Uhl braucht dringend Kohle und Wozzeck sieht da eine Möglichkeit. Er gibt ihm Namen und Adresse von einem Typen, dazu ein Foto. Wer einen Kredit von Wozzeck will, muss seine Visage in die Kamera halten und artig lächeln. Der Typ trägt ein weißes Hemd und eine gestreifte Krawatte und grinst unverschämt. Ein Optimist.
Uhl ruft bei mir an. Dann holen wir den Dicken ab, der sich gleich hinters Steuer schwingt. Einige Zeit später postieren uns vor dem Haus von dem Typen. Unauffällig. Einer vorne, einer hinten. Uhl schellt. Keiner da. Wir warten. Die Hütte ist ein Neubau mit Eigentumswohnungen, sieht nobel aus. Der Typ hat offensichtlich Schotter. Nach einer Ewigkeit, eine Stunde mindestens, kommt so ein alter Kerl mit einem Müllsack aus dem Haus. Uhl rennt sofort rüber und haut ihn an. Der Alte kennt den Typen, der ist ein richtiges Arschloch. Ständig laute Musik und nachts fremde Leute in der Bude. Einer von denen hat vor seine Tür gekotzt. Drei Leute haben im Flur gevögelt. Wo der Typ sich sonst rumtreibt, weiß der Alte nicht, er hat ihn schon ein paar Tage nicht mehr gesehen. Am liebsten wäre’s ihm, wenn der Kerl wegziehen würde. Ob Uhl da was machen könnte?
Wir hauen ab. Der Dicke fährt und Uhl kriegt langsam schlechte Laune. Er ruft Wozzeck an, steckt ihm was Sache ist und fragt, ob Wozzeck nicht noch ein paar weitere Infos hat? Eine lange Zeit ist Stille in der Leitung. Vielleicht hat Wozzeck gerade einen Herzkasper, weil er denkt seine hundert Riesen sind flöten. Aber dann fällt ihm noch was ein. Uhl hört zu, nickt und sagt, okay und nochmal okay, packt das Handy weg und starrt aus dem Fenster. Der Dicke schaut fragend in den Rückspiegel, ich zucke mit den Schultern. Uhl ist manchmal so.
„Fahr zu Rudi”, sagt er auf einmal.
Der Dicke nimmt eine rote Ampel und macht kehrt wie im Film: Gas geben, Lenkrad einschlagen, zugleich Handbremse ziehen. Dann jagt die Karre zurück in die Richtung, aus der wir gekommen sind.
Zum Dicken muss ich was sagen. Der heißt zwar Dicker, er ist aber nicht dick, sondern sieht aus, wie ein Jockey mit Bodybuilder-Armen. Der heißt nur Dicker, weil er eine dicke Fresse hat. Kann er sich auch leisten, ist der beste Fahrer, den ich kenne. Früher hat er mal bei Stunt-Shows mitgemacht und Crashs fürs Fernsehen gedreht. Die wollen ihn aber nicht mehr, er wäre zu aggressiv. Das stimmt.
Rudi hat eine Kneipe unten am Hafen. Unser Typ soll da öfters abhängen. Wir bleiben draußen und haben die Ausgänge im Blick, während Uhl reingeht. Keine zehn Sekunden später, klettert einer aus dem Toilettenfenster und rennt genau auf mich zu. Er sieht mir direkt in die Augen, ich erkenne ihn sofort und grinse: es ist unser Typ. Er dreht plötzlich ab und sprintet in die andere Richtung, wo der Dicke wartet. Der ist wie gesagt kleiner als ich, unser Typ rechnet sich bestimmt bessere Chancen aus.
Uhl und ich haben ordentlich Mühe, den Dicken von dem Typen runterzuziehen. Wir schleppen ihn zurück in Rudis Kneipe und machen ihn schön sauber, waschen ihm das Blut ab, verarzten den Riss über der rechten Augenbraue und die Kratzer am Hals. Die aussehen, als wollte der Dicke ihm vorhin den Kehlkopf rausreißen. Rudis Freundin bürstet sogar noch das Sakko von dem Typen.
Dann setzt sich Uhl mit ihm in eine Nische und erklärt die Lage.
„Du hast eine finanzielle Leistung erhalten und dein Wort gegeben. Jetzt wirst du dein Wort halten, dann sind alle zufrieden und wir vergessen die kleine Nummer hier.“
Der Typ nickt verständnisvoll, inzwischen ist sein linkes Auge derart zugeschwollen, dass er nichts mehr sieht. Er muss den Kopf total verdrehen, um Uhl ins Gesicht zu schauen, denn Uhl sitzt links neben ihm. Nach fünf Minuten hat der Typ seine Lage völlig verstanden. Er braucht nur noch die Hunderttausend rüberschieben und gut ist. Und genau da fängt das Problem an. Der Typ erklärt Uhl, dass er die Summe investiert hat und auf seinen ROI wartet. Return-on-Investment heißt das, was zusätzlich dabei rauskommt, wie der Typ sich ausdrückt, der Gewinn, und das würde eben noch dauern. Das muss Uhl verstehen. Nur will Uhl gar nichts verstehen. Er will auch nicht wissen, warum, wieso, weshalb. Er will die Hunderttausend und keine Märchenstunde.
Als der Typ meint, Uhl könne auch noch auf den Zug aufspringen, springt der Dicke auf und der Typ pisst sich prompt in die Hose.
„Jetzt muss Rudis Freundin auch noch die Jeans waschen”, sage ich und alle lachen. Nur Uhl nicht. Er packt den Pisser am Hals und schleift ihn raus.
Wir fahren wieder zu seiner Wohnung und stellen die Bude auf den Kopf. Als der Alte von nebenan schellt und sich über den Lärm beschwert, grinst der Dicke und klopft ihm verständnisvoll auf die Backe. Der Alte zieht gleich wieder Leine. Wir finden Zwanzigtausend in bar und den Rest in einem Geheimfach unter dem Fußboden: weißes Pulver – Koks. Der Typ hat mit Wozzecks Kohle seinen Einstieg ins Drogengeschäft finanziert. Das passt Uhl überhaupt nicht. Die ganze Sache stinkt mächtig. Wenn die Bullen davon Wind kriegen, können sie uns alle an den Arsch packen. Bei unseren Vorstrafen reicht der bloße Verdacht und wir fahren wieder ein. Uhl greift die zwanzig Riesen, ich den Typen, der Dicke das Koks, was er in eine Keksdose stopft, die er vorher ausleert, und wir fahren alle zu Wozzeck.
In dem kleinen Büro ist es minutenlang still. Wozzeck glaubt es nicht. Der Typ hat für Hunderttausend Euro Koks gekauft, das meiste davon ist noch in der Keksdose? Die zwanzig Riesen sind sein bisheriger Erlös, wie der Typ schwört. Der ganze Inhalt der Keksdose wird locker eine halbe Million einbringen. Wozzeck schweigt wieder minutenlang. Schließlich steht er auf, nimmt die zwanzigtausend Euro, zählt dreitausend ab und schiebt sie Uhl rüber.
„Den Rest gibt’s, wenn ich meine Hundert habe”, sagt Wozzeck.
Uhl rührt die Scheine nicht an. Er steht auf dem Standpunkt, dass er Wozzeck sein Geld samt Gläubiger zurückgebracht hat. Alles Weitere geht ihn nichts an.
„Fünfzehntausend”, sagt Uhl, „jetzt sofort und in bar. Ich gebe dir gern eine Quittung.“
Wozzeck zieht ein angestrengtes Gesicht, als würde er kacken oder nachdenken. Sieht bei ihm bestimmt gleich aus, schätze ich. Dann schiebt er lächelnd die ganzen Zwanzig rüber. Uhl zählt fünfzehntausend ab und lässt den Rest liegen. Wozzeck hat nichts anderes erwartet.
Auf einmal sind alle gut drauf. Der Dicke und ich kriegen jeder drei Scheine und Uhl steckt neun ein. Was fair ist. Er ist schließlich der Boss. Dann nutzt der Typ die gute Stimmung, steht auf und meint, er fängt besser gleich an, Wozzecks Kohle zu verdienen. Als er zur Keksdose greift, schlägt Wozzeck ihm ein mit Blei gefülltes Rohr ans Kinn. Wie ein nasser Sack knallt der Typ seitlich neben den Schreibtisch.
„Du kriegst, was übrig bleibt”, sagt Wozzeck in den Raum und zu Uhl, „werft ihn unterwegs irgendwo raus.“
Als der Dicke und ich den Typen aufheben und aus dem Büro schleifen, höre ich Wozzeck fragen.
„Nimmst du neue Aufträge an, Uhl?“