FANAL – Kapitel 4

Es geht voran: Der Verfassungsschützer auf dem Abstellgleis legt los . . .

Um Jans Spur aufzunehmen, brauchte Horst Insiderinfos. Er musste seine alten Kontakte abklappern. Anstatt im Bett, verbrachte er die meiste Zeit des Tages an den letzten öffentlichen Telefonsäulen im Stadtgebiet. Die Leute schätzten Diskretion, falls sie überhaupt mit ihm sprechen würden. Als erstes rief er bei Zöllinger an, der wusste meistens bescheid und schuldete Horst noch einen Gefallen. Seine Anschlüsse existierten nicht mehr. Er strich Zöllingers Namen aus dem Register. Nachdem er vier oder fünf weitere Personen angerufen hatte, die entweder sofort auflegten oder sich verleugnen ließen, ihre Namen strich er ebenfalls durch, versuchte Horst es bei Linse, einem ehemaligen BND-Mitarbeiter mit Auslandseinsätzen auf dem Balkan und in Nahost.

Linse schien für die Störung dankbar zu sein. Er langweilte sich seit seiner Pensionierung. Horst hätte ihn als Erstes anrufen sollen, konnte den Typ aber nicht ausstehen. Der Ex-BND-Agent schwafelte von seinem super Fitnesstraining und seiner neuen Topdiät und dass noch sieben Kilo runterkämen, dann hätte er wieder sein altes Kampfgewicht. Mit den Pfunden purzelten die Jahre, ob Horst das wüsste? Linse überlegte ernsthaft, sich als Sicherheitsberater selbständig zu machen.

„Wirtschaftsspionage oder Anti-Terrorconsulting?“, fragte Horst, dem Linses Ambitionen scheißegal waren. Fühlten sich eigentlich alle Agenten nach einer Karriere im Staatsdienst unter Wert verkauft und träumten kurz vor Toresschluss vom großen Geld? Degeneriertes Pack

Horst sucht den Durchblick

Linse sagte: „Ich hab da keine Präferenzen. Hauptsache, die zahlen gut.“

„Tun sie bestimmt. Man braucht dafür aber einen skrupellosen Charakter, wie mir bestätigt wurde.“

„Ich war dreißig Jahre bei den Spähern, reicht das?“

Linse hielt Sitzfleisch bestimmt für eine besondere Qualität, von Charakter hatte der Kerl sicher nie viel gehalten, dachte Horst. Er hatte genug von dem Geplänkel.

„Prima, dann kannst du mir vielleicht weiterhelfen? Ich bräuchte eine zweite Meinung.“

„Du willst was gegenchecken?“

„Keine große Sache.“

„Weiß dein Experte das?“

„Was glaubst du, würde ich dann morgen noch seine Expertise kriegen? “

„Haha. Was willst du wissen?“

Die Nummer klappte immer, keiner wollte der erste sein, der seine Expertenmeinung äußerte, doch die Meinung eines Kollegen niederzumachen, ließ selten jemand sausen. Eleganter als Mobbing und doppelt so hinterfotzig. Horst fragte, wie man am besten mit einer falschen Identität aus dem Libanon nach Deutschland kommen konnte.

„Als Deutscher mit Vergangenheit, meinst du?“

„Zum Beispiel.“

„Über Land dauert es länger, ist aber sicherer“, sagte Linse nach einigem Überlegen, „hängt von den finanziellen Möglichkeiten und der Qualität seiner Papiere ab. Ich würde von Tripolis mit dem Schiff nach Zypern fahren, in den griechischen Teil. Da bist du schon mal in der EU, weiter nach Igoumenitsa oder Patras in Griechenland. Von da mit der Fähre nach Bari oder Brindisi. Dann mit dem Zug oder per Anhalter, am besten mit ’nem LKW, nach Norden. Als hellhäutiger Europäer kommst du problemlos über die Grenze nach Deutschland.“

„Junge, Junge.“ Horst ließ es ärgerlich klingen.

„Na, welchen Blödsinn hat der Kollege verzapft?“

„Ich schäme mich, es dir zu sagen.“

„Hättest du dich man gleich an mich gewandt.“

„Das weiß ich jetzt auch“, sagte Horst, „wie können sie dich nur in Rente schicken?“

„Musst du nicht mir erzählen. Meinst du wirklich, die Industrie wäre was für mich?“

„Unbedingt.“

Linse kann rechts wie links

Drei banale Sätze später, hängte Horst ein. Gott, war der Kerl ein Idiot. Aber Linse hatte seinen Instinkt bestätigt. Würde Jan sich wieder nach Deutschland wagen? Horst konnte kaum einen klaren Gedanken fassen. Er schluckte zwei Pep-Pillen. Bei schwindender Konzentration und steigender Müdigkeit war auf Pep Verlass. Das Zeug hielt ihn notfalls drei Tage und länger auf den Beinen – hatte es früher schon. Er musste unbedingt seine alten Notizbücher und Berichtskopien aus den 80er und 90er Jahren durchsehen. Die lagerten in einem Bankschließfach, das Horst unter einem Alias angemietet hatte. Eine Vorsichtsmaßnahme, weil er einige Zeit lang ernsthaft befürchtete, man würde ihn verhaften.

Den letzten Vermerk in Jans Akte brauchte Horst nicht nachzulesen, er konnte ihn auswendig: „J. erschien weder am ersten noch am zweiten Treffpunkt. Überprüfung ergab, dass er Objekt A schon vor längerer Zeit aufgegeben hat. J. muss Verdacht geschöpft haben – undichte Stelle oder 6. Sinn? Wer könnte die undichte Stelle sein?“

Das hatte er im Herbst 1998 geschrieben, unmittelbar nach der offiziellen Selbstauflösung. Kurz vor Geschäftsschluss holte Horst seine Notizbücher aus dem Bankfach. Die Kopien von Jans Berichten nahm er ebenfalls mit. Nur die Walther P4 von dem Anschlag gegen M. und der Exekution des Informanten, schloss er wieder ein. Beide Taten galten bis heute offiziell als nicht aufgeklärt. Auf der P4 befanden sich Jans Fingerabdrücke.

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