Interview zum neuen Roman . . .
Worum geht es in FANAL ?
Vordergründig um einen ehemaligen V-Mann, der bei einem Abstecher nach Deutschland, den er gezwungenermaßen unternimmt, um Geld aufzutreiben, von ehemaligen Staatsschützern und Geheimdienstlern genötigt wird, erneut seinem alten Handwerk nachzugehen, das er in den 80er – 90er Jahren bereits für den Staatsschutz ausgeübt hatte. Mich interessiert diese Grauzone von Obrigkeit, sei es Staatsschutz oder Polizei, und Verbrechen, ob politisch angetrieben oder rein kriminell, d.h. materialistisch motiviert.
Vor ewigen Jahren hatte ich intensiven Kontakt zu einem Verdeckten Ermittler, die Gespräche haben mich dahingehend sensibilisiert, genauer hinzuschauen. In FANAL setzte ich mich aus der Perspektive unterschiedlichster Charaktere mit dieser Grauzone auseinander.
Wie kam die Idee zustande?
Der konkrete Aufhänger war die Occupy-Bewegung 2011-2012. Ich war im Vorfeld des arabischen Frühlings zufällig in Ägypten gewesen und hatte hautnah die Spannungen erlebt, die dort auf der Straße für jeden Beobachter erkennbar waren. Als es dann in Tunis losging und wie ein Lauffeuer durch Nordafrika und den Nahen Osten wanderte, entstand überall eine revolutionäre Stimmung, die einige Monate später, wenn auch unter völlig anderen Vorzeichen und Themen, in den USA zur Occupy-Movement führte.
Dann gingen in Deutschland die Menschen gegen die Politik der Banken, gegen die Auswüchse des Finanzkapitalismus auf die Straße. Eine Entwicklung, die seit Seattle 1999 immer mehr an Zulauf gewann und dem Staatsschutz echt Sorge bereitet. Ich erinnere nur an Heiligendamm oder den G20-Gipfel in Hamburg 2017. Am Beispiel unserer bürgerlichen Medien konnte man 2011/12 sehr gut studieren, wie die Occupy-Bewegung im Laufe der Zeit schrittweise abserviert wurde. Totgelabert von den ewig gleichen Dummschwallern.
Für einen Roman muss man ja zuspitzen, also stellte ich mir die Frage: Was ist, wenn die gleichen Leute, die zwanzig Jahre früher den RAF-Terrorismus unterwanderten und an Straftaten beteiligt waren, nun ihre Chance erkennen, um wieder ins Geschäft zukommen? Damit war zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart ein unmittelbarer Zusammenhang hergestellt und ich konnte mich mit dem Thema Staat und Terrorismus viel breiter und grundsätzlicher auseinandersetzen.
Wieso ausgerechnet das Thema?
Die Baader/Meinhof-Bande oder Rote-Armee-Fraktion, hat mich 28 Jahre lang immer wieder beschäftigt. Sie begleiteten sozusagen meine Kindheit und Jugend. Die Fahndungsplakate hingen bei uns im Dorf in der Post und allen anderen öffentlichen Gebäuden aus. Die Verhaftung von Baader und Meins wurde in der Tagesschau gezeigt. Zwei ausgemergelte Kerle in Unterhosen, die von mehreren uniformierten Polizisten festgehalten wurden. Eine Vorführung für die Bevölkerung zur besten Sendezeit.
Die Endphase des Deutschen Herbst 1977 habe ich im Schullandheim miterlebt, das war wochenlang Thema und dann schließlich viel später die Morde an Herrhausen und Rohwedder, da war ich gerade voll ins Berufsleben eingestiegen.
Seltsam wie erleichtert ich mich fühlte, als der Gewaltverzicht bekanntgegeben wurde und dann später die Selbstauflösung. Als wäre von kleinauf im Unterbewusstsein verankert gewesen: auch du bist in Gefahr. Was natürlich Blödsinn war, aber schon zeigt, wie die öffentliche Berichterstattung auf die Psyche eines Kindes einwirkt. Offensichtlich musste das aufgearbeitet werden.
Wie stehst du persönlich zum Terrorismus im Allgemeinen und zur Roten Armee Fraktion im Besonderen?
Terrorismus ist sowohl Strategie als auch Taktik, von Schwächeren gegenüber einer Übermacht angewendet. Die ersten Terroristen der Neuzeit waren die Anarchisten ab der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts, die sich gegen das Unrecht und die Gewalt der Obrigkeit zur Wehr setzten und Verantwortliche wie unschuldige Menschen erschossen oder wegbombten. Die Wurzeln liegen im Klassenkampf. Wir haben zum einen ein legitimes Anliegen, das Einfordern von Rechten und dem Kampf gegen die Ausbeutung, zum anderen eine Waffenwahl, die jeden diskreditiert, der zur ihr greift, und sofort gegen die gute Sache verwendet wird. Diese Form von Terror lehne ich strikt ab.
Es gibt für mich aber eine klare Trennung zwischen Terrorismus gegen Systemvertreter oder die Zivilbevölkerung in einem freien Land und Guerillawiderstand, Freiheitskampf, wie er im besetzten Frankreich gegen die Nazi-Okkupation stattfand oder später in Kuba und Algerien. Ich finde den zivilen Ungehorsam, wie Martin Luther King und Mahatma Gandhi ihn betrieben, oder heute Extinction Rebellion ihn betreibt, in unserer Gesellschaft legitim und probat. Außerdem führt er nachweislich zu Veränderungen, weil er die Bevölkerung nicht entfremdet.
Die entscheidende Frage ist also, wie schaffe ich es, die Mehrheit der Bevölkerung zu überzeugen, um wirklich notwendige Veränderungen herbeizuführen? Die parlamentarische Demokratie ist schwer imstande, sich grundsätzlich und konsequent zu verändern, wenn sie nicht von großen Bewegungen, wie der Friedensbewegung oder der Anti-Atombewegung dazu gezwungen wird.
Zur RAF im Besonderen. Die Gedanken dazu habe ich im Roman aus Sicht der Charaktere dargelegt, weitere Überlegungen sind im Zusatzmaterial skizziert. Darum möchte ich den Fokus deiner Frage auf die Personen legen, die in Westdeutschland in den 1970er – 1980er Jahren in den terroristischen Untergrund gingen. Ich habe mal irgendwo gelesen, dass man die Gedanken eines Philosophen nicht von seiner Psyche und seiner Sozialisation trennen kann. Man könnte auch sagen, es ist der Charakter, der die Gedanken färbt. Das trifft für mich durchaus auf die RAF-Mitglieder zu. Wobei hier wohl zwischen den sogenannten Generationen unterschieden werden muss.
Bei Baader, Meinhof und Co. glaube ich eine starke Traumatisierung in der Kindheit zu erkennen, die ihre Radikalität befördert hat. Die zweite und dritte Generation bestand mehrheitlich aus Leuten mit einem hohen Ungerechtigkeitsempfinden, die sich aus dem Umfeld der Sympathisanten rekrutierten. Da war die Entscheidung eine viel überlegtere, könnte ich mir vorstellen.
Der Schritt in den Untergrund verlangt neben starker politischer Überzeugung, Willen und Mut. Es braucht viel Kraft, isoliert als Gejagter zu leben, vor allem, wenn man es über Jahre durchhalten will oder muss, im Bewusstsein, dass die Familie, die alten Freunde usw. alle beobachtet werden und ständig versucht wird, V-Leute an einen heranzuspielen usw. Da reicht Abenteuerlust meiner Meinung nach nicht sehr weit. Natürlich gab es auch Aussenseiter-Typen, die sich über das Anti-Gesellschaftselement in dieser Gruppe definierten, aber irgendwann beschäftigt man sich damit, aus dem Untergrund zurückzukehren – Grams und Hogefeld scheinen Überlegungen in diese Richtung gehabt zu haben – nur wie soll das dann gehen?
Mit dem Leben im Untergrund verhält es sich meiner Meinung nach ähnlich wie mit Soldaten im Kampf. Das ganze Gelaber von Vaterland, Demokratie und Freiheit verteidigen, verflüchtigt sich und die kämpfen dann nur noch für die Kameraden gegen die Feinde, die einen töten wollen, genau wie man sie selbst töten will. Ich kann mir gut vorstellen, dass man im Untergrund auch ganz schnell in einer vereinfachten Freund-Feind-Welt lebt und die ganzen politischen Motive und Ziele etwas in den Hintergrund treten. Wer von aller Welt gejagt wird und sein Gesicht auf Fahndungsplakaten im ganzen Land wiederfindet, dessen Fokus ist es, unerkannt zu bleiben und zu überleben. Man lebt irgendwann nur für den nächsten Tag.
Karl-Heinz Dellwo ist in dieser Hinsicht ja sehr offen, auch wenn das, was er sagt, für mich immer noch der Versuch ist, die Sinnlosigkeit des eigenen Handelns nicht zuzugeben. Er ist stark bemüht, den Verständniskontext herzustellen, aus dem heraus er seine damalige Entscheidung getroffen hat. Dies kann ich sehr gut nachvollziehen, die Typen, die er kennen gelernt hat, gab es in meiner Kindheit zuhauf. Vielleicht ist aber das rationale Begründen nichts anderes als die Rechtfertigung eines irrationalen Impulses, der dich zwingt etwas zu tun und du erkennst es erst, wenn du es getan hast.
Das sogenannte RAF-Trio ist hier schon eine echte Besonderheit, die leben seit bald vierzig Jahren im Untergrund. Mit denen würde ich mich gerne darüber unterhalten, vielleicht ist es ja auch alles Quatsch, was ich sage und die Wahrheit eine ganz andere.
Wie kam der Titel zustande?
Ich wollte einen einprägsamen Titel, der nicht so geläufig ist, zugleich aber auf mehreren Ebenen funktioniert. Fanal bedeutet ursprünglich Leuchtzeichen, Fackel, diente beim Militär als weithin erkennbares Feuer/Rauchsignal. Es bezeichnete das Licht in einem Leuchtturm und wird heute mit einem folgenschweren Ereignis assoziiert, im Positiven wie im Negativen. Passt genau.
Es gibt keine positiven Charaktere. Warum nicht?
Was heißt denn schon positiv? Ich hoffe sie sind menschliche Charaktere, mit all ihren Sehnsüchten, Wünschen, Widersprüchen. „Nicht wir verändern uns, es ist das Leben, das uns verändert“, um Jean-Pierre Melville zu zitieren. Genau das ist mit allen Charakteren geschehen.
Du kategorisierst das Buch als Noir und nicht als Thriller.
Noir beschreibt es treffender. Ich folge hier Manchette, der sagt, die vorherrschende Weltordnung ist schlecht. Der Roman noir, verkürzt Noir, trägt dem Rechnung. Thriller sind für mich immer irgendwie von einer Obrigkeitsordnung geprägt, die für die Rettung verantwortlich ist und am Ende diese Ordnung zumindest teilweise wiederherstellt. Das sollen andere schreiben.