Gangland Tel Aviv – Story

Shchunat HaTikvah gilt als der berüchtigste Slum in Tel Aviv, von hier stammt das schlimmste Kroppzeug der israelischen Unterwelt, die Kredithaie und die Dealer, die Zuhälter und die Gangsterbosse und natürlich die Mörder . . .

Auch Zev wurde hier geboren. Damals betrieb seine Mutter noch das Bordell in der Etsel Straße. Der Junge wuchs ohne Vater auf und lernte früh sich durchzusetzen. Er galt als talentiert, kein Baseballschläger konnte seinem Schienenbein standhalten. Schon bald träumte er von einer Karriere als Kickboxer. Mit der Schule hatte er es weniger. Sein Trainer meinte, Zev hätte vielleicht das Zeug zum Profi. Ein Promoter aus Brooklyn zeigte Interesse und besorgte obendrein ein Visum. Und weil Zev das große Geld machen wollte, flog er über den Atlantik.

. . . von oben auch nicht schöner – Tel Aviv

Die nächsten zwei Jahre verbrachte er tagsüber damit, in den Videokabinen eines Sex-Shops Sperma und Pisse aufzuwischen und nachts, Sandsäcke und Sparringspartner in Noahs altem 32nd Street Gym zu verdreschen. Täglich außer am Shabbaz. Das Blut der Verlierer wischte ein einarmiger Puerto Ricaner vom Ringboden, dessen Kampfname Hammer lautete und der vielleicht auch mal das Zeug zum Profi hatte, bevor ihm Koks, Nutten und billiger Fusel zum Verhängnis wurden. Gerüchteweise verlor er seinen rechten Arm, weil er ihn als Pfand versetzte und den Kredit am Fälligkeitstag nicht begleichen konnten. Der Geldverleiher bestand auf seinem Pfund Fleisch und hielt sich mittels einer Axt schadlos. Damit der Hammer seine Lektion auch wirklich lernte, wurde er gezwungen, seinen abhackten Arm unter Aufsicht an die Kampfhunde des Geldverleihers zu verfüttern.

Ab und zu durfte Zev sogar richtig kämpfen und galt dann bei den Buchmachern als haushoher Favorit, meistens musste er knapp verlieren. Zur Belohnung gab‘s Schnee für die Nase und ein paar Nutten für die Nacht. Seine Karriere verabschiedete sich auf Raten. Schließlich wurden ihm die Winter in New York zu kalt und er kehrte hierher zurück, nach Shchunat HaTikvah, was übersetzt Quartier der Hoffnung heißt.

Zev in Aktion

Eine zeitlang verkaufte Zev mit mäßigem Erfolg gebrauchte Mobiltelefone, bevor er als Eintreiber bei Uri, einem illegalen Geldverleiher, bei dem das halbe Viertel in der Kreide stand, anheuerte. Die meisten Kreditnehmer waren keine Zocker oder Junkies, sondern sogenannte kleine Leute: einfache Arbeiter, Angestellte, Einzelhändler. Sie brauchten das Geld für den täglichen Überlebenskampf. Seit dem die dreißig Familien das Land beherrschten, waren die Zeiten schlechter als je zuvor. Aber noch schien die Mehrheit der Bevölkerung der Ideologie vom ungehinderten, freien Spiel der Marktkräfte Gauben zu schenken. Besonders Uri. Sein Geschäft wuchs zweistellig. Um ihre Kleinkredite abzustottern, mussten seine Gläubiger solange täglich eine Handvoll Schekel in bar abliefern, zuzüglich dreißig Prozent Zinsen, bis ihre Schuld getilgt war. Dann zerriss Uri feierlich die Karteikarten, auf denen er sämtliche Zahlungen akribisch vermerkte, und verabschiedete seine Ex-Schuldner mit einer freundlichen Umarmung bis zum nächsten Mal.

Die Autobombe veränderte alles. Ihre Druckwelle zerstörte Uris nagelneuen BMW, beschädigte das Mauerwerk seines Büros und ließ sämtliche Türen und Fenster bersten. Die Verantwortlichen konnten nicht ermittelt werden. Uri vermutete georgische Konkurrenz. Er ließ das Gebäude zu einer Festung ausgebauen: verstärkte Wände, Stahltüren, vergitterte Fenster und mehr Sicherheitskameras als die Knesset. Uri ging ohne seine neuen Bodyguards nicht einmal mehr zum Klo. Die Kerle waren zwei ehrenhaft entlassenen Veteranen der israelischen Armee. Sie hatten sich durch besonders grausames Durchgreifen gegen die palästinensische Zivilbevölkerung im Gaza-Streifen und dem Westjordanland für den Job empfohlen. Zev hielt sie für ausgemachte Psychopathen und Uri für ausgemacht paranoid. Beides stimmte.

Es war bereits dunkel und noch sehr heiß. Der Mann keuchte, seine Ledersohlen schlugen hart auf den Asphalt. Er schwitzte, vor Angst und vor der Hitze. Die Polizei würde seine Leiche später als Ehud Weizmann identifizieren. In diesem Moment hastete er im Häuserschatten einer dunkle Seitenstraße entlang. Hinter ihm auf der Rehov Etsel, rauschte der Verkehr.

Tel Aviv – Shchunat HaTikvah

Im Übermut einer langanhaltenden Glückssträhne, hatte Ehud Weizmann sich einmal lachend als degenerierten Spieler bezeichnet, dabei meinte er es absolut ernst. Selbst als er zu verlieren begann, glaubte er noch fest an sein Glück und spielte weiter. Doch Fortuna kniff die Knie zusammen und seine Geschäfte brachten ihm nicht genügend ein, um die tägliche Shekel-Rate plus dreißig Prozent Aufschlag bei Uri abzuliefern. Allmählich verging Ehud das Lachen. Seit drei Tagen war er auf der Flucht.

Als er Zev hereinkommen sah, verliess Ehud das Steakhouse diskret durch die Küche und lief danach kreuz und quer durch die Straßen des Viertels. Wahrscheinlich wartete seine Begleiterin noch immer in der schummrigen Nische auf ihn. Hier irrte Ehud. Sie wartete mittlerweile auf der Rückbank von Uris neuem nachtschwarzem 7er BMW, eingezwängt zwischen Uris psychopathische Bodyguards, deren Hände rechts und links ihre nackten Oberschenkel massierten. Auch sie schwitzte. Augenscheinlich vor Angst. Denn die Klimaanlage regelt die Temperatur im Inneren des Wagens auf kühle 19 Grad Celsius. Die Frau nannte sich Natasha, stammte aus der Ukraine und arbeitete für einen Escort-Service. Sie hatte Ehud erst fünf Minuten vor dem Date kennengelernt. Inzwischen schuldete er ihr ebenso Geld.

Zev verliess das Steakhouse ebenfalls durch die Küche. Auch er lief kreuz und quer durch die Straßen, vorbei an den afrikanischen Nutten und den zugedröhnten Junkies, die auf dem Asphalt standen oder hockten oder lagen, als er seinen Mann keine zehn Meter vor sich entdeckte. Er hätte Ehud gar nicht bemerkt, wenn dieser seine Schritte nicht verlangsamt hätte, um sein Sakko auszuziehen. Nass und grau klebte das eigentlich weiße Hemd auf dem fetten Oberkörper. Ehud hastete weiter, bog an der nächsten Straßenecke ab. Er hatte Todesangst.

Schließlich konnte er nicht mehr und blieb von Seitenstichen geplagt stehen. Keuchend vornüber gebeugt, lehnte er sich an einer Hauswand und rang nach Luft. Als er nach einigen Atemzügen eine Bewegung hinter sich verspürte, sich aufrichtete und umdrehte, trat Zev ihm in die Seite.

Leonardos Ruhm reicht bis ins Heilige Land

Durch die Wucht des Fußtrittes brachen mehrere Rippen. Ehud wurde an die Hauswand geschleudert, sein Kopf knallte gegen den Putz. Bevor er vornüber auf den Bürgersteig kippen konnte, ließ Zev eine jahrelang im Training einstudierte, automatisierte Links-Rechts-Kombination los. Der linke Fauststoß zertrümmerte Ehuds Jochbein, der rechte sein Brustbein knapp über dem Solarplexus. Dem massigen Mann stockte der Atem, dann bliebt sein Herz stehen. Wie ein nasser Sack klatschte er auf den Betonboden. Zev bückte sich, zog ihm das Portemonnaie aus der Hosentasche. Darin steckten ein paar hundert Schekel, zwei, drei Visitenkarten, aber keine Kreditkarten.

Den Kopf hebend blickte Zev sich um. Ihm gegenüber auf der anderen Straßenseite hatte ein Gemüsehändler seinen kleinen Stand aufgebaut. Zwei funzelige Lampen warfen gelbes Licht auf die Auslagen, die ein paar Anwohner intensiv begutachteten. Niemand wagte es herüberzusehen. Aus irgendeinem Fenster in den umliegenden Häusern drang Musik.

Ein BMW erschien am Ende der Straße.

Der hinter dem Steuer sitzende Uri sah Zev über den leblosen Fettsack gebeugt im Halbdunkel des Bürgersteigs. Ohne das Tempo zu verlangsamen, fuhr der BMW an Zev vorbei. Von den anderen Insassen schaute nur die blonde Frau herüber, bis einer der Bodyguards ihr grob das Gesicht nach vorn drehte.

Zev versuchte Ehud aufzurichten. Dem Mann lief Blut aus dem Mund. Sein Kopf hing schlaff herunter, rollte bei jeder Bewegung hin und her. Er war tot. Ohne zu zögern, wischte Zev das Portemonnaie ab und warf es auf den Bauch der Leiche. Er zog seine Kapuze über, schob die Fäuste mit den blutigen Knöcheln in die Bauchtaschen seines Pullis. Mit zügigen Schritten ging er Richtung Rehov Etsel. Bald darauf verschluckte ihn die Dunkelheit.

Der Gemüsehändler auf der anderen Straßenseite begann seine Kisten einzupacken. Die Anwohner kehrten zurück in ihre Häuser. Ein paar Junkies näherten sich zombieartig dem Toten. Das bisschen Geld würde in ein paar Minuten verschwunden sein. Niemand würde sich an den Totschläger erinnern.

Später in der Nacht bekam Zev ein Flugticket, einen Zettel und dreihundert Euro in bar ausgehändigt. Ihm wurde mitgeteilt, er würde für einige Zeit im Ausland arbeiten. Auf dem One-Way-Ticket stand Brüssel-Zaventem, auf dem Zettel eine Adresse in Antwerpen.

Nicht Natasha – aber auch echt blond

Als Zev den Ben-Gurion-International betrat, befand Natasha sich auf dem Weg in den Golf von Arabien. Sie wollte partout nicht sterben und hatte Uri schließlich überzeugen können, dass sie eine echte Blondine war. Ihr handwerkliches Geschick schien ihn ebenfalls zu beeindrucken. Über einen Kontaktmann verkaufte der Geldverleiher sie an ein Luxusbordell in Abu-Dhabi, womit er den Ausfall von Ehuds Krediten mehr als kompensierte.

Am Nachmittag des nächsten Tages traf Zev in Antwerpen ein. Sein neuer Arbeitgeber hieß ihn mit den aufmunternden Worten, „vi geyt es, Khiller?“, willkommen und hatte schon alles für Zevs ersten Job veranlasst.

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