FANAL – das verworfene Kapitel

Im Entstehungsprozess eines Romans werden ständig Passagen oder ganze Kapitel verändert, manchmal auch komplett verworfen. Der folgende Auszug aus solch einem Kapitel gibt weitere Informationen zu Riegers Vorgeschichte und den Geschehnissen vor seinem Abgang aus Beirut . . .

Als sein Kontakt aus dem Schatten der Mauer trat, kam Rieger zügig heran und schoss dem Amerikaner zweimal ins Gesicht.

Nach dem Massaker letzte Woche, war es für ihn eng geworden. Seit die libanesische Armee einen sunnitischen Geistlichen abgeknallt hatte, lieferten sich Anhänger des Assad Regimes und verfeindete Oppositionsgruppen Straßenschlachten mit automatischen Waffen. Der Krieg war in Beirut angekommen. Brandgefährlich für Agenten – für Doppel- und Dreifachagenten erst recht. Rieger stand ganz sicher auf der Abschussliste. Die Sache mit der gestoppten Lieferung musste den Ausschlag gegeben haben. Ein unbedarfter Beobachter hätte ihn für paranoid gehalten. Was auch stimmte, er war paranoid. Nicht im klinischen Sinne, obwohl das nicht auszuschließen war, Paranoia gehörte zu seinen Überlebensstrategien.

Das alte Holiday-Inn in Beirut – nix für Rieger

Er musste den CIA-Mann töten, um das Misstrauen der libanesischen Schmuggler zu zerstreuen.

Seit er vor 13 Jahren aus Dunkelland verschwinden musste, hatte er sich im Nahen Osten herumgetrieben. Die kargen Barreserven schnell aufgezehrt, brauchte Rieger Geld und reaktivierte zwangsläufig alte Kontakte in Palästinenserkreise aus den späten 1980er Jahren. Schon vor dem 11. September eine riskante Nummer. Jetzt demonstrierte die ganze Welt Empathie für die im kollektiven Schockzustand befindlichen Amerikaner. Eine Stimmung von der in Bourj al-Barajneh nicht viel zu spüren war. In dem Ghetto hausten seit 60 Jahren mehr als zwanzigtausend Flüchtlinge aus Palästina in einem, von Stromkabeln und Wasserohren gesäumten Wirrwarr enger, dunkler Gassen. Beinahe täglich knallte es zwischen rivalisierenden islamistischen Gangs. Von der libanesischen Polizei ignoriert, sorgten die Palästinenser für ihre Sicherheit selbst.

Hier hatte Rieger kurzzeitig Unterschlupf gefunden. Er landete bei Schmugglern und berufsmäßigen Kriminellen. Sein nettes europäisches Gesicht erweckte Vertrauen in Verhandlungen mit bestimmten ausländischen Partnern – da wurde man nicht gleich für einen Terroristen gehalten. Er war nützlich und hielt sich über Wasser. Bis zum Einmarsch des Imperiums und seinen Heloten im Zweistromland, pendelte er zwischen Libanon und Irak, Jordanien und Syrien hin und her. Danach beschränkte er sich auf Syrien und den Libanon. Das bisschen, was Rieger zum Überleben brauchte, drohte irgendwann gar nicht mehr abzufallen.

Da interessierte sich die CIA für ihn.

Es war nach Beginn des arabischen Frühling. Die allseits herrschenden Despoten überkam Angst und Schrecken. Einige, deren biologische Lebenskurve sich ohnehin dem Ende entgegen neigte, wurden gestürzt, andere klammerten sich mit Gewalt an die Macht. Was in Tunis oder Kairo geschah, durfte sich nicht weiter ausbreiten. Außer bei denjenigen, die dem Westen seit Jahrzehnten ein Dorn im Auge waren: Terroristen wie Gaddafi und Assad.

Riegers unpopuläre Ex-Genossen in der Heimat – auch keine Bank

Nach dem die Ölreserven in Libyen vertraglich vom Westen gesichert waren und Gaddafi sich als nicht kugelfest erwiesen hatte, sollte Assad fallen, dieser Kumpel von den Russen und den Iranern mit der luxusaffinen Gattin. Wie einst in Spanien teilte sich die Welt in zwei Lager, für oder gegen die Herrscherclique. Eigentlich ging es um den Iran. Um den Niedergang zu beschleunigen, spielte die CIA den von ihr und Saudi Arabien unterstützen gemäßigten Islamisten Waffen zu, ausgerechnet alte Al-Kaida-Ableger, die zum Umfeld der 11. September-Attentäter gehörten.

Für Rieger hingegen ging es um seinen Arsch.

Die Syrier trugen ihren internationalen Bürgerkrieg in den Libanon. Hier saßen die Banken, die zwei Drittel aller syrischen Privatvermögen hielten, und laut Aussage der PR-Stimme des Imperiums, das Geld für die Verbrecher in Syrien, dem Iran und der Hisbollah wuschen. Es zog ihn zurück in den Okzident, trotz der Risiken. Das meiste war inzwischen verjährt, der Rest hoffentlich vergessen.

Rieger dachte selbst nicht einmal mehr daran.

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