KÖNIG DER KADAVER – Kapitel 3

Die vorangegangenen Kapitel 1 und 2 finden die geneigten Leser unter BÜCHER, KÖNIG DER KADAVER, LESEPROBE. Für diejenigen, die noch ein wenig mehr anschmecken möchten oder sich nicht länger bis zum Eintreffen ihres persönlichen Exemplares auf die Folter spannen wollen, geht’s hier vorwärts . . .

Der Radikale hieß mit bürgerlichem Namen Ansgar Wilde. Er hatte den Unfall nicht nur spitzgekriegt, sondern sich tags darauf gleich ans Fabriktor zwischen Pfosten und Torrahmen gekettet, so dass es sich nicht mehr öffnen ließ. Als ich eintraf, skandierte Wilde per Megafon lautstark irgendwelche sinnlosen Slogans, gefilmt von einigen Kids mit ihren Smartphones. Bestimmt streamten sie seine Protestaktion live im Internet. Wildes Youtube-Kanal besaß rund 100 Abonnenten, die meisten von ihnen waren junge Tier- und Umweltschützer und bestimmt auch Veganer, alles, nur keine solidarischen Arbeitskämpfer. Der Spinner glaubte dennoch unbeirrt an das Gute im Menschen, und dass Solidarität die Zärtlichkeit der Meute sei, oder wie der Spruch heißt. Lächerlich. Es kämpft jeder nur für sich. Hier bei uns besonders. Ich allen voran.

Ein paar Meter vom Tor entfernt parkte die dunkle Mercedes Limousine des Firmeninhabers. Kaum hatte ich den Motor abgestellt, stieg der Metzger aus und sah zu mir herüber. In seinem weißen Kittel mit dem roten Namenszug auf der Brusttasche machte er auf mich immer den Eindruck, als wollte er jeden Moment frisches Gehacktes in die Fleischtheke packen.

Mit einem Kaffee to-go von Krämers Backshop in der Hand schälte ich mich gemächlich aus dem Fahrersitz meines Polizeiwagens und schlurfte zu ihm. Die Smartphone-Filmer witterten eine neue Entwicklung. Sie schwenkten von Wilde auf den Metzger und mich. In ihrem Rücken eilten unterdessen zwei Werkschutzmänner mit einem Bolzenschneider heran und kletterten über das mannshohe Einfahrtstor.

„Moin, Sheriff“, sagte Verlmeyer wie immer.

„Moin, Metzger“, erwiderte ich, ebenfalls wie immer.

„Alles zur Zufriedenheit?“

Er meinte den Unfallbericht.

Ich nahm einen Schluck Kaffee und beobachtete, wie die beiden Werkschützer, von den Smartphone-Filmern zunächst unbemerkt, Wilde das Megafon entrissen und ein paar Schläge in den Bauch verpassten. Während einer ihn festhielt, knackte der andere mit dem Bolzenschneider die Kette.

Ich deutete auf den Kaffee und blickte enttäuscht. „Alles Bestens, außer dass die Soße lauwarm ist.“

„Leisten Sie sich endlich einen Thermosbecher, der ist nicht nur praktischer, sondern auch umweltfreundlicher.“

Die beiden Werkschützer nahmen den zusammengekrümmten Wilde zwischen sich und richteten ihn auf.

Ich sagte, „gute Idee, den wünsche ich mir zum Geburtstag“, drückte dem Metzger meinen Kaffeebecher in die Hand und ging zu dem Radikalen. Die Smartphone-Kameras folgten mir. Jetzt kam der mediale Höhepunkt der Aktion, auf den sie gewartet hatten: die Festnahme des Aktivisten.

„Das ist unser 25. Date, Sheriff“, rief Wilde mir mit gequälter Stimme entgegen, „finden Sie mich wirklich so unwiderstehlich?“

Er konnte bemerkenswert viel wegstecken.

„Frischfleisch ist immer sexy, Ansgar.“

Die Werkschützer drehten Wilde grob herum, damit ich ihm die Handfesseln anlegen konnte. Ich hielt mich dabei etwas seitlich, die Kamera-Kids sollten gute Bilder kriegen.

„Können Sie das noch mal machen, Wachtmeister? Dann drehen wir noch ’ne Nahe“, schlug einer der Filmer vor.

„Kauf dir Kabelbinder und fake den Close-up“, sagte ich, hakte Wilde unter und führte ihn zum Polizeiwagen.

Die Smartphone-Filmer überholten uns.

Wilde rief dem Metzger zu: „Wann veröffentlichen Sie endlich den echten Unfallbericht? Wie lange soll die Familie von Nico Fortescu noch auf die Wahrheit warten?“

Der Metzger warf meinen Kaffeebecher fort und stieg wieder in seine Limousine. Der Chauffeur startete den Motor.

Ich öffnete die hintere Tür auf der Fahrerseite des Polizei-wagens, beförderte Wilde auf die Rückback.

Er schrie: „Sie müssen das nicht tun, Herr Hauptwachtmeister! Sie müss-“

Die Tür schlug zu. Wilde verstummte schlagartig. Seine Show war nur für die Kameras bestimmt.

Auf der Wache ging das Kasperletheater mit der ordnungs-gemäßen Vernehmung des Radikalen weiter.

„Warum haben Sie sich an das Fabriktor gekettet?“

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