür du dich engagierst.“

„Ich? Solange die Mehrheit glaubt, sie hätte mehr zu verlieren, als zu gewinnen, passiert gar nichts. Die Zeiten sind bei weitem noch nicht schlecht genug. Es geht noch vielen viel zu gut. Schau doch, wie das System auf die Krise reagiert, es druckt Geld. Immer mehr Geld. Und keiner sieht, dass der Kaiser längst nackt ist.“

Der liebt es, sich in seinem selbstgewählten Elend zu wälzen, dachte Rieger. Er setzte einen obendrauf. „Eine Sache ist erst dann verloren, wenn man sie verloren gibt.“

Mann, das muss ich unbedingt weiterlesen. Bitte sehr . . .

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