PARABELLUM – Medien, Ideologie und Krieg

AUSZUG aus einem aktuellen Romanprojekt:

Es war gegen zwei Uhr nachts. In diesem Moment lag Felix auf dem Bauch nahe der Raffinerie in einem Vorort von Benghazi und versuchte die Positionen seiner Gegner auszumachen. Unmöglich zu sagen, ob es sich dabei um Aufständische handelte, islamistische Terroristen oder normale Banditen. Felix war es ohnehin egal. Er war ein Private-Security-Contractor. Ein echter Scheißjob. Nur Idioten ließen sich für ein paar hundert Dollar am Tag den Arsch wegballern. Und Typen wie Felix. Wenn man außer gehorchen und töten nichts gelernt hatte, fehlten anscheinend die Alternativen. Oder die Phantasie. Oder war die Wahrheit letztlich erschreckend banal? Krieg berauschte, der Alltag nicht. Krieg hieß Einsatz, Kameradschaft, Konfrontation mit dem Tod, Überlebenskampf. Die ganze menschliche Existenz reduziert aufs Gefecht. Krieg war die stärkste Droge der Welt, stärker als Heroin, Kokain, Methamphetamin zusammen. Krieg machte süchtig. Felix war süchtig. Darum war er hier und darum würde er hier verrecken.

FORTSETZUNG am Ende des Artikels. Zuvor sieben fixe Reflexionen über Medien, Ideologie und Krieg …

1

Anstatt zu lesen, konsumiert vor allem das junge Publikum ortsunabhängig serielle Erzählformate, überall und zu jeder Zeit: auf Flatscreen, Laptop, Tablet, auf dem Pad und dem Smartphone. (N.B. Serien-Overkill: Noch nie wurden so viele Serien zeitgleich geschrieben, pilotiert, gedreht, produziert, ausgestrahlt, und natürlich prämiert.)

2

Zombies at the Gates

Bewegtbilder sind die bequemste Form knüppelharte Ideologie nach dem Prinzip Schluckimpfung – einen Würfel Zucker mit einem Tropfen Wirkstoff – zu konsumieren. Unter Ideologie verstehe ich die unkritisch akzeptierten Grundeinstellungen unserer Gesellschaft und die spontanen Reaktionen auf bestimmte Begriffe und/oder Themen. Diese Ideologie wird von Kreativen und Angebotsprovidern aus dem popkulturellen Hegemonialstaat Estados Unidos, dem der Großteil der seriellen Erzählformate entstammt, konsequent perpetuiert. Die meisten Macher überall auf dem Globus eifern fleißig der US-amerikanischen Messlatte nach. Besonders eilfertig tun sich hier die neuen deutschen Macher hervor. Selbst die erklärten Feinde dieser Form von Propaganda kopieren die Erfolgsmaschen von Tinseltown zum Zwecke ihrer eigenen Propaganda.

3

Für einen kleinen Moment hebt sich der Schleier der Maja und wir erkennen die Gehirnwäsche hinter all den hirnlosen Super- und Actionhelden-Dystopien, den Game of Thrones, The Walking Deads, Hunger Games‘, Marvel Civil-War-Avengerquark (beliebig verlängerbare Liste), die Hollywood rauspumpt: Die Zuschauer müssen auf die Apokalypse vorbereitet werden. Die global herrschende Idioten-Riege will den Endkampf herbeiführen. Sie können sich eher das Ende der Welt vorstellen, als das Ende des Kapitalismus. (Alternativlos, wie Zitter-Angela postulierte.) Das Gefasel vom angeblichen feinfühligen Aufspüren der unbewussten Ängste in der Bevölkerung ist ebenso dummes Zeug wie die Rechtfertigung, ein internationales Publikum verstünde eben klare Geschichten von Gut und Böse besser, reine Marketingschönfärberei ist. Es geht nur um Kohle.

4

Hauptsache schön wehrhaft

So geistig bescheiden wie die Dialoge in den vorgenannten Formaten (gibt es eine größere Anhäufung debiler Plattitüden im shakespearschen Gewande als bei GOT?), so beschränkt wie das Vokabular, ist auch die Denkfähigkeit von Machern und Zuschauern. Komplexes Denkvermögen setzt einen gewissen Wortschatz voraus. Kritisches, eigenständiges, unabhängiges Denken ist jedoch OUT. Gedankenlose Worthülsen und hirnlose Phrasen sind dafür IN.

5

In dem vorherrschenden manichaeistischen Weltbild des Imperiums, das die Welt in Gut und Böse aufteilt, sind die Feinde alle anders denkenden und vor allem anders aussehenden Menschen. Teile und herrsche erleben wir weltweit in ungeschönter Brutalität.

6

Die Wahrheit ist offenkundig: sämtliche Konflikte werden nahezu ausschließlich mit Gewalt, mit immer mehr Waffen und unter immer größerem Einsatz der Unterklasse gelöst. Alles fürs Vaterland. Profit ist patriotisch. Und überhaupt, die Guten sind in Gefahr. Es ist nichts als ideologische Selbsttäuschung und Selbstrechtfertigung, dass das Gute am Ende siegt. (Wer oder was ist das Gute überhaupt?) Es siegt der Stärkere mit den besseren Waffen, dem größeren Material, der größeren Bereitschaft, Menschen zu verheizen. Was gut ist, bestimmen die Sieger.

7

Wenn den Patrioten die Pflicht ruft, dann muss er ihr folgen. Passend dazu verzeichnet unsere nicht einmal bedingt einsatzfähige Bundeswehr den größten Zulauf an minderjährigen Rekruten aller Zeiten. (Zur Erinnerung: Bei Minderjährigen müssen Mami oder Papi unterschreiben, damit sie oder er einrücken dürfen.) Das Erfolgsrezept ist die Gehirnwäsche mittels der auf Youtube laufende Dokusoap „Die Rekruten”.

Fröhliche Rekruten 2019: auf ins Gefechtsabenteuer

An Dämlichkeit schwer zu überbieten, fixt sie Jugendliche anscheinend in einem Alter mächtig an, in dem sie nach nichts mehr suchen, als Sinn abseits des Elternhauses. Unglaublich! Was für eine elende Welt ist das? Patriotische Scheiße für deutsche Kinderhirne. Abenteuer und Sinn? Demokratie und Freiheit verteidigen? Ist Sterben im Ausland ein Abenteuer? Und wessen Demokratie und wessen Freiheit verteidigen? Und vor wem? Die unserige vor dem Ansturm der Migranten? Die befriedeten Länder Afghanistan, Irak oder Griechenland vor IWF und Weltbank? Das Christentum vor dem Islam? Den Euro vor dem Untergang? Unser Recht auf Ausbeutung der Schwachen? Oder sollen unsere Rekruten gar die Rohstoffreserven Afrikas im Namen von Oligarchen und Großkonzernen für unseren Konsum schützen? Stellt sich überhaupt einer diese Fragen?

Haltlos begeisterte deutsche Kriegsgefangene 1917

FORTSETZUNG:

Felix rückte vor, erreichte den Hauseingang, schoss weiter ins Dunkel. Er befand sich allein in der Gasse. Der Schütze hatte sich zurückgezogen. Ein Geräusch ließ Felix herumfahren. Hinter ihm am Eingang standen Männer mit Munitionswesten und Bärten und Gewehren. Sie zielten auf ihn. Für einen Augenblick schien die Zeit zu gefrieren. Felix riss sein G36 hoch und drückte ab. Die Männer feuerten ebenfalls. Alle schossen zugleich. Projektile schlugen in Felix’ Helm, in seine schusssichere Weste und in seine Protektoren. Projektile durchlöcherten seine Arme und seine Beine. Projektile zerfetzten sein Gesicht. Felix’ Körper stürzte zu Boden. Die bärtigen Männer schossen unbeirrt weiter, pumpten Magazin um Magazin in den wild zuckenden Leib. Der Lärm war ohrenbetäubend.

Massengräber im Irak

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