Kurier schwitzt Blut und Wasser, weil einer der beiden gefesselten und geknebelten Jungs auf der Rückbank des Passat ihn kennt. Wenn der Bengel das Maul aufmacht, dann wird der Bodyguard sich ausgiebiger mit Kurier beschäftigen – und mit seinen Sohn Malte. In diesem Augenblick dirigiert der Bodyguard ihn mit knappen Worten aus der Stadt …
Es geht in einen einige Kilometer entfernt gelegenen Wald. Dort muss ich in eine unbefestigte Forststraße einbiegen. Auf dem Weg zu einer kleinen Lichtung passieren wir frisch geschlagene Bäume. Kaum habe ich den Motor abgestellt, zieht der Bodyguard die beiden Jungs aus dem Passat und schleift sie ein Stück weit auf die Lichtung, ehe er sie im Scheinwerferlicht fallen lässt. Noch immer das Lenkrad umklammernd sehe ich ihn zwischen den beiden in die Hocke gehen. Seine Stimme schallt bis zu mir herüber: „Wo ist der Stoff? Wo ist der dritte Mann?“
Die Jungs versuchen, einander anzuschauen.
Unvermittelt verpasst der Bodyguard ihnen schnelle harte Faustschläge in den Bauch, auf die Brust, an den Hals. Sie bäumen sich auf, schnaufen unter ihren zugeklebten Mündern. Er hält ihnen die Nasen zu. Sie können nicht mehr atmen. Ihre Körper zucken. Sie versuchen, mit den Beinen zu strampeln. Sie sind ihm wehrlos ausgeliefert.
Ich höre den Bodyguard sagen: „Na, wer will sich als erster Luft verschaffen?“
Einige Sekunden verstreichen, dann signalisiert der Seatfahrer Bereitschaft, auszupacken. Sofort rinnt mir wieder der Schweiß von der Stirn. Ich denke, alles ist aus. Zu meiner unendlichen Erleichterung weiß der Typ aber offenbar nicht, wer ich bin. Malte muss es ihm verschwiegen haben.
Kurz darauf lädt der Bodyguard die beiden wieder ein. Ich fahre in die Stadt zurück und halte vor Maltes Wohnhaus. Mir ist hundeelend, mein Sohn steckt tief in der Scheiße. Der Bodyguard wählt mit dem Telefon des Seatfahrers eine Nummer an. Der Seatfahrer starrt erwartungsvoll, ängstlich, er vermeidet den Augenkontakt mit mir. Eine Mobilbox antwortet. Kommentarlos steigt der Bodyguard aus. Mein Blick wandert vom Rückspiegel zum Seitenfenster, ich sehe, wie der Bodyguarddie Haustür erreicht und mithilfe seiner Handyleuchte die Klingelschilder liest. Auf Maltes Schelle steht hoffetlich noch immer nicht sein Name. Nach einigen Sekunden tritt der Bodyguard zurück und schaut hinauf zur obersten Etage. Die Fenster in der Wohnung sind dunkel.
Ich stehe mächtig unter Druck: Was soll ich tun? Was kann ich tun?
Kaum ist der Bodyguard wieder eingestiegen, reißt er dem Seatfahrer das Klebeband vom Mund. Der blökt zu seiner Verteidigung direkt los: „Malz wohnt da ganz oben. Bestimmt. Ich schwöre!“
Der Bodyguard klebt ihm den Mund wieder zu und sagt an mich gerichtet: „Wir warten.“
Wir warten.
Die Ungewissheit macht mich halb wahnsinnig. Ich habe das Gefühl, wechselweise von Fieberschüben geschüttelt und dann wieder in Eiswasser getaucht zu werden. Nach einer halben Ewigkeit deute die Straße hinab zur Trinkhalle und frage den Bodyguard, ob ich da vorne etwas zu trinken holen soll.
Er gibt mir einen seiner unduldsamen Blicke.
Schulterzuckend sage ich: „Ist nur so ‘ne Idee. Ich meine, das hier kann ja noch dauern.“
Kurz bevor ich die hellerleuchtete Trinkhalle erreiche, hole ich unauffällig mein Telefon hervor, sodass weder der Bodyguard noch die beiden Jungs etwas mitbekommen, und wähle per Kurzwahl Malte an. In unmittelbarer Nähe ertönt ein Klingelton, dann erscheint ein junger Mann im Eingang der Trinkhalle mit einem Mädchen im Arm. Mein Sohn erkennt mich sofort. Er setzt ein amüsiertes Grinsen auf.
Noch dürfte er vom Passat aus nicht zu sehen sein. Ehe er mich ansprechen kann, zische ich im strengen Tonfall: „Geh nach hause, Mädchen. Dreh dich einfach um und hau ab. Hörst du? Sofort.“
Das Mädchen versteht nicht, schaut verwundert zu Malte. Der kann seine Überraschung gut verbergen, küsst sie und sagt: „Ich ruf dich an, Schatz.“ Dann schiebt er sie lässig von sich wie ein echter Macker.
„Geh in die Trinkhalle“, befehle ich weiter.
Kommentarlos geht Malte hinein.
Ich hoffe inständig, dass der Bodyguard nichts mitbekommen hat.
Mit zwei Schritten bin ich in der Trinkhalle und packe meinen Vollidioten von Sohn am Kragen. „Was hast du Arschloch angestellt?!“