Thekenphilosoph Max Säger nötigte mich, folgende Worte der Wiederauflage seines Interviews mit Gore Vidal voranzustellen:
„Die groteske Lachnummer, die sich US-Präsidentschaftswahlen nennt, kriecht allmählich in die heiße Phase. Die beiden Kandidaten der Eigentümerpartei sind Stand heute auf dem linken Flügel der amtierende Grußonkel Alzheimer-Joe und auf dem rechten der Pissblonde-Donald. Zwei sabbernde Musterbeispiele für schamlose Korruption und Vetternwirtschaft, narzißtische Selbstdarstellung und absolute Gewissensfreiheit.
Gibt es bessere Sinnbilder für diese völlig verrottete Ausverkaufs-Nation, deren kriminelles Imperium sich nach ganzen 80 Jahren nunmehr dem Ende neigt, als diese beiden scheintoten Verbrecher?
Ein System, das solche Strohpuppen auskotzt und uns weismachen will, sie wären die richtigen an der Spitze, beweist sich und der Weltöffentlichkeit, dass der US-Präsident keine reale Macht besitzt, sondern ein Grußonkel und Vorzeigehampel ist. Das Sagen haben andere, die Eigentümer: Milliardäre, Finanzkapital, Großkonzerne.
Wahlen in unseren repräsentativen Systemen sind nichts als inszenierte Spektakel, deren einziger Zweck es ist, eine durchs Stimmvieh legitimierte Herrschaft (euphemistisch Volkes Wille) vorzugaukeln. Wahlergebnisse haben auf die wirklich wichtigen politischen Entscheidungen wie Krieg und Frieden keinen Einfluss. Oder will ein normaler Mensch in Europa und den USA Krieg mit Russland oder China?
Der Westen hat komplett abgewirtschaftet. Demokratie? Freiheit? Gerechtigkeit? Frieden? Hahahahahahaha! Zynischer geht’s nimmer. Die Politik der Wertegemeinschaft entlarvt ihn vor unser aller Augen. Man könnte meinen, Aliens und Zombies bestimmen unsere Geschicke – tun sie auch.
Nachstehend liest Gore Vidal der „unverzichtbaren Nation“ die Leviten. Gerade in diesen Zeiten, wo hiesige Politikvollstrecker sich in arschkriecherischen Schwüren gegenüber dem Obermaxe ergehen und unentwegt: Unsere Ehre heißt Treue, runterleiern, hilft ein schonungsloser Blick auf unseren großen Freund, der uns so doll lieb hat.“
Soweit Sägers geschmacklose Tirade zum Warmboxen, hier nun seine okkulte Begegnung:
Tresenphilosoph Max Säger rückt einem weiteren seiner Idole mit dem Ouija-Brett zu Geiste: Gore Vidal (1925-2012), dem scharfzüngigsten und unterhaltsamsten Kritiker des US-Establishments und seinem fürchterlichen Nationalen-Sicherheitsstaat. Nachstehend des Großmeisters unverblümte Aussagen zu Eliten, Geld, Politik, Medien und Krieg. Natürlich unverfälscht und buchstabengetreu …
Na, Gore, sind Sie immer noch auf Distanz zu den Reichen?
Je mehr Geld ein Amerikaner anhäuft, desto uninteressanter wird er.
Wirklich?
So wie sie Gier und Egoismus rechtfertigen und preisen, ist das meiner Ansicht nach nicht nur unmoralisch, sondern böse.
Ein harsches Urteil über die Elite der „auserwählten Nation“.
Wissen Sie, ich habe mein ganzes Leben lang mit der herrschenden Klasse zu tun gehabt, und ich bin mir ihrer totalen Verachtung für die Menschen im Lande durchaus bewusst.
Die bürgerliche Welt feierte den Abgang des Pissblonden und begrüßte Alzheimer-Joe im Amt. Was ist Ihrer Meinung nach der Unterschied zwischen den Republikanern und den Demokraten?
Es gibt nur eine Partei in den Vereinigten Staaten, die Eigentumspartei … und die hat zwei rechte Flügel: Republikaner und Demokraten. Die Republikaner sind ein bisschen dümmer, starrer und doktrinärer in ihrem Laissez-faire-Kapitalismus als die Demokraten, die niedlicher, hübscher, ein bisschen korrupter sind … und eher bereit als die Republikaner, kleine Korrekturen vorzunehmen, wenn die Armen, die Schwarzen, die Antiimperialisten aus dem Ruder laufen.
Aber …
Aber im Grunde besteht kein Unterschied zwischen beiden Parteien. Es macht keinen wirklichen Unterschied, ob der Präsident ein Republikaner oder Demokrat ist.
Und warum ist das so?
Das Geniale an der herrschenden Klasse in den USA ist, dass sie es geschafft hat, den Menschen seit 200 Jahren glaubhaft zu machen, sie hätten etwas mit der Wahl der Präsidenten zu tun, obwohl sie absolut nichts über die Kandidaten oder die Politik oder die Art und Weise, wie das Land geführt wird, zu sagen haben. Es ist also egal, wem man seine Stimme gibt. Die beiden Parteien repräsentieren vier Prozent der Bevölkerung.
Da kann man wohl kaum von einer wahren Demokratrie sprechen?
Wir sollten aufhören, davon zu schwafeln, dass wir die größte Demokratie der Welt sind, obwohl wir nicht einmal eine Demokratie sind. Wir sind eine Art militarisierte Republik.
Dabei wird ausgerechnet das Wahlsystem als leuchtendes Aushängeschild für die großartige demokratische Tradition der USA angeführt.
Es gibt sehr viele Leute, die ein Interesse daran haben, die Dummheit der amerikanischen Öffentlichkeit aufrechtzuerhalten. Alle vier Jahre wird hierzulande die naive Hälfte der Wähler ermutigt zu glauben, dass alles in Ordnung sein wird, wenn wir einen wirklich netten Mann oder eine nette Frau zum Präsidenten wählen können. Aber das wird es nicht sein.
Für diesen Umstand jedoch wird reichlich medialer Wahlzirkus betrieben, die letzte Präsidentenwahl zog sich inklusive der Kandidatenvorstellung und den Vorwahlen über 18 Monate und kostete Milliarden.
Unsere Form der Demokratie ist Bestechung, und zwar auf höchster Ebene.
Das sieht der Oberste Gerichtshof offenbar anders, sonst ist seine Auffassung, „Geld ist Meinungsfreiheit“ nicht zu erklären und es gäbe auch kein Citizen-United-Urteil, das unbegrenzte Wahlkampfspenden ermöglicht.
Wenn ein Mensch das Zeug zum Präsidentschaftskandidaten hat, ist er schon zehnmal gekauft worden.
Sind die sogenannten Mainstream-Medien reine Propagandamaschinen?
Wenn Sie die Meinung kontrollieren, so wie Corporate America die Meinung in den Vereinigten Staaten kontrolliert, indem es die Medien besitzt, können Sie die Massen dazu bringen, fast alles zu glauben, was Sie wollen, und sie so lenken, wie Sie wollen.
Die Konzerne verstehen die Medien als probates Instrument zur Macht- und Interessenssicherung?
Die Kontrolle der Konzerne über die Meinung in den Vereinigten Staaten ist eines der Wunder der westlichen Welt. Kein anderes Land der Ersten Welt hat es jemals geschafft, so vollständig alle Objektivität aus seinen Medien zu eliminieren – geschweige denn Dissens.
Und das ist den beiden herrschenden Parteien natürlich recht.
Was ist eine politische Partei anderes als eine Verschwörung?
Hahaha. Mir erscheint, das einzige, was die USA außerdem noch zustande bringen, ist Kriege zu führen.
Seit dem letzten Jahrhundert befinden wir uns fast ständig im Krieg. Und das hat unseren Institutionen geschadet. Der Kongress repräsentiert das Volk nicht mehr. Die Gerichte üben keine Gerechtigkeit mehr aus. Die Armeen hören nie auf, die Polizisten der Welt und des Öls zu spielen.
Aber sie kämpfen doch angeblich für den Frieden und-
In fast jedem Fall, in dem die Vereinigten Staaten Kriege führen, hat unser überwältigendes Engagement für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte von uns verlangt, jene Regime zu unterstützen, die ihrem eigenen Volk Freiheit, Demokratie und Menschenrechte verweigern.
Seit der Pissblonde ans Ruder kam, steht der Iran wieder ganz oben auf der Abschussliste. Auch sein Nachfolger Alzheimer-Joe hält an dem harten Kurs gegen Teheran fest.
Sie sehnen sich nach einem Krieg mit dem Iran. Der Iran schadet uns nicht mehr als der Irak oder Afghanistan. Sie haben einen Feind erfunden, sie erzählen Lügen, Lügen, Lügen. Die New York Times macht bei ihren Lügen, Lügen, Lügen mit. Und sie hören nicht auf. Wenn die Öffentlichkeit 30 Mal am Tag belogen wird, ist sie geneigt, die Lügen zu glauben, nicht wahr?
Offensichtlich. Mir kommt es so vor, als verursache der Untergang des „Reichs des Bösen“, wie die Sowjetunion in westlichen Medien genannt wurde, noch immer beachtliche Phantomschmerzen. Trotz aller Anstrengungen der Demokratischen Partei und der Anti-Pissblonden Medien, scheint Russiagate aber nur ein müder Ersatz für das schwer vermisste Gespenst des Kommunismus zu sein.
Ohne Kommunismus … fehlt unserem Staat ein Zauberer von Oz, um alle Menschen ständig zu erschrecken. Also schaut der Staat nach innen, auf den wahren Feind, der sich als – wer sonst – das Volk der Vereinigten Staaten herausstellt.
Ich dachte, dass wäre der islamische Terrorismus?
Wir wollten den Kommunismus überall auf der Erde bekämpfen, auch wenn er uns nicht bedrohte. Es war ein heiliger Krieg, so wie wir einen gegen den Terrorismus und den Islam führen, ebenso dumm und ebenso irrelevant.
Wie führt man eigentlich einen Krieg gegen den Terrorismus?
So etwas wie einen Krieg gegen den Terrorismus gibt es nicht. Das ist idiotisch. Das sind Slogans. Das sind Lügen. Das ist Werbung, die einzige Kunstform, die wir Amerikaner je erfunden und entwickelt haben. Der Krieg gegen den Terror ist wie ein Krieg gegen Schuppen. Er ist eine Metapher. Es geht um überhaupt nichts.
Er ist ein widerliches Geschäftsmodell und füttert jedes Jahr die Militärindustriemaschine mit hunderten Milliarden Dollar aus der Staatskasse. Was ist denn Ihrer Meinung nach die Ursache für den Terrorismus?
Terrorismus ist die unmittelbare Reaktion auf die Verbrechen, die unsere Regierung gegen Ausländer begangen hat (abgesehen davon, dass die tatsächlichen Terroristen in unserer Regierung sitzen).
In der breiten Bevölkerung scheint das kaum jemandem bekannt oder bewusst zu sein.
Wir sind die Vereinigten Staaten von Amnesia, wir lernen nichts, weil wir uns an nichts erinnern.
Woran liegt das?
Die amerikanische Presse existiert nur zu einem einzigen Zweck, nämlich um die Amerikaner davon zu überzeugen, dass sie in dem großartigsten und meist beneideten Land der Weltgeschichte leben. Die Presse erzählt dem amerikanischen Volk, wie schrecklich jedes andere Land ist und wie wunderbar die Vereinigten Staaten sind, wie böse der Kommunismus ist und wie glücklich sie sein sollten, die Freiheit zu haben, sieben verschiedene Sorten Waschmittel zu kaufen.
Man könnte auch sagen, die Menschen brauchen eben Illusionen, um mit ihrem Alltag klarzukommen, und die werden ihnen tagtäglich aufs Neue von den Medien geliefert.
Realität ist etwas, womit die Menschheit nicht gut umgehen kann.
Die nächste Stufe des Eskapismus ist dann Alkohol und Drogen.
Drogen. Wenn es die nicht gäbe, hätten unsere Regierenden sie erfunden, um sie zu verbieten und so einen Großteil der Bevölkerung Verhaftungen, Inhaftierung, Beschlagnahme von Eigentum und so weiter auszusetzen.
Diese Einschätzung klingt aber radikal-
Das Wort radikal stammt von dem lateinischen Wort für Wurzel. Deshalb, wenn man an die Wurzel von etwas geht, muss man zwangsläufig radikal sein. Es ist kein Zufall, dass dieses Wort inzwischen völlig dämonisiert wurde.
-und nach Verschwörung.
Ich bin kein Verschwörungstheoretiker, sondern ein Verschwörungsanalytiker.
Überall werden Verschwörungen vermutet und bekämpft. Jetzt zensiert Silicon Valley seine eigenen Plattformen und beschneidet willkürlich das Recht der freien Meinungsäußerung, damit bloß niemand in Washington auf dumme Gedanken kommt, gesetzliche Regelungen schafft und ihre Monopole zerschlägt. Das alles erfolgt angeblich im Kampf für die Wahrheit und gegen die überall grassierenden Fake-News. Nur machen die Algorithmen kaum einen Unterschied zwischen irreführender und hetzerischer Propaganda und einer berechtigten kritischen Analyse der vorherrschenden gesellschaftlichen und politischen Zustände.
. . .
Haben Sie dazu keine Meinung?
Wenn Gesellschaften dekadent werden, wird auch die Sprache dekadent. Worte werden benutzt, um Handlungen zu verschleiern, nicht um sie zu erhellen: Man befreit eine Stadt, indem man sie zerstört.
Die asozialen Medien trommeln Propaganda von allen Seiten. Wut und Empörung sind bewusst genutzte Emotionen, um die Verweildauer der Nutzer auf den Webseiten zu erhöhen. Aber nur die offizielle Propaganda darf Gültigkeit haben. Sorry, es geht wieder mit mir durch. Frage, besteht eine Hoffnung, dass sich das eingenebelte Volk dagegen wehren wird?
Ich bewundere nicht „das Volk“ als solches. Niemand tut das wirklich. Ihre „Volksweisheit“ ist meistens falsch, ihre Instinkte räuberisch. Sogar ihr Sinn fürs Überleben – der beim Einzelnen so hoch entwickelt ist – spielt in der Masse verrückt. Die Menge ist dumm.
Hahahah. Schwarmblödheit statt Schwarmintelligenz. Wie verhält es sich denn Ihrer Meinung nach mit dem vernünftigen Homo sapiens?
Nichts Menschliches ist wirklich berechenbar, auch wir selbst sind uns fremd.
Na ja. Sie sagten einmal, Sie wollten ursprünglich Politiker werden, wurden aber Schriftsteller, weil es unvermeidlich war. Sind beide Professionen für Sie unvereinbar?
Ein Schriftsteller muss immer die Wahrheit sagen, wie er sie sieht, ein Politiker darf niemals das Spiel verraten.
Die Suche nach der Wahrheit hat Sie auch bei Ihren „Narratives of Empire“ umgetrieben, Ihren sieben Romanen, in denen Sie die Geschichte der USA erzählen?
Geschichte ist nichts anderes als Tratsch über die Vergangenheit, verbunden mit der Hoffnung, er könnte wahr sein. Aber wenn ein Land sich erst einmal an die Lügen gewöhnt hat, braucht es Generationen, bis die Wahrheit zurückkehrt.
LINK zu Gore Vidals historischer Wahrheit: Narratives of Empire – eine gründlich recherchierte, faktisch genaue und schonungslose Geschichte der USA . . .
https://www.goodreads.com/series/57001-narratives-of-empire
Wie wichtig ist Ihnen Literatur?
Wie wunderbar Bücher doch sind, die Welten und Jahrhunderte überqueren, die Unwissenheit und schließlich die grausame Zeit selbst besiegen.
Was ist für Sie der Stil eines Schriftstellers?
Stil bedeutet zu wissen, wer man ist und was man sagen will, und sich nicht darum zu scheren.
Zum Abschluss, gibt es etwas, das ich in meinem Leben beherzigen sollte?
Es ist nicht von Bedeutung, was andere von einem denken. Wichtig ist, was man von den anderen denkt. Das ist es, wie man sein Leben lebt.
Danke für das Gespräch. Schöne Grüße an Howard.
(N.B. Alle Antworten von Gore Vidal sind Originalzitate, von mir ins Deutsche übertragen)
LINK: Gore Vidals Rede „State of the Union“ von 1991 ist eine exakte historische Zustandsbeschreibung von damals und, und das ist wirklich erschreckend, durchaus für unsere heutige Zeit gültig …
LINK: Gore Vidal über die Große Depression und prägende Kindheitseindrücke in Washington DC . . .