UNTER DEUTSCHEN HEIZPILZEN III

Bis zur Frankfurter Buchmesse ist nicht mehr lang. Kurze Reflexion über Strickmuster des Erfolges.

Ein Bestseller-Projekt muss den Zeitgeist treffen. In den USA sind zurzeit Thriller mit Frauen als unzuverlässige Ich-Erzählerinnen, die auch psychopathische Mörderinnen sein könnten, angesagt. Oh Ungewissheit, wie du mich quälst! Häusliches Schwarz, heißt das Genre wörtlich übersetzt, das Frauen vorgeblich lesen wollen. Dafür zahlen die Großverlage Millionen, zumindest amerikanischen Autoren, die bekommen dazu auch noch einen siebenstelligen Filmdeal hinterher geschmissen und werden aufgrund ihres Erfolges von bourgeoisen Kulturmagazinen hofiert. So schreibt eine kritische Journalistin allen Ernstes über ihre Begegnung mit einem auflagen- und umsatzerfolgreichen Schreiber des letzten Jahres: „Er ist wirklich ein auffallend schöner Mann, wie er lässig in den Sessel sinkt, ein Bein elegant über die Lehne geschwungen und mich aus dunklen Augen fixiert …“

Und wie sinnlos er erst schreibt

Geht es der Ästhetin um Literatur oder darum ein – in diesem Falle auch noch unerreichbares, weil homosexuelles – Objekt der Begierde zu studieren? Die Intention ist offensichtlich, es geht ums Verkaufen. Weibliche Phantasie will stimuliert werden, auch Blümchensex sells, gerade bei den vermeintlich feineren Blättern, die haben’s ja ebenso bitter nötig wie Printprodukte im Allgemeinen. Eines ist aber schon interessant, der schöne Mann schreibt unter weiblichem Pseudonym so überzeugend für sein feminines Publikum, dass es schon wieder Respekt abnötigt – vorausgesetzt der eigene Bezugsrahmen ist entsprechend verlötet.

Der Heilfaster ruft laut: Die Ami-Mainstream-Erfolgssoße ist heute überflüssiger wie eh und je. Sie beutet die Hysterie im verwirrten Morden angekommener identitätssuchender LeserInnen aus.

Und was geht in Dunkelland, außer hysterischen Angstthrillern aus Freuds Unterstübchen?

Ein beliebiges Beispiel aus der modrigen Totengruft der Dichter und Dachter. Hier verdingt sich ein von der Branche bekanntlich wie ein Fußabtreter behandelter Drehbuchautor (gemäß Selbstwahrnehmung der Gruppe Kontrakt 18) als Romandebütant und lässt die charakterlich reine – weil Polizeischülerin – Protagonistin im Adjektivgewitter in die Liebesfalle mit einem Neo-Nazi taumeln. Dazu vermischen sich Gut und Böse, um dem gesellschaftlich relevanten Thema Neo-Nazismus und Faschismus auf den Zahn zu fühlen. Die überwiegend weibliche Leserschaft erschaudert und hofft, es möge gut ausgehen. (Was es bestimmt auch wird, denn eine Polizeischülerin verspricht Serienpotential und muss daher in neue erschütternde Abenteuer taumeln können. Vielleicht aber auch nicht, wer kann schon Kaffeesatz lesen?)

Der bemühte Großverlag lässt nichts unversucht, um die Lektüre an die Frau zu bringen, denn Männer lesen bekanntlich immer weniger und so etwas eher noch viel weniger. Für den Sermon wird vor dem großen Buchstart mit XXL-Leseprobe auf Kindle getrommelt, damit auch wirklich alle zugreifen. Nach tapferem Lesen der Textprobe machen allerdings das bei deutschen Verlagen genrebewährte Cover der Marke „Haus des Schreckens trifft auf Immobilien-Scout Schnäppchenmarkt“ und die phrasenhafte Anpreisung der Herausgeber den 476 mehr oder weniger Seiten vollends den Garaus.

Der Schauder ist so vorprogrammiert wie eine Flugreise nach Bielefeld, inklusive Mietwagen und AirBNB Unterkunft.

Wird bestimmt ein Erfolg, der Schinken. Alles richtig gemacht.

Des Serienkillers Massakerstätte – bares Gold für deutsche Thrillertitel

Der Heilfaster ruft laut: Der deutsche Mainstream suhlt sich in seiner gesellschaftlichen Relevanz, aber schon die Herangehensweise entlarvt die Pose. Sie doktern an Symptomen und haben weniger als nichts zu sagen.

Wie schrieb Karlfried Nitzsche bereits im Jahre 1887 richtigerweise über unser Heute*: Die Instagram-Facebook-WhatsApp-Tinder-Gesellschaft erweist sich als eine einzige idiotisch-überhebliche Selbstinszenierung, die im Milli-Sekundentakt die Substanzlosigkeit ihres eigenen Wesens mittels millionenfacher Foto-Film-Text-Tonbeweise offenbart.

Und einige Seiten darauf: Wer selber bloggt, ist auch noch schuld.*

Wo der Dachter recht hat, ist links kein Platz mehr. Wer jetzt noch aufbegehrt, wird abgedeckt.

* zitiert aus: Die schnöde Meisterschaft, Seiten 38 und 45, Eiland-Verlag Leipzig, 1887, eingestampfte Nullnummer.

Auch Karlfried stierte niemals in den selben Fluss

Leseliste für den stürmischen Bücherherbst:

In belieber Reihenfolge reinziehbar, außer die Lektüre von 7.

  1. The Getaway – Jim Thompson
  2. Nada – Jean-Patrick Manchette
  3. A Scanner Darkly – Philip K. Dick
  4. L’Education Sentimentale – Gustave Flaubert
  5. The Second Punic War – Livi
  6. Salammbo – Gustave Flaubert
  7. Parker Series – Richard Stark (nur von The Hunter bis Butcher’s Moon, aber unbedingt in chronologischer Reihenfolge!)

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