ROM UND DIE GEGENWART – Organisationsprinzip Imperialismus

Wie passen Imperialismus und Liberalismus zusammen? Gar nicht, ruft spontan der Bourgeoise aus. Von wegen, kontert Max Säger, prima sogar. Was stimmt denn jetzt?

Definieren wir zunächst Liberalismus. Das ist simpel: Liberalismus ist die Denktradition, deren zentrales Anliegen die Freiheit des Individuums ist. Na bitte. John C. Calhoun, im 19. Jahrhundert Vizepräsident der USA, hielt seinerzeit eine leidenschaftliche Ode an die individuelle Freiheit, die er verhement gegen Machtmissbrauch und ungerechtfertigte Einmischung des Staates verteidigte. Er kritisierte allmächtige Regierungen, jegliche Formen von Fanatismus und Kreuzugsmentalität der Herrschenden und plädierte empathisch für Minderheitenrechte. Genau, nickt der freiheitsliebende Bourgeoise. Recht so!

Haken an der Sache: Calhoun verteidigte mit seiner Rede das Minderheitenrecht auf Sklaverei in den USA, das Recht von Weißen, Menschen mit dunkler Hautfarbe, zumeist afrikanischer Herkunft käuflich zu erwerben, für sich arbeiten zu lassen und wieder zu veräußern, wie es ihnen beliebt. Sklaverei ist lange vorbei, tönt es nun aus dem geistigen Schutzbunker.

Nix da, behauptet Säger. Liberalismus galt und gilt für eine Minderheit: für die Reichen. Die bestimmen, was Recht ist. Und Recht ist allein, was ihnen zum Vorteil gereicht. Es geht also um unseren alten Feind das Privateigentum und die Freiheit, sich alles einzuverleiben, wonach einem der Sinn steht. Um das tun zu können, braucht man Macht. Die sichert man sich mit Waffen und dafür braucht man Geld.

Herrlich primitiv, gelle?

Trotzdem, hat man dieses Prinzip einmal verstanden, dann versteht man die Logik des Imperialismus‘ und – und das ist essenziell – die Logik der unverzichtbaren Nation, die unseren ganzen Planeten tyrannisiert, um alle Ressourcen und alles Geld herauszusagen. Ach ja, die Logik der Unterwerfung, wie sie unsere hiesigen Politkvollstrecker zu ihrem Eigennutz und unserem Schaden gegenüber besagter Nation praktizieren, tritt dabei ebenso unvermeidlich ans grelle Tageslicht. Schließlich gibt es keine Herrscher ohne Beherrschte – und ohne Heloten.

Fazit: Der Liberalismus ist das absolute Gegenteil von Menschlichkeit. Er bedeutet vor allem die Unfreiheit aller Anderen und passt deshalb prima mit Imperialismus zusammen. Scheinheiligkeit paart sich mit Machtgeilheit und wir sollen brav mitspielen, sonst gibt’s Haue, wie Säger zu sagen pflegt.

Der nachstehender Beitrag blickt furchtlos in den fauligen Rachen des Monsters. Nur so kann man richtig zielen, um ihm den Garaus zu machen. Also, hoch die Granatwerfer und nicht blinzeln:

In Abwandlung von Marx‘ Aussage, sinngemäß „Geschichte geschieht immer zweimal, das erste Mal als Tragödie, das zweite Mal als Farce“ kann man bezogen auf die Historie von Imperien formulieren: „Die Geschichte eines Organisationsprinzips wiederholt sich so lange, wie dieses Organisationsprinzip hingenommen wird.“ Das sollte man wissen, um die Welt zu verstehen, in welcher wir von der Mächtigen Gnaden gezwungen sind zu leben . . .

Zum Einstieg eine kleine Begriffsdefinition für Ausgeschlafene:

Unter Organisationsprinzip wird das Prinzip verstanden, nach dem ein System oder auch ein Mensch im Wesentlichen handelt, bzw. auf das die Handlungsweisen zurückzuführen sind. Beispiele: Der Kapitalismus beruht auf dem Organisationsprinzip Wachstum, auf Ausdehnen und Anhäufen. Das Militär ist nach dem Organisationsprinzip Hierarchie, Befehl und Gehorsam aufgebaut. Ein Betrüger agiert nach dem Organisationsprinzip der Täuschung, der Lüge, und ein Drogenabhängiger nach dem Organisationsprinzip der Suchtbefriedigung, der er alles unterordnet.

Der Ökonom Joseph Schumpeter (1883 – 1950) schrieb in seinem Essayband IMPERIALISMUS UND SOZIALE KLASSEN einen bemerkenswerte Passus über das imperiale Rom:

„Hier ist das klassische Beispiel für jene Art von Unaufrichtigkeit in der Außen- und Innenpolitik, die nicht nur die erklärten Motive durchdringt, sondern wahrscheinlich auch die bewussten Motive der Akteure selbst – einer Politik, die vorgibt, den Frieden anzustreben, aber zielsicher Krieg erzeugt, einer Politik der ständigen Kriegsvorbereitung, einer Politik des aufdringlichen Interventionismus.

Es gab keinen Winkel der bekannten Welt, in dem nicht irgendein Interesse in Gefahr war oder tatsächlich angegriffen wurde. Wenn die Interessen nicht römisch waren, waren es die von Roms Verbündeten; und wenn Rom keine Verbündeten hatte, dann wurden kurzerhand Verbündete erfunden. Als es völlig unmöglich war, ein solches Interesse zu erfinden, dann war es eben die nationale Ehre, die beleidigt worden war.

Der Kampf war immer mit einer Aura der Legalität versehen. Rom wurde wurde ständig von übelgesinnten Nachbarn angegriffen, ständig kämpften es um eine Atempause. Die ganze Welt war von einem Heer von Feinden durchsetzt, und es war offensichtlich Roms Pflicht, sich gegen deren zweifellos aggressive Pläne zu schützen. Die Feinde warteten nur darauf, über das römische Volk herzufallen.

Noch weniger als in den Fällen, die bereits besprochen wurden, kann hier der Versuch unternommen werden, diese Eroberungskriege unter dem Gesichtspunkt konkreter Ziele zu verstehen. Hier gab es weder ein kriegerisches Volk in unserem Sinne, noch anfangs eine militärische Despotie oder eine Aristokratie mit spezifisch militärischer Ausrichtung. So gibt es nur einen Weg zum Verständnis: Die Betrachtung der Klasseninteressen innerhalb Roms, wer profitierte davon?“

Also: Cui bono?

Die ewige Frage ist einfach zu beantworten: Es profitierte die Elite, die herrschende Klasse der reichen Adeligen und der durch Anhäufung von Reichtum gesellschaftlich aufgestiegenen Bürger. Das war die Oberschicht, die den Senat dominierte und die Geschicke der Republik lenkte.

Nachdem die 500 Jahre währende römische Republik in der Folge von internen Machtkämpfen und Bürgerkriegen unterging und Julius Cäsars Erbe Octavian als Kaiser August die Jahrhunderte anhaltende Regentschaft der Imperatoren einleitete, ordneten sich die politisch entmachten Senatoren den Herrschern unter, weil diese im Gegenzug den Fortbestand ihrer Privilegien, vor allem aber ihres Reichtums garantierten.

Beim Lesen des Schumpeter-Zitats kam ich nicht umhin, die Situation des größten Imperiums in der aus eurozentrischer Sicht damals bekannten Welt mit der Situation des realexistierenden Imperiums der Gegenwart zu vergleichen. Tauscht man die drei Buchstaben R-O-M gegen die entsprechenden drei Buchstaben des Obermaxes aus, sind die Parallelen selbst für Blinde unübersehbar.

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Und heute: Cui bono?

Die Antwort fällt für das Imperium der Gegenwart erschreckend gleich aus: Es profitiert natürlich auch dort die Elite, die herrschende Klasse des heutigen „Adels“, Wall Street, die Konzerne, die Milliardäre. Sie haben sich eine Republik geschaffen, in der die Fassade einer Demokratie mit ihren Institutionen formal noch besteht, die wahre Macht aber von den 0,1% ausgeübt wird. In dieser „Incorporated Democracy“ mit ihrer legalisierten Korruption regiert das Geld, entscheiden einzig und allein die Interessen der herrschenden Minderheit über das Wohl und Wehe der machtlosen Mehrheit. Und weil die Macht des amerikanischen Militärs und des Dollars global ist, bestimmen die Interessen dieser Minderheit im hohen Maße über das Wohl und Wehe des ganzen Planeten.

Im letzten Absatz des o.g. Zitats irrt Schumpeter jedoch. Die römische Republik war immer kriegerisch und militärisch ausgerichtet, sie hatte von Anfang an Beutezüge, später große Feldzüge gegen ihre Nachbarn unternommen und ihren Einflussbereich ständig erweitert. Nach dem Ende der Republik führten die Imperatoren diese „traditionelle Politik“ lediglich fort. Denn Expansion ist das Organisationsprinzip des Imperialismus. (Gewalt ist ein Mittel, die Expansion durchzusetzen und aufrechtzuerhalten, um die Ausbeutung der Kolonien zu sichern.)

Imperialer Niedergang

Bis zum Jahre 117 AD, der Regentschaft des Kaisers Trajan und seines Nachfolgers Hadrian, unter denen Rom eine Fläche von ca. 5 Millionen Quadratkilometer beherrschte, war die Geschichte Roms die Geschichte einer konsequenten imperialistischen Ausdehnung. Danach ging es sukzessive bergab. Das Weströmische Reich verabschiedete sich im 5. Jahrhundert, das Oströmische hängte noch ein paar Jahrhunderte dran.

Spätere Imperien der Weltgeschichte, wie z.B. die der Spanier und vor allem der Engländer, haben prinzipiell genauso expandiert wie die Römer, wenn auch unter anderen Bedingungen und mit unterschiedlichen Vorgehensweisen. Ihnen widerfuhr ein ähnliches Schicksal; der Höhepunkt ihres territorialen Besitzes, ihrer Macht und Herrlichkeit, markierte zugleich den Beginn ihres Niedergangs.

Faktisch unwiderlegbar, zum Nachlesen empfohlen

Eine weitere Parallele zu dem realexistierenden Imperium unserer Zeit wird erkennbar. Das setzte ebenso schon früh auf Expansion nach Westen und Süden: Abschlachten der Ureinwohner, Krieg gegen Mexiko, Annexion von Texas, Arizona, Kalifornien. Als der Kontinent so um 1898 vollständig erschlossen war, ging es hinaus in die weite Welt. Seit dem Höhepunkt der Macht, sagen wir seit 1999 – obwohl auch 1991 das Ende des Ostblocks diskutabel wäre – geht es stetig danieder. Diesen Niedergang will natürlich keiner der politisch Verantwortlichen wahrhaben, die Realität wird durch Fiktion ersetzt, überall werden Feinde vermutet, die äußeren mit Drohgebärden, Sanktionen und/oder Waffengängen attackiert, und die inneren zunehmend mit den Methoden eines Polizei- und Überwachungsstaates domestiziert.

Der aktuelle Stand . . .

Das imperiale Spiel ist komplexer und unübersichtlicher geworden (geostrategisch multipolarer), die Anzahl der Player, Staaten und Konzerne, und Einzelinteressen angestiegen, das Grundmuster aber bleibt. Es geht unverändert um Ausdehnung. Wir sehen hier deutlich die im 16. Jahrhundert begonnene schicksalhafte Verschmelzung der Organisationsprinzipien des Imperialismus und des Kapitalismus. Die Untrennbarkeit von Eroberung und Ausbeutung, jenen zwei Säulen westlicher Politik, die seit 1950 mit den Propagandaphrasen Demokratie, Freiheit, Wohlstand und Menschenrechte jedem Einzeller im letzten Winkel des Planeten (haben Globen überhaupt Winkel?) eingebimst werden.

Aufgrund des weltweiten Kampfes um dramatisch schwindende Ressourcen und neue Absatzmärkte kopieren die Rotkapitalisten (China) diese Politik mit ihrer eigenen Strategie „der wirtschaftlichen Verwebung“, die auch nichts anderes als Ausbeutung der armen Nationen bedeutet. Das Neo-Zarenreich (Russland) würde es ihnen am liebsten gleichtun, ist bei seinen Vorstößen aber eingeschränkt, weil wirtschaftlich schwach und ohne Atomwaffen wäre es auch militärisch eher ein regionaler Player. Darum die strategische Annäherung an den Nachbarn im Osten. Beide Staaten sind mit ihrem Vorgehen zwangsläufig Rivalen des Westens, die „größte Bedrohung“, man schaue sich nur die kontinuierliche Propaganda in den amerikanischen Mainstreammedien sowie die aktuellen Beschlüsse des NATO-Gipfels vor wenigen Wochen an.

Ehewillige russische Frauen trinken sich deutsche Mannsbilder schön

Wie verhält sich unsere Bücklingsrepublik Deutschland?

Nach den Großmachtträumen des kurzarmigen Kaisers Wilhelm II (dem wohl ein Imperium viktorianischer Herrlichkeit vorschwebte) und den psychopathischen Allmachtsphantasien des weltkriegstraumatisieren Adolf H. (der nach dem Verlust der deutschen Kolonien in Afrika 1918 im Osten Lebensraum erobern wollte und dafür nach eigener menschenverachtender Definition „minderwertige Rassen“ – insbesondere Juden und Slawen – in Konzentrationslagern und auf den Schlachfeldern des 2. Weltkriegs auszurotten versuchte, was ihm mittels feiger Gefolgschaft des deutschen Volkes auch millionenfach gelang) hatte das „geläuterte“ Westdeutschland dank Adenauer schnell seine Rolle unter der imperialen Führerschaft des Obermaxes gefunden: Die Rolle des braven Mitmachers. Auch Organisationsprinzip Opportunismus genannt, frei nach den guten deutschen Mottos (Motti für italophile Leser): Der kleine Mann kann ja nichts machen. Hauptsache, der Arsch ist über Wasser und wir sind endlich wieder wer. Zeitgleich durfte Ostdeutschland ähnlich lieb beim russischen Bären ankuscheln.

Auch nach der Wiedervereinigung 1990 kleben „wir“ unverändert nibelungentreu am Obermaxe, wie ein Schiffshalter-Fisch an einem Weißen Hai. Unter dem Deckmantel vermeintlicher Eigenständigkeit und im „Bewusstsein unserer besonderen Geschichte und der neuen politischen Verantwortung“ lavieren „wir“ uns im Windschatten des potenten Beschützers rücksichtslos zu unserem eigenen Vorteil durch. So geben „wir“ in der EU wirtschaftlich den Ton an, sind aber als größter Nutznießer des Euro zugleich ein wesentlicher Grund, weshalb die Südländer der Währungsgemeinschaft ökonomisch immer weiter abrutschen. Wofür ausgerechnet „wir“ die Korruption und Vetternwirtschaft in diesen Staaten anprangern und strenge Haushaltsdisziplin, Austerität und Privatisierung einfordern.

„Wir“ mischen eifrig in der NATO mit – die Bundesregierung unterstützt die Osterweiterung der NATO, einer der Hauptgründe für die großen Spannungen mit Russland –, verkaufen weltweit unsere Kriegswaffentechnik und schicken deutsche Soldaten auf „Friedensmissionen“, was nichts anderes bedeutet, als sich – wenn auch indirekt – an den Kriegsspielen des Obermaxes zu beteiligen und/oder zu versuchen, die katastrophalen Folgen imperialer Politik und der Globalisierung, von beiden profitieren „wir“ gehörig, für Europa einzudämmen. (Einige Beispiele: Afghanistaneinsatz der Bundeswehr, Unterstützung der USA mit dem Aufklärungssystem AWACS im Irakkrieg, Bundeswehreinsatz gegen somalische Piraten und aktuell noch in Mali gegen Globalisierungsflüchtlinge aus den Äquatorialstaaten Afrikas.)

Und an alledem wird sich nichts ändern. Hierzu reicht ein Blick auf die dümmliche Verlogenheit unserer politischen Klasse. Die aktuellen Kanzlerkandidaten und die Programme der sich zur Bundestagswahl im September anbiedernden Parteien sind angesichts der echten Herausforderungen lächerlich. Wie Max Säger formuliert: Auf der nach unten offenen Bodenlosigkeitsskala geht es immer weiter abwärts.

Zum Schluss wird’s lustig

Denn solange der Nexus von Imperialismus und Kapitalismus besteht (der aller ideologischen Leugnung zum Trotz, Politik und Wirtschaft bestimmt), können die großen, wirklich wichtigen globalen Probleme wie Klimaufheizung, Umweltvergiftung, Migration, Armut, Pandemien etc. nicht entscheidend angegangen werden. Warum nicht? Weil Imperialismus und Kapitalismus maßgeblich deren Ursachen sind.

Um es mit Chris Hedges zu sagen: „Es fehlt uns an emotionaler und geistiger Kreativität, um die globale Kapitalismusmaschine abzuschalten, wir klammern uns an einen Todesapparat, der alles zermalmt.“

Und die 0,1% profitieren weiterhin von diesem Todesapparat. In Pandemiezeiten profitieren sie sogar noch viel mehr, wie die explosionsartige Entwicklung des Reichtums von Bezos und Co. zeigt. Nur was interessiert das schon die coronamüde, sich in den Konsum flüchtende Öffentlichkeit? In letzter Zeit allerdings sind vermehrt Warenknappheit und Lücken in den Regalen zu beobachten . . . Das gab es auch im alten, imperialen Rom, da haben Getreideknappheit und steigende Getreidepreise immer wieder zu Aufständen geführt.

Hahaha, das macht doch wieder richtig Laune, was?

LINK: Der „gute“ Ami und der „böse“ Russe 1945 – 1990 . . .

LINK: DIE ERMORDUNG VON JULIUS CAESAR – eine Geschichte des einfachen Volkes in Rom (engl. Vortrag). Autor Michael Parenti mischt in seinem Buch die traditionellen Historiker auf, indem er die römische Klassengesellschaft auseinandernimmt und die Hintergründe des Attentats aufzeigt.

(N.B. Auf THE STORM BEFORE THE STORM von Michael Duncan habe ich anderer Stelle bereits hingewiesen, die beiden Bücher ergänzen sich hervorragend.)

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