König der Kadaver – Kapitel 5

Der Radikale hatte sich in seinem Seat aus der Stadt gemacht. Doch irgendwie plagte Brock das Gefühl, die Sache wäre damit nicht ausgestanden . . .

Noch unbedarft? Dann lieber ganz von vorn anfangen:

UND WEITER GEHT’S . . .

Abgesehen von einem Einbruch in einen Kiosk, blieb es die nächsten Tage ruhig. Dann kam es spätabends im Wohnheim zu einem Streit zwischen einigen angetrunkenen Rumänen. Ein Zerleger wurde bezichtigt, seine Kollegen auszuspionieren. Er kassierte reichlich Ohrlaschen, verrammelte sich in einer der 40-Quadratmeter-Buden, in denen häufig bis zu acht Arbeiter zusammengepfercht hausten, und trommelte den Werkschutz zu Hilfe (was die Spionagevorwürfe schwer erhärtete). Angeblich versuchten die herbeigeeilten Werkschutzmänner den Streit zu schlichten. Das Handgemenge eskalierte, andere Bewohner unterstützten ihre attackierten Landsleute. Eine wüste Schlägerei entbrannte. Drei Werkschützer gegen zehn oder mehr Ausbeiner und Zerleger. Mit Reizgas und Gummiknüppeln gegen blanke Entrüstung, bloße Fäuste und abgebrochene Stuhlbeine.

Weil irgendjemand die Polizei alarmiert hatte, schaltete Hütter mich ein. Nachts bleibt meine Wache geschlossen, dann nimmt die Leitstelle Anrufe für die beiden Streifenwagen entgegen, die im Landkreis patrouillieren. Es kann also schon mal locker zwanzig Minuten dauern, bis die Kollegen einen Einsatzort erreichen. Mir blieben vielleicht noch neun oder zehn Minuten, um die Situation zu entschärfen.

Brocks alte Kameraden

Mit mit einer Reizgasdose und einem Teleskop-Schlagstock bewaffnet, stürmte ich ins Wohnheim, brüllte, „Polizei! Polizei!“, und drosch und sprühte solange wahllos auf die Schläger ein, bis sie voneinander abließen. Pistolen sind Mist bei derartigen Aufräumaktionen. Schusswunden machen nur unnötig viel Ärger, Knochenbrüche, Prellungen und Verätzungen kann man leichter unter den Tisch kehren. Ich spreche aus langjähriger Erfahrung. Jetzt wälzten sich die Schläger auf dem dreckigen Fußboden und stöhnten. Das Gesicht eines Rumänen war eine einzige breiige, rote Masse, er hätte sofort ins Kranken-haus gemusst. Ein Werkschützer hatte ihn mit Fäusten bearbeitet, die in Quarzhandschuhen steckten, wie Hooligans und Hundertschaften sie bei Schlägereien benutzen. Hilfreich, wenn man ordentlich draufhauen will, schont die Hände.

Der Streifenwagen traf ein. Unter den hasserfüllten Blicken der Zerleger und Ausbeiner führte ich die drei Werkschutz-männer die Treppe hinab. Es fiel ihnen schwer, gerade zu gehen. Vor dem Haus redete Hütter mit den Kollegen. Sie blickten fragend, als ich hinzutrat. Der Werkschutzboss erwartete von mir, ein Ermittlungstheater abzuwenden und die Streifen-hörnchen wegzuschicken, schließlich zahlte der Metzger dafür.

„Eine kleine Meinungsverschiedenheit unter Arbeitern“, erklärte ich mit Verständnis heischendem Ausdruck, „Frust und Alkohol sind selten ’ne gute Mischung, wie ihr wisst. Aber die Sache ist jetzt geklärt und der Streit beigelegt. Keine der Parteien will Anzeige erstatten. Die wollen unbedingt ihre Jobs behalten. So sieht’s aus.“

Die drei Werkschützer hatten inzwischen notdürftig ihre Uniformen gerichtet. Eifrig wie Wackeldackel bestätigten sie meine Aussage. Die Kollegen betrachteten ihre lädierten Gesichter und zuckten mit den Schultern. Ein lästiger Arbeits-vorgang weniger. Anschließend tauschten wir den üblichen Smalltalk über Nachtdienst, Überstunden und dem wachsenden Burn-out unter den Kollegen aus. Ich ließ noch einen Zehner für die Kaffeekasse springen. Dann zogen sie endlich Leine.

Am nächsten Morgen legten gut einhundert Rumänen von der Frühschicht ihre Arbeit nieder. Ein echtes Problem für den Metzger. Die Schlachtungen sind eng getaktet. Wenn man bald zweitausend Schweine pro Stunde verarbeiten muss, führt jede Störung zu erheblichem Rückstau. Weder Beschimpfungen, noch Drohungen der Vorarbeiter konnten die Streikenden dazu bewegen, ihre Arbeit wiederaufzunehmen. Parolen machten die Runde: „Wenn wir einig zusammenstehen, können sie uns nichts. Sie können nicht alle entlassen. Sie müssen einlenken.“

Jeder Rumäne wusste auf einmal, dass es nicht genügend Fachkräfte gab und die Subunternehmer große Schwierigkeiten hatten, schnell qualifizierten Ersatz ranzuschaffen. Dem Metzger blieb also nichts anderes übrig, als einzulenken und die Streikfront mit Sonderprämien aufzuweichen. Die überraschende Einheit unter den Rumänen und ihre Forderungen nach Lohnerhöhung, Pausenregelung und Arbeitsstundenlimit, ließen nur eine Schlussfolgerung zu: Es handelte sich um eine koordinierte Aktion, was wiederum bedeutete, der Radikale war zurück. Jetzt durfte ich die kleine Ratte aufspüren.

Stundenlang fuhr ich kreuz und quer durch unser Kaff, checkte Wildes mögliche Unterkünfte und in den vergangenen Monaten häufig frequentierte Aufenthaltsorte. Später weitete ich meine Suche auf den Kreis aus. Sie verlief erfolglos. Meine letzte Möglichkeit war ein krummer Hund im LKA, der mir schnell unter der Hand die Standortdaten eines Mobiltelefons beschaffen konnte. Er stand in meiner Schuld, was ich aber nicht strapazieren wollte – nur in einem absoluten Ausnahmefall. Seine Nummer aufrufend entdeckte ich hinter Bäumen eine dunkle Rauchsäule. Nachdem ich das Waldstück passierte, sah ich die hochschlagenden Flammen. Der blaue Seat war offenbar von der Straße abgekommen und in den jungen, sprießenden Mais gerast. Mit meinem Bordfeuerlöscher lief ich hinaus auf das Feld. Auf dem Fahrersitz saß jemand. Ich riss die Fahrzeugtür auf, verbrannte mir dabei die Hand, Flammen schlugen mir entgegen, es roch nach stark verbrutzeltem Fleisch.

Schlimmes Ende

Für Ansgar Wilde kam jede Hilfe zu spät, der Radikale würde niemanden mehr aufwiegeln … was für ein Idiot. Ich ärgerte mich maßlos über diesen verblödeten Idealisten. Noch mehr ärgerte mich aber, dass sie es wagten, mir einen Mord vor die Füße zu knallen. Das war offensichtlich. Dazu brauchte ich nicht einmal das Ergebnis der forensischen Untersuchung abzuwarten. Ich wollte es auch gar nicht abwarten. Vor allem wollte ich verhindern, dass die Kollegen von der Kripo verwertbare Spuren fänden, sonst dürfte ich’s wieder ausputzen.

Darum schaute ich zu, wie der Seat ausbrannte, bevor ich die Feuerwehr informierte.

Die Jungs von der Spurensicherung begannen sogleich mit der Arbeit. Sie sperrten brav die Straße und den Tatort im Maisfeld ab, vermaßen fein säuberlich die Bremsspuren auf dem Asphalt und die Strecke, die der blaue Seat ins Feld hinein-gefahren war. Ich machte Angaben, wie ich zufällig den Rauch bemerkt und das Fahrzeug entdeckt hatte, schilderte detailliert meine Löschversuche und wann ich die Rettungskräfte informierte. Mein Vorgehen entsprach der Dienstvorschrift. Mein Bericht war einwandfrei und vollständig, wie man es von einem soliden Polizisten und Leiter einer Polizeiwache erwarten durfte. Die Kripo setzte ihre Brandexperten an den Fall. Als die Pathologie die Identität des Toten bestätigte, übernahm die Staatsanwaltschaft in der Kreisstadt noch vor Abschluss der kriminaltechnischen Untersuchungen die Ermittlungen. Zu diesem Zeitpunkt kursierten im Netz bereits Videos von dem ausgebrannten Seat und der verkohlten Leiche, nebst ersten Verschwörungstheorien. Die Zugriffe auf Wildes YouTube-Kanal schnellten in ungekannte Höhen. Sein Tod war ein echtes Politikum. Und wenn schon, ging mich alles nichts mehr an.

Falsch gedacht.

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