Nach der Krisensitzung im Rathaus war die Entscheidung gefallen. Um Ruhe und Ordnung wiederherzustellen, musste völlig neugedacht werden. Der Berater des Bürgermeisters konnte zur Tat schreiten . . .
Von vorne anfangen? Dann mal los . . .
Weiter mit Teil 5 . . .
Kaum hatte der Polizeipräsident das Rathaus verlassen, wählte Obermeier mit seinem Handy eine Nummer an.
Wenige Sekunden darauf starrten im Besucherraum der Justizvollzuganstalt Clanboss Ghassan Rifi und sein Rechtsanwalt Legat auf das summende Smartphone auf dem Tisch. Als Rifi auffordernd nickte, nahm Legat den Ruf entgegen und drückte auf Lautsprecher. Er sagte: „Mein Mandant und ich hören.”
Am nächsten Morgen ähnelte der Stadtteil Zepter Sarajewo nach Bombardement und Häuserkampf im bosnischen Bürgerkrieg: ausgebrannte Autos, geplünderte Geschäfte, verrußte Fassaden, zerschmissene Fensterscheiben. Es wimmelte vor abgekämpften Polizisten und erschöpften Feuerwehrleuten. Die Kämpfe waren beendet. Das große Aufräumen begann. Eingetroffenes THW-Personal wies freiwillige lokale Helfer ein. Polizeipräsident Junkert, zwei Einsatzleiter und Revierchef Willes standen inmitten der Zerstörung, umringt von Fernsehteams und Journalisten.
„Auf uns wartet viel Arbeit”, sagte der Polizeipräsident, der auf Drängen von Obermeier für den Pressetermin extra einen Kampfanzug der Spezialeinheiten angezogen hatte, „darum nur eine knappe Feststellung: Die Polizei hat ihre Handlungsfähigkeit in Krisenzeiten bewiesen. In Zepter herrscht wieder Recht und Ordnung.”
Einige Anwohner in Hörweite schüttelten fassunglos die Köpfe.
Im Foyer des Gerichts gab Staatsanwalt Reuter zeitgleich vor den Mikrofonen eine kurze Erklärung ab: „Die Staatsanwaltschaft schließt sich den neuen Erkenntnissen der Ermittler an. Diese lassen die Aufrechterhaltung der Anklage gegen Ghassan und Wahid Rifi in der vorliegenden Form nicht mehr zu. Die Verdächtigen werden nach richterlicher Anordnung sofort auf freien Fuß gesetzt. Ungeachtet dessen, gehen die polizeilichen Ermittlungen weiter”.
Im Rathaus stellte sich der Oberbürgermeister den Vertretern der Medien. Umringt von Kameracrews und wartenden Journalisten wirkte Hohmann staatstragend: „Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, die Ereignisse der letzten Nacht haben gezeigt, dass Sicherheit ein dringendes Anliegen für uns alle ist. Das schließt besonders all jene mit ein, die glauben, nicht Teil dieser Stadt und unserer Gemeinschaft zu sein. Ihnen sage ich: Wir stehen zusammen. Wir alle sind Zepter. Heute früh habe ich mit hochrangigen Persönlichkeiten, dem Bürgerverein ‚Nachbarn‘ und dem Rat der Stadt ein umfassendes Aktionsprogramm in die Wege geleitet, dass auf verstärkte Inklusion abzielt. Mit Sicherheit für Sicherheit. – Fragen?”
Sofort schossen Hände der Journalisten in die Höhe. Hohmann genoß die ungeteilte Aufmerksamkeit der Medien. Er schaute seiner Wiederwahl mit großer Zuversicht entgegen.
Vor dem Tor der JVA warteten zwei Männer mit Kamera und Mikrofon. Eine dunkle Limousine fuhr vor. Legat stieg aus und nickte den beiden Männern zu. Das Kamerateam begann zu filmen. Durch eine sich öffnende Seitentür traten Ghassan und Wahid Rifi ins Freie. Zwei Frauen und drei Kinder kletterten aus der Limousine und eilten den Entlassenen entgegen, um sie glücklich in die Arme zu schließen. Nach einem Moment rührender Familienzusammenführung stiegen sie alle in das Fahrzeug ein.
Das Kamerateam schwenkte auf Legat.
Der Anwalt sagte: „Dies ist kein Moment des Triumphes, sondern ein Moment der Ernüchterung. Ein Unrecht wurde korrigiert. Mütter haben ihre Söhne wieder, Frauen ihre Ehemänner, Kinder ihre Väter. Unsere Herzen sind bei den Bewohnern Zepters. Ihre Opfer haben die Behörden letzten Endes zur Vernunft bewegt. Der Kampf geht weiter.”