Ich lasse das Eisen auf die Gummimatte fallen und richte mich keuchend auf. In dem kleinen Gym quält sich ein Haufen Hardcore-Pumper an Zuggeräten und Hanteln. Sie stemmen tonnenweise Gewicht, prusten und stöhnen und bewundern zwischen den Sätzen ihre aufgeblasenen Körper, während ich mein eher minimalistisches Pflichtprogramm absolviere.
Es besteht aus jeweils fünf Sätzen Kniebeugen, Bankdrücken, vorgebeugtem Rudern und Schulterdrücken im Stehen. Meine Trainingseinheit dauert neunzig Minuten. Ich wiederhole sie mechanisch dreimal pro Woche. Die Bodybuilder akzeptieren mich, weil ich mich anstrenge und die Klappe halte. Das reicht offenbar aus, um dazu zugehören.
Diese Typen leben isoliert in ihrem eigenen fiktiven Kosmos, wo jeder Blick in den Spiegel den vermeintlichen Sinn ihres nutzlosen Unterfangens bestätigt. Wenn ich in den Spiegel blicke, sehe ich einen hageren alten Mann mit faltigem Gesicht, der Figur eines Zehnkämpfers und Schwielen an den Händen. Neulich hat mir eines der Massemonster Stoff angeboten, damit ich endlich anfange, wie einer von ihnen auszuschauen.
„Wozu“, fragte ich ihn.
„Warum trainierst du sonst?“
„Es ist Teil meiner Therapie.“
Seitdem ignoriert er mich.
Jetzt sitze ich alleine mit einem stillen Wasser an der Theke einer nahezu leeren Kneipe und beobachte die Bedienung bei ihrer Arbeit. Unaufgefordert stellt sie mir zwei Schnapsgläser Wodka hin und macht zwei Striche auf meinem Deckel. Dann nimmt sie eines der Gläser, bedeutet mir das andere zu nehmen.
Widerwillig folge ich ihrer Aufforderung und sage: „Ich schließe in Kneipen keine Freundschaften.“
Sie antwortet: „Wer will schon Freundschaft?“
Wir blicken uns in die Augen und stoßen an, leeren die Gläser in einem Zug und lassen sie laut auf die Theke knallen. Sie räumt ab. Ich schaue ihr hinterher. Ihre Figur gefällt mir.
Nachdem die Lichter erloschen und die Rollos herunter-gelassen sind, dauert es noch einige Minuten, bis sie aus dem Laden kommt und abschließt. Ich warte in einem Hauseingang.
Sie kommt zu mir herüber und fragt: „Einsam?“
„Zum Glück sind wir nicht mehr in der Kneipe.“
Sie lächelt. Ich lächle.
Heute Nacht schläft Micaela bei mir. Als ich aufwache, liegen wir eng aneinander geschmiegt in meinem schmalen Bett. Ihren ruhigen, gleichmäßigen Atemzügen lauschend dämmere ich wieder weg. Ich spüre auf einmal, wie sie sich vorsichtig aus meiner Umarmung löst und aufsteht. Ich sehe sie noch nackt im Bad verschwinden und betrachte mit hinter dem Kopf verschränkten Armen die Risse oben an der Zimmerdecke.
Die Toilettenspülung ist zu hören, danach Wasserrauschen.
Micaela kommt zurück. Sie streift sich ihren Slip über und zieht ihren BH an. Ich stehe auf, hole mein Portemonnaie aus der Jeans, lege kommentarlos zwei Fünfziger auf den Tisch.
Sie sagt: „Ich mache das nicht für Geld.“
„Was ist mit deinem Kind in Rumänien?“
„Die Mitleidstour gilt nur für die Freier.“
„Aber du brauchst Kohle“, sage ich und denke, was bin ich denn sonst?
Anscheinend hat sie meine unausgesprochene Frage gehört, denn sie sagt: „Du bist ein Freund.“
Ich schiebe ihr die Scheine rüber und verschwinde auf die Toilette.
„Du gibst mir nur Geld, weil du keine Verpflichtung willst“, ruft sie mir hinterher.
Was soll ich darauf erwidern?
Als ich zurückkomme, ist sie fort und das Geld auch.