Der Romanauszug veranschaulicht, wie anständige deutsche Fleischverarbeiter artgerecht Abschlachten. Da können sich die Feldmetzger in den beiden aktuellen Lieblingsmassakern des Obermaxes und seiner Blockflöten eine mächtige Beinscheibe abschneiden. Neulich rief einer: Wie wir Gutmenschen heute industriell Tiere verarbeiten, hätten unsere Vorfahren industriell Menschen verarbeitet. Gelernt sei gelernt. Handwerk und Niedertracht wären vererbbar. Den Beweis erbrächten unsere servilen Medien jeden Tag. Hmmm … ist da etwas dran? Machen wir uns schlau. Das Bildungsfenster der Woche mit KÖNIG DER KADAVER …
Die Bombe platzte sieben Tage später. In einer überregionalen Zeitung erschien ein doppelseitiger Artikel von Inga Siekmann, in dem sie die Arbeitsbedingungen in der Fleischfabrik schilderte. Schlagzeile: Der König der Kadaver. Aktueller Aufhänger war Ansgar Wildes Ermordung, wobei sie es bei der Tatsache beließ, weder über den Tatverdächtigen noch über mögliche Hintergründe spekulierte. Stattdessen zeichnete sie den selbstlosen Einsatz des Radikalen für die Leiharbeiter nach und listete Punkt für Punkt die von ihm angeprangerten drastischen Missstände auf.
Beim Lesen fiel mit ein, wie mich der Metzger zum ersten Mal durch seine Fleischfabrik führte. Sofort hatte ich wieder die dunkle Ankunftshalle vor Augen, wo täglich Tausende verstört quiekender Schweine mit hellen, breiten Farbstrichen auf den Rücken aus den Sattelzügen, vorbei an Betonwänden und Eisengittern, in Gänge und Gehege mit fahrbaren Wänden getrieben werden. Auf dem beheizten Boden lag überall Stallmist. Allein bei dem Gedanken an die riesige Halle, die eine gleichzeitige Abfertigung von zwanzig Viehtransportern erlaubt, stieg mir dieser warme Geruch von Schwein und Scheiße in die Nase.
Wir zogen weiße Schutzkleidung und Gummigaloschen an, bevor es durch eine Art Schleuse in die Produktion ging.
„Die Kreatur verdient Respekt“, stand auf einem Schild am Eingang. Beinahe hätte ich laut gelacht. Welche Kreatur war gemeint? Der Metzger faselte stolz von 15.000 Schweinen pro Schicht. So viele Borstenviecher können nur mit Fließbandmast produziert werden. Sie sind bereits mit 110 Kilo schlachtreif, rund die Hälfte des Gewichts eines ausgewachsenen Schweins.
„Effizienz zählt“, rief er aus und zeigte mir, was industrielle Fleischverarbeitung bedeutet.
Die von Entspannungsgedudel beruhigten Tiere werden Barcode etikettiert und mit Kohlendioxid komatisiert. An einem Hinterbein ans Förderband gehängt, geht es ruckelnd voran zur digitalen Waage. Dass einzelne Viecher mit den Schädeln gegen die Stahlblechverkleidungen prallten, übersah der Metzger geflissentlich und eilte weiter.
Eine tropische Hitze schlug mir entgegen.
Die Arbeiter trugen einheitlich weiß: weiße Hosen, weiße Gummistiefel, weißes Haarnetz, vielfach auch weißen Mundschutz. Ihre Vor- oder Spitznamen waren mit Filzstift auf ihre Plastikschürzen geschrieben. Erschienen sie mir einzeln noch wie Hilfskräfte in einem radioaktiv verseuchten Gebiet, so erinnerten sie mich jetzt in der Masse an ein Geisterheer aus einem Horror-Videospiel.
Nach dem Wiegen werden die Schweine von den Stechern per Rundmesser getötet, direkt in Absaugschläuche ausgeblutet und wieder gewogen – ist das zähe Biest nach der Tortur immer noch nicht tot, bekommt’s einen finalen Bolzenschuss verpasst.
„Damit ist aus der Kreatur Material geworden“, verkündete der Metzger mit gehobenem Zeigefinger und erklärte, dass die am Förderband hängenden Kadaver nun zur Borstenentfernung zweimal in ein Brühbad getaucht und danach maschinell abgeschabt werden. Im letzten Moment verkniff ich mir die Frage, ob die Tierhaut nach der Rasur auch schön glatt und geschmeidig wäre?
Der Metzger drängte vorwärts. Mit jedem Schritt wurde es kälter. Die Temperatur lag nur noch wenig über null Grad.
Auf mehreren Arbeitsplattformen schlitzen Gruppen von Zerlegern zeitgleich mit Messern die Bauchwände der ihnen zugeführten Schweineleiber auf, lösen mit einigen routinierten Schnitten die ölig schillernden, pink-rosa-roten Innereien heraus und lassen sie in Kunststoffwannen unter das Förderband flutschen.
Es stank penetrant nach Blut. Ich stand in einer schmierigen Lache aus Fett, Blut und Geweberesten. Ekel überkam mich.
Das Handwerkszeug der Zerleger, ein Kettenhandschuh und verschiedene Schlachtmesser, steckte in kleinen Körben, die an Geländern in unmittelbarer Nähe hingen.
Der Metzger winkte.
Er sagte: „Die Arbeitsabläufe sind stramm getaktet und für jeden Arbeiter auf ein paar präzise Handgriffe beschränkt.“
„Effizienz“, sagte ich reflexartig und dachte, was für eine gnadenlose Akkordschinderei.
Verlmeyer strahlte. Wir verstanden uns.
Er eilte voraus. Danach werden die Schweineleiber mittels großer Andruckarme den Torsosägen zugeführt, die sie in einer fließenden Bewegung von oben nach unten in zwei Hälften zertrennen. Schweinehälfte um Schweinehälfte landet auf den Förderbändern, um dort von Arbeiterhundertschaften in immer kleinere Stücke zerlegt, maschinell portioniert und ganz zum Schluss verpackt und palettiert ins Kühlhaus geschoben zu werden. Dreißig Schweine pro Minute. In jeder Schicht. Alle zwei Sekunden ein Schwein? Hatte ich richtig gerechnet?
„Na, Sheriff, ist das nicht herrlich?“, rief Verlmeyer euphorisch am Ende der Führung, die Arme ausbreitend wie Onkel Dagobert vor einem Bad in seinen Talern.
„Ganz großes Kino, Metzger.“ Seitdem schmeckten mir keine Koteletts und Würstchen mehr.
Die Journalistin schrieb, die Arbeiter dürften nur während der Pausen die Toiletten benutzen. Weil dafür jedoch alle durch die Hygieneschleusen müssten, reichte oftmals die knapp bemessene Zeit nicht aus, vorausgesetzt, die Pausenzeiten würden überhaupt eingehalten. Sie führte die Prämien genannten Ordnungsstrafen von bis zu 100 Euro bei Verstößen an und stellte ihnen den durchschnittlichen Stundenlohn von 6,75 Euro gegenüber. Sie zitierte Sprüche von Schichtführern wie: „Wer noch Spaß hat, arbeitet nicht.“ Und titelte eine Zwischenüberschrift: „Dauerstress, Angst und Demütigung“. Auch die 210 oder mehr Überwachungskameras überall in der Fabrik, in den Umkleideräumen und sogar auf den Toiletten, schilderte sie eingehend. Inga Siekmann hatte gründlich recherchiert.
In ihrer Einleitung stand, der sogenannte ausgewogene, neutrale Journalismus sei ein naiver Irrglaube, weil bereits das Auswählen und Arrangieren von Fakten einen massiven subjektiven Eingriff in die Berichterstattung darstelle und damit parteilich wäre. Sie hätte sich entschieden, konsequent für die Schwächeren Partei zu ergreifen. Die Mächtigen, Milliardäre wie Verlmeyer, benötigten keine Fürsprecher, sie würden Hindernisse und Probleme einfach mit ihrem Geld beseitigen.
Aus jeder ihrer Zeilen tönte mir der Radikale entgegen.
LINK: Was? Wenn du das Ding nicht liest, ist dein weiteres Leben sinnlos … ? Recht so. Hier zum Lesefutter: