1
Der Bodyguard landete auf dem Rücken und starrte in die Mündung der Pistole. Ein Axthieb spaltete die 1 cm dicke Stahlkette an seinem Handgelenk. Der dünne Räuber mit der Eishockeymaske riss den Geldkoffer an sich und stieß dem abwehrend die Hände hebenden Bodyguard den Pistolenlauf ins Gesicht. Lachend trabte der Dünne davon.
Eine Glock 18c aus dem Fach in der gepanzerten Autotür ziehend schnellte der Bodyguard hinter dem Mercedes S 550 hoch. Der zweite, bullige Räuber hielt den mit einem Arm umklammerten Chauffeur wie einen Schild vor sich und feuerte augenblicklich. Mehrere Schüsse fielen gleichzeitig. Der Bullige verfehlte. Der Bodyguard nicht. Die Treffer rissen den Räuber samt Geisel von den Beinen. Wild um sich schießend ließ der Bullige den blutenden Chauffeur los. Der Bodyguard tauchte hinter dem Mercedes ab. Kugeln schlugen kreuz und quer. Unterdessen erreichte der Dünne mit dem Geldkoffer den silbernen Toyota Avensis. Geduckt hastete der Bodyguard um die Limousine herum, kam hinter der Motorhaube hervor und tötete den Bulligen mit einem gezielten Kopfschuss.
Laut aufjaulend setzte der Toyota zurück.
Die Pistole beidhändig in Vorhalte marschierte der Body-guard Richtung rückwärtsfahrendes Fahrzeug und pumpte Projektil um Projektil in die Karosserie. Der Avensis vollzog 180° Kehre und raste schlingernd auf die Kurve zu. Da platzte die Heckscheibe. Mit der 19. abgefeuerten Patrone, arretierte der Schlitten der Glock. In den wenigen Sekunden, die der Bodyguard benötigte, um ein volles Ersatzmagazin reinzurammen und durchzuladen, geriet der Toyota in der Biegung der Waldstraße außer Sicht. Bei jedem Schuss hasserfüllt „Hai!“ brüllend feuerte der Bodyguard einfach weiter.
2
„Du bist vielleicht nichts als ein Stück Ware mit rapide sinkendem Marktwert“, sagte Bea Bertram zu ihrem Spiegelbild auf der Toilette eines 4-Sterne-Hotels in Flughafennähe, „aber heute Abend, Engelchen, bist du ganz weit vorn.“ Sie gefiel sich in dem dunkelblauen Businesskostüm und der weißen Bluse, die langen blonden Haare hochgesteckt, dazu ein perfektes Make-up, das Natürlichkeit vortäuschte, aber viel Aufwand erforderte. Erfolgreich. Erotisch. Begehrenswert. Sie ging locker für 39 durch. Ein Beleg für ihre Disziplin.
Sie war zehn Jahre älter.
In der Hotelbar herrschte Männerüberschuss wie meistens unter der Woche, wenn Geschäftsreisende und mittlere Manager das Klientel bildeten. Bea war gekommen, um einen Mann aufzugabeln, einen einigermaßen charmanten Kerl, der passabel aussah, sie freihielt und nicht allzu schlecht vögelte. Doch alle starrten ausnahmslos auf einen Großbildschirm. Die Champions-League wurde übertragen. Halbfinale. Sie hatte lernen müssen, ihre Ansprüche der Marktrealität anzupassen. Im 21. Jahrhundert trat Bea auf der Spielwiese der Lust gegen Privat-Amateure an, gegen Semi- und Vollprofessionelle, gegen WhatsApp- und Tinder-Dater. Alle Welt war hemmungslos geil und überall und jederzeit bereit. Heute Abend ging’s auch noch gegen Fußball.
Schlechtes Timing.
Sie kehrte an ihren Platz zurück und bestellte einen weiteren Rotwein. An der Bar lehnte ein junger Mann, dessen Blicke vorzugsweise ihr und nicht dem Ball galten. Er lächelte schüchtern. Sie erwiderte seinen Annäherungsversuch mit einem einladenden Augenaufschlag.
„Sie interessieren sich also nicht für die Helden der Gegenwart?“, sagte der junge Mann als er sich neben sie auf die Bank setzte.
„Nicht, wenn die Helden einem Ball hinterherlaufen.“
Er trug Jeans zu weißem Hemd und dunklem Sakko, ein bisschen einfallslos, aber sorgfältig abgestimmt und passgenau geschneidert. Geruch: erdig-herb. Alles in allem akzeptabel, wie Bea befand.
„Ich heiße Wotan, freut mich“, sagte der Mann, den Bea auf Anfang 30 schätzte.
Der Barkeeper brachte ihm auch ein Glas Rotwein.
„Bea, freut mich ebenso“, sagte sie lächelnd, weil er sich Mühe gab und sie Details mochte.
Er lächelte, weil sie lächelte. Die beiden ließen ihre Gläser erklingen.
„Wotan, was für ein eigenwilliger Name.“
„Man vergisst ihn jedenfalls nicht so leicht.“
Er besaß strahlend weiße Zähne, noch ein Plus. „Besitzt der Name in Ihrer Familie Tradition?“
„Das weniger. Meine Eltern hatten vor meiner Geburt Freikarten für den Ring der Nibelungen gewonnen. Ich vermute, die Oper wird den Ausschlag gegeben haben.“ Wotan nahm einen Schluck Rotwein.
Bea sagte: „Aha. Wissen Sie auch, was Ihr Name bedeutet?“
„Auch.“
„Und?“
„Na ja, er steht für, aber jetzt bitte nicht lachen …“
„Wie könnte ich?“
„Er steht für die Summe der Intelligenz der Gegenwart.“
„Wie heldenhaft.“ Bea verzog keine Miene. Einmal hatte sie einen jungen Hirnakrobaten aufgelesen, der sein Sixpack im Spiegel bewunderte, während er sie von hinten nahm. Sie schloss daraufhin ihre Augen, dachte an ein dunkelgelocktes, jungenhaftes Unterwäsche-Model und ließ Adonis rackern. Kaum hatte er ihr einen Orgasmus verschafft, setzte sie ihn vor die Tür. Sollte er doch im Flur abspritzen.
„Was sind Sie für ein Sternzeichen, Wotan?“
„Oh, sind wir schon soweit?“
„Ist das etwa eine intimere Frage, als die nach der Bedeutung Ihres Vornamens?“
„Welche Bedeutung hat denn Ihr Vorname, wenn ich fragen darf?“
Bea sah ihm tief in die Augen. „Die Beglückende.“
„Das passt aber wirklich zu Ihnen … Bea.“ Er betonte jede Silbe einzeln.
„Ich habe am gleichen Tag wie Beatrix von den Nieder-landen Geburtstag“, sagte sie und fügte an, weil er sich offenbar mit Royalitäten nicht auskannte, „ich bin Wassermann.“
„Ich bin Skorpion“, hörte sie Wotan nach einigen Sekunden Stille sagen.
Ein anderes Mal hatte ein 55-jähriger Skorpion Bea mit auf sein Hotelzimmer genommen. Zuvor spendierte er ihr ein groß-zügiges Abendessen, Vier-Gänge-Menü mit Champagner. Es dauerte bestimmt 20 Minuten, bis die blaue Pille wirkte. Sein Geschick ließ zu wünschen übrig, dafür bewies er Ausdauer wie ein Triathlet. Bea verlor schließlich die Lust.
Wotan sagte: „Ich mache digitales Marketing und entwickle Online-Strategien für Markenartikler.“
Er gehörte sicher zu denen, die am liebsten über ihren Job redeten, darum sagte sie: „Ich bin in der Kosmetikbranche.“
„Der Kampf um die Endkunden wird heute nur noch im Netz gewonnen.“
„Ich bin im Außendienst bei Beauté de l’Exquisite.“
„Eine großartige Marke. Eure neue Onlinestrategie ist weg-weisend für die gesamte Branche.“
„Finden Sie?“, fragte Bea, die seine Begeisterung nicht nachvollziehen konnte.
„Absolut. Die Zukunft ist mein Geschäft. Ich verstehe was von Siegern und ihr gehört zur Speerspitze der digitalen Revolution in der Kosmetikbranche“, mit einem besonders charmanten Lächeln hob Wotan sein Weinglas, „auf uns Sieger.“
Sie trank gierig. Heute Vormittag hatte Trixi, die junge L’Exquisite Vertriebschefin, ihr nach über 20 Jahren den siegreichen Weg gewiesen. Aufgrund der neuen Onlinestrategie gäbe es fortan keine Verwendung mehr für sie. Sie wolle daher nicht länger Beas Zukunft im Wege stehen und bot ihr einen Aufhebungsvertrag an: sofortige Freistellung, sechs Monate Gehaltsfortzahlung, einmalige Sonderprämie on top, dazu Nutzung des Firmenwagens bis Jahresende. Anschließend sagte die verlogene Ziege mit aufgesetzt teilnahmsvoller Miene, dass Bea selbstverständlich 48 Stunden Bedenkzeit bekäme, für eine hoffentlich positive Antwort. Sie wünschte Trixi Feigwarzen an die gepiercten Schamlippen.
Auf dem Großbildschirm ging die Champions-League in die Halbzeitpause. Der Barkeeper schaltete um auf eine Talkshow. „-es geht um eine Rückbesinnung auf die wahren, von den Alt-Parteien verratenen deutschen Werte“, hörte Bea einen Politiker mit gespielter Empörung sagen, den sie schon immer zum Kotzen fand, „besonders in diesen Zeiten. Wir haben viel zu lange, viel zu viel von unserer nationalen Identität für Brüssel aufgegeben. Und warum?“ Der Moderator schaute interessiert über seine Lesebrille hinweg: „Ja, warum, Herr Dr. Flach, kon-“ … „-trollieren sie den Ball nicht …?“ Zwei Fußballexperten laberten bedeutungsschwanger über das Gekicke. Der Barkeeper hatte wieder auf Sport umgeschaltet.
Haken an den Smalltalk, dachte Bea, leerte ihr Glas Rotwein in einem Zug und schob es von sich.
Zur Getränkekarte blickend fragte er: „Was mögen Sie?“
„Grundsätzlich oder in diesem Moment?“ Verführerisch sah sie ihn an.
Der junge Mann wirkte verunsichert.
„Komm, wir gehen aufs Zimmer“, flüsterte sie ihm ins Ohr und rutschte von der Bank.
„Äh, bist du etwa eine Professionelle?“ Wotan war plötzlich misstrauisch.
Sie zog einen Schmollmund. „Ich stehe auf professionellen Sex, aber ich habe keine finanziellen Interessen.“
Erleichtert hing Wotan sich einen großen Rucksack um und übernahm die Getränkerechnung. Bar, passend abgezählt, ohne Trinkgeld.
Bea ergriff seine Hand. Eilig steuerte sie den Aufzug an.
„Welche Etage?“ Sie drückte den Aufzugknopf.
„Lass uns lieber auf dein Zimmer gehen.“
Seinen Blick haltend sagte sie mit erotischem Timbre in der Stimme: „Ich übernachte nicht in diesem Hotel.“
Ein Klingelton signalisierte das Eintreffen des Aufzugs. Einige Sekunden darauf öffnete sich rumpelnd die Tür.
„Äh … ich habe auch kein Zimmer hier“, sagte Wotan.
„Hast du wenigstens ein Auto?“
„Also ich … ich leiste einen aktiven Beitrag zur Emissions-verringerung. Genau.“ Wotan versuchte erneut sein besonders charmantes Lächeln. Es missglückte diesmal.
Bea stieß ihn in die Fahrstuhlkabine und drückte auf Tief-garage. Ihr Firmenwagen bot genügend Platz. Die Frage nach einem Gummi ersparte sie sich. Wollte sie einen zweibeinigen Dildo, dann musste sie sich um jede Kleinigkeit selbst kümmern. Hauptsache er war schön hart, wollte hinterher nicht kuscheln und stellte vor allem keine Fragen, wie’s für sie war oder ob er’s ihr gut besorgt hätte.
3
Dejan hetzte zum Toyota Avensis und sprang hinters Lenkrad. Beim Zurücksetzen musste er mitansehen, wie der Bodyguard Jojo mit einem Kopfschuss tötete und dann die Pistole beid-händig haltend auf ihn zu marschierte und dabei ständig abdrückte. Er hätte den Aufpasser wie geplant abknallen sollen. Tief hinter dem Lenkrad liegend riss Dejan das Steuer herum und zog die Handbremse an. Der Wagen wirbelte 180° um die Längsachse. Projektile durchschlugen die dünne Blechhülle. Er rammte den Vorwärtsgang rein. Der Toyota bockte nach vorn, fuhr schlingernd davon. Die Heckscheibe platzte mit einem lauten Knall, kleine Glassplitter stoben durch den Innenraum. Endlich die Kurve. Im Rückspiegel sah Dejan noch wie der Bodyguard breitbeinig stehenblieb. Intuitiv schlug er das Lenkrad ein. Der Avensis schleuderte hin und her, beinahe hätte es ihn aus der Kurve getragen. Das Magazin seiner Pistole wechselnd verschwand der Aufpasser aus dem Rückspiegel.
„Um neun Uhr fahren sie nach Zürich und nehmen das Geld in Empfang“, hatte Dejan auf Jojos Frage geantwortet, „danach kommen sie direkt zurück. Sechs Stunden hin, vierzig Minuten Aufenthalt, sechs Stunden zurück.“
„Und woher weißt du das?“
„Ich habe es überprüft.“
„Quack, nur weil es letzte Woche so gelaufen ist, heißt das längst nicht-“
„Mensch Jojo, halt die Fresse und hör zu: Genau das heißt es. Morgen ist die zweite Fahrt. Die letzte.“
Verärgert schaute Jojo zur Theke.
Immer das gleiche mit ihm, dachte Dejan. „Jetzt spiel nicht wieder das Sensibelchen.“
„Mann, wenn ich nur daran denke, wie viele Scheine uns durch die Lappen gegangen sind.“
„Erst biste skeptisch und dann kriegste den Hals nicht voll.“
„Ich meine ja nur.“
„Was?“
„Was machen die mit der ganzen Kohle?“
„Waschen.“
„Im Waschsalon?“ Jojo lachte albern.
„Laberkopp. Das ist Kohle, die er beiseite geschafft hat, Schwarzgeld. Und jetzt hat er Muffe, dass sie ihm auf die Schliche kommen. Steuer-CD und so. Jedenfalls muss er’s rausholen und woanders bunkern.“
„Woher weißte das eigentlich alles?“
„Weil ich’s weiß. Reicht das?“
Jojo atmete laut aus.
Dejan machte eine beschwichtigende Geste mit den Händen.„Mir wurde gesteckt, der kauft damit Immobilien. Die kannste bar bezahlen und es interessiert keine Sau. Und wenn’s doch einer meldet, dann ziehen sich die Ermittlungen über Monate, bis dahin ist die Kohle längst weg.“
„Ist der etwa bei der Mafia …? Sag mal spinnst du, ich beklaue doch nicht die Mafia!“
„Quatsch. Wer redet denn von Mafia? Nee, der Typ ist einfach nur krumm und muss Spuren verwischen. Keiner darf von dem Schwarzgeld Wind kriegen. Ist schlecht fürs Image. Jetzt hör zu. Die sind nur zu zweit, ein Fahrer und ein Aufpasser. Der ist zwar bewaffnet, aber er rechnet nicht mit uns. Wir greifen wie gesagt die Kohle auf der Waldstraße ab, legen ihre Karre lahm und nehmen ihnen die Handys weg. Bis zum nächsten Ort sind es fünf Kilometer. Perfekt.“
Jojo schaukelte unruhig hin und her. „Aber irgendwann kommen die an ein Telefon und dann haben wir sie an den Hacken. So einer hat nicht nur einen Kerl mit ’ner Knarre.“
„Und wenn schon. Niemand kennt uns. Es gibt keine Verbindung zwischen dem reichen Sack und uns. Was soll er denn machen? Den Bullen erklären, dass man ihm Schwarzgeld geklaut hat? Kann er nicht. Außerdem habe ich unseren Abgang in die Sonne arrangiert. Wir werden spurlos verschwinden.“
„Wir sollten trotzdem beide kaltmachen. Sicher ist sicher.“
„Meinetwegen, wenn du dich dann besser fühlst.“
„Sag du mir, wie man sich dann fühlt?“
„Zu Anfang kickt’s mächtig, später weniger.“
„Was interessiert mich später?“
„Dann mach sie kalt, wenn wir die Kohle haben.“
„Nicht ich. Du und ich“, sagte Jojo, „jeder einen.“
„In Ordnung, dann legt eben jeder einen um.“
„Abgemacht?“
Sie schlugen ein.
Jojo grinste wieder. „Haste schon überlegt, was du mit dem ganzen Geld anstellen willst?“
Im Fahren stellte Dejan die Zahlenkombination der beiden Schlösser ein, das Geburtsdatum des Besitzers, wie sie gesagt hatte. Was für ’n Billigheimer. Er öffnete den Koffer und fingerte durch den Inhalt: 200er, 100er und 50er. So fühlten sich also rund zehn Millionen Euro in Cash an. Mehr Geld als er jemals in seinem Leben gesehen hatte. Geschafft. Die schlechten Zeiten waren endgültig vorbei. Nie wieder Scheiße fressen.
Immer schneller raste der Toyota durch die Nacht.
Dejan schaltete das Fernlicht ein. Langen Leuchtlanzen gleich ragten die Scheinwerfer in die Dunkelheit. Er begann zu schwitzen, fühlte sich auf einmal matt, spürte, dass seine linke Bauchseite klebrig-nass war. Blut. Sveto sranje! Der Aufpasser hatte ihn erwischt. Ihm wurde schwindelig, seine Sicht verschwamm. Der Toyota geriet ins Schlingern. Den Fuß vom Gas nehmend stabilisierte Dejan mühsam das Fahrzeug. Seine rechte Hand tastete nach dem Handy. Der Monitor war ein grelles, unscharfes Rechteck. Er blinzelte, versuchte die Namen im Register zu erkennen, fand endlich die gesuchte Person und drückte das Anrufsymbol.
. . .