Noch mehr Noir geht nicht. Die Schizophrenie in unserem alltäglichen wirtschaftlichen Handeln treibt früher oder später jeden denkenden Menschen in den Wahnsinn oder in sinnlose Einzelaktionen und fördert damit die Konjunktur bei den Sicherheitskräften.
HITZEKOLLER IM FRÜHTAU
Der kuschelwarme April ist ein deutlicher Vorbote dessen, was im Sommer höchstwahrscheinlich auf uns zukommen wird. Wir sind mitten in der globalen Aufheizung. Egal wie viel mediale Aufmerksamkeit, demonstrative Empörung und Protest die Klimaerwärmung derzeit genießt, egal ob die EU nach Greta Thunbergs Rede in Straßburg die Gelder für den Klimaschutz eilig erhöht, egal ob Merkel ein Klimakabinett einberuft und von entscheidenden Schritten faselt. Alles Aktionismus. Es ändert sich nichts. Nada. Null. Zero. Zilch.
Weil sich nichts ändern kann.
Ungeachtet aller blauäugigen Beteuerungen ist das Wirtschaftswachstum – steigende Produktion, steigender Konsum, vor allem durch Energieverbrauch, Fleischproduktion und Verkehr – an den Ausstoß von Kohldioxid gekoppelt. Dies belegen sämtliche Daten und Zahlen seit Beginn der Industrialisierung. Nachstehend die Entwicklung seit 1990:
KOPF IM ARSCH, ABER NACH LUFT SCHNAPPEN
Der Kapitalismus, der zu Karl Marx‘ Zeiten nur einen kleinen Teil der Welt heimsuchte, wütet heute global. Die ganze Welt hängt am Wachstumstropf. Die große Aufholjagd der Schwellenländer und die neuen Märkte in der 3. Welt versprechen auf Jahrzehnte hinaus viel Wachstum. Warum wohl wird genau dort investiert?
Die negativen Konsequenzen des Wachstumsfetischismus und unseres westlichen Konsummodells sind ebenso erschreckend wie unbestritten. Mehr Wachstum bedeutet: mehr Müll, mehr Luftverschmutzung, Wasserverunreinigung, Bodenübersäuerung, mehr Meeresverschmutzung und mehr Klimaerwärmung. Muss ich nicht weiter ausführen. Ganz gleich wie viel Schönfärberei, schlichtes Ignorieren oder – in extremen Fällen – Leugnen, seitens der Regierenden, der Wirtschaft und ihrer Heloten in den Medien auch immer betrieben wird, die „logische“ Konsequenz unseres Zivilisationsmodells ist die Vernichtung des Ökosystem, von dem allein unsere Existenz abhängt.
Zitat aus dem „Global Carbon Project“ Bericht 2018:
„Wir hatten gehofft, dass die Emissionen vor ein paar Jahren schon ihren
Höhepunkt erreicht haben“, sagt Rob Jackson von der Stanford University. „Aber nach zwei Jahren des neuerlichen Wachstums war das wohl Wunschdenken.“ Stattdessen werden die CO2-Emissionen aus fossilen Brennstoffen im Jahr 2018 den neuen Rekordwert von 37,1 Milliarden Tonnen erreichen. Dazu kommen weitere 4,5 Milliarden Tonnen CO2 aus nicht-fossilen Quellen wie Landnutzungsveränderungen. Die zehn größten CO2-Emittenten sind aktuell China, die USA, Indien, Russland, Japan, Deutschland, Iran, Saudi-Arabien, Südkorea und Kanada, wie die Forscher berichten. Dabei ist China allein für 27 Prozent der globalen CO2-Emissionen verantwortlich. Auf die USA entfallen 15 Prozent der Emissionen und auf die EU rund zehn Prozent. Würde man sie als Land rechnen, läge sie auf Platz drei der Klimasünder-Liste.“
Nur was nützt sämtliche Erkenntnis, wenn die größte Sorge der Regierenden vorwiegend der Wirtschaft gilt, wie wir den täglichen Nachrichten entnehmen? Konkret der sich derzeit abkühlenden globalen Konjunktur und dem damit verbundenen verringerten Wachstum. Unsere Staatenordnung basiert auf dem Erfolg des Wirtschaftssystems und dafür ist Wachstum unabdingbar. Der krasse Widerspruch zur erklärten Emissionsverringerung ist deshalb ein unüberwindbares Dilemma.
IM RAUSCH DES IMMERMEHR
Naiv verkürzt ist Wachstum im Kapitalismus essenziell, weil 1) Profit als Ziel eines jeden Unternehmens erwirtschaftet werden muss, erst durch Akkumulation wird Geld zu Kapital; weil 2) geliehenes Geld nebst Zinsen zurückgezahlt werden muss; weil 3) Wettbewerb die Unternehmen zwingt, ihrer Konkurrenz keinen Vorteil – mehr Umsatz, mehr Gewinn – zu überlassen; wenn 4) Unternehmen am Kapitalmarkt Geld einsammeln (Aktien), müssen sie für Anleger attraktiv sein, ergo Gewinne vorweisen. Um das zu erreichen, braucht man mehr Kunden und/oder muss den Umsatz pro Kunde erhöhen. Wachstum ist also systemisch bedingt.
Nur mal nebenbei, Wachstum per se ist nicht notwendig. Die Welt kam Jahrtausende ohne derartiges „Wachstum“ aus. Wie naiv und ketzerisch!
Die wichtigste Sofortmaßnahme zur Bekämpfung der menschgemachten Kohlendioxidemissionen ist selbstverständlich die radikale Reduzierung der Treibhausgase selbst. Das bedeutet die Abkehr vom bestehenden Produktions- und Servicemodell unserer Wirtschaft. Die absolute Verringerung des Individualverkehrs – Elektrofahrzeuge sind, betrachtet man die Gesamtumweltanalyse, ebenfalls nicht besonders klimafreundlich, schaffen dazu mit ihren Batterien erhebliche Giftmüllprobleme – sowie des Flugverkehrs und eine konsequente Senkung des Gesamtenergieverbrauchs (Strom und Heizung).
Der Club of Rome hatte „Die Grenzen des Wachstums“ bereits Anfang der 1970er Jahre veröffentlicht. Geschehen ist zwanzig Jahre nichts und seitdem viel zu wenig. Der größte ideologische Bluff war die hirnlose Idee, alle Lösungen entweder dem Markt zu überlassen oder markorientierte Anreize zur Lösung zu schaffen. Genau das wurde dem Verbraucher seit den 1970er Jahren – zufällig? – eingebimst. Das Problem ist der Markt und der Massenkonsum! Wir können nicht einfach schlechten Konsum durch guten Konsum ersetzen. Das leuchtet jedem Kind ein. Aber genau das, wollen uns Wirtschaft und Politik einreden. Totale Gehirnwäsche. Die Umsetzung der vorgenannten Punkte käme deshalb einer ungeheuren Revolution gleich.
Verzicht findet bekanntlich selten jemand von Vorteil. Alle Anreizsysteme appellieren an unsere Bequemlichkeit, woher sollen also nach jahrzehntelanger Verbraucher-Konditionierung die Massen kommen, die den Regierenden die nackte Angst einjagen, so dass sie den Willen der großen Mehrheit umsetzen? (Was im Übrigen voraussetzt, dass die große Mehrheit diesen Willen tatsächlich hätte. Was ich ernsthaft bezweifle.)
KEIN SYSTEM HÄLT DURCH
Angeblich konnten den Sozialismus in seinem Lauf weder Ochs noch Esel aufhalten. Das mussten die Biester nicht einmal probieren, der erledigte sich von selbst. Unter dem Druck demonstrierender Massen kollabierte 1990 das völlig marode System der staatskapitalistischen, sogenannten „sozialistischen“ Staaten. Die nichts anderes waren, als die Herrschaft einer oppressiven Parteielite, die ihre Macht mittels Polizeigewalt und Sicherheitsapparat durchsetzte. Das Volk wurde materiell auf Sparflamme gehalten und musste aus Angst, weil es nicht wiederkommen könnte, zuhause bleiben, während die Parteibonzen die Vorzüge kapitalistischer Konsumgüter und dazu noch Reisefreiheit genossen. Die Nummer konnte nicht gut gehen. Das Verlangen nach Wohlstand und individuellen Freiheitsrechten war zu groß geworden. Die Elite hatte ihre Halbwertzeit überschritten und wurde verjagt. Was nach dem Fall der Mauer allerdings durch die völlig Entfesselung des Kapitalismus losgetreten wurde, ist längst der Turbo des Niedergangs, in dessen Abgasstrahl wir leben müssen, bis uns buchstäblich die Sintflut erlöst. Wann ist unsere Elite endlich überfällig? Eine berechtigte Frage.
KATHARSIS FÄLLT FLACH
Unsere Ausgangsfrage zu Beginn von DIE GROSSE ERLEUCHTE – Teil 1 lautete, wie konnte das nur geschehen? Ist nach der sechsteiligen Exkursion durch die Untiefen des Themas die gestellte Frage beantwortet? Weitestgehend. Und jetzt? Was tun mit den Erkenntnissen, die eine unbestimmte, blinde Wut nähren? Außer Flucht in Suff, Sex und Drogen?
Wie wäre es mit ganz schnell System bestätigende, „serielle Erzählformate“ anschauen – die jede Feuilleton-Arschgeige als neue Offenbarungen anpreist – und stellvertretend deren Protagonisten die unleugbaren Dissonanzen des Alltags und die Endzeitphantasien unserer Spezies abarbeiten lassen? (Scheiße, Bingewatching verbraucht ja auch Strom und Streaming noch viel mehr . . . ARRRRRG!) Die Bequemlichkeit des Zuschauers obsiegt solange, bis die Balance von angenommener Trägheit zu wahrgenommener Bedrohung kippt. Dann empört sich der Zuschauer, tritt laut schreiend den Flatscreen aus dem Wohnzimmer und greift zum Breitschwert, weil das Ablassventil seiner Wahl nicht in die 9. Staffel geht: „Diese Schweine. Ich massakriere sie alle!“ Schließlich hat er das bei Game of Thrones gelernt.
Na, wenn das man was bringt? Warum nicht lieber den Herrschenden mächtig auf den Zahn fühlen und ihnen ordentlich einheizen?
Mal sehen, ob und wie lange die das überstehen . . .