WIE? WAS? NORMALITÄT?

La Rochefoucauld prägte den Aphorismus: „In entscheidenden Augenblicken enthüllen wir uns vor den anderen und vor allem vor uns selbst“. Diese unnormalen Covidzeiten konfrontieren uns mit einem entscheidenden Augenblick nach dem anderen . . .

Denn die grassierende Pandemie legt bei vielen die Nerven blank, ob aus existenzieller Not, nicht jeder wird so unterstützt wie Kurzarbeitsgeldbezieher, oder aus schierem Budenkoller, weil die elektronischen Ablenkungsangebote immer weniger von den sich dahinschleppenden Lebensbeschränkungen – nun ja – ablenken.

Pharmaindustrie und Psychotherapeuten krempelten schon vor Monaten die Ärmel hoch, um das Pandemie-Trauma wieder aus den Köpfen der Traumatisierten zu scheuchen, sei’s medikamentös oder mit häufigen Therapiesitzungen. Überhaupt, in unserer auf Funktionalität ausgerichteten Gesellschaft ist nichts so wichtig, wie zu funktionieren. Darum muss Normalität her, koste es, was es wolle.

Stellt sich die beliebte Frage, von welcher Normalität reden wir?

Chauvi-Normalität: Hat sie wirklich den Weichspüler in die Wäsche gegeben?

Auf der Straße erhält man i.d.R die offensichtliche Antwort: „Alles soll wieder so sein, wie vor der Pandemie.“ Diese herbeigesehnte Normalität wird aber nur genannt, weil sie diejenige vor der Un-Normalität der heutigen Ausnahmezeit war. Fragt man genauer nach, was denn an der Normalität wirklich so gut oder gar schlecht war, dann werden die angeführten Punkte meistens mit der Ansage: „Immer noch besser als die jetzige Scheiße“, beschönigt.

„Immer noch besser als die jetzige Scheiße“, war aber nicht wirklich gut, sondern hat zu der Situation geführt, mit der wir heute leben müssen.

Viele Zeitgenossen, die aufgrund jahrzehntelanger Konditionierung individuelle Konsumentenfreiheiten mit persönlichen Freiheitsrechten verwechseln und daher gleichsetzen, sehen in den Bemühungen der Pandemiebekämpfung just jene „Freiheiten“ unterminiert, was in den sich selbst hochschaukelnden What’sApp-, Telegramm-, Twitter- und Facebook-Netzwerken zu immer verwirrteren Verschwörungstheorien über sinistre Politiker und dunkle Mächte führt – und die dadurch beunruhigte Staatsgewalt tendenziell zu übertriebenen Maßnahmen verleitet.

Glaubt doch kein Schwein, dass nur Afrikaner Masken tragen

Leider ist die von verschiedenen Seiten geraunte „Verschwörung“ nicht der Virus oder die zur Verhinderung der Covid-19 Ausbreitung sinnvollen Maßnahmen wie Maskenpflicht oder Lockdown, und das was sich an vermeintlich bösen Zielen dahinter verbirgt. Nein, die „Verschwörung“ ist das vorherrschende System, dessen Bedingungen und Mechanismen, denen man sich als Konsument gerne freiwillig ausliefert, weil es bequemer und aufregender ist als eigenständiges, kritisches Denken. (O-Ton: „Hör ma’, wenn ich schon Geld verdienen muss, dann will ich wenigstens in meiner Freizeit anständig leben.“) Ein wachsender Teil unserer Gesellschaft besteht darauf, animiert zu werden, und wenn’s daran mangelt wird’s zappenduster. Da hilft dann nur noch ordentliche Empörung, um sich abzureagieren. Die beschäftigt einen wenigstens.

Schopenhauer behauptete seinerzeit, es gäbe für den Menschen entweder Existenzkampf oder Langeweile. Heute gilt demgemäß, es gibt entweder die individuell wahrgenomme Konsumentenfreiheit oder Langeweile.

Konsumentenfreiheit kann aber nur genießen, wer sie sich leisten kann. „Ohne Moos, nix los“, hieß das vor 1989 im Westen. Und hier kommt das Kurzarbeitergeld zupass und die überraschend soziale Aussage des derzeitigen Bundeswirtschaftsministers (die Wurst versucht zu denken): „Vom Kurzarbeitergeld hat der Künstler mit der Trompete im Schrank, der nicht auftreten kann, gar nichts.“ Chapeau, scharf beobachtet.

Allerdings gilt die Aussage nur in dem Kontext des vorherrschenden Systems. Gäbe es zum Beispiel ein bedingungsloses Grundeinkommen, würde sich die existenzielle Situation für viele Künstler und Freiberufler weniger stellen. Gäbe es gar eine dem Menschen dienende Wirtschaft, anstelle des Kapitalismus, dann sähe es völlig anders aus. (Zu Letzterem ein andern Mal mehr.)

Für heute einige zusammenfassende Thesen, um die Essentials der verfahrenen Situation (noch einmal) zu skizzieren:

1

Die von COVID-19 Pandemie ausgelöste Wirtschaftskrise verdeutlicht, das System produziert nur zwei Kategorien: Gewinner und Verlierer. Die Gewinner sind stark in der Unterzahl, wie überall auf der Welt. Damit beschleunigt sich die soziale Ungleichheit und Armut.

2

Zum Überleben braucht der Kapitalismus Wachstum um jeden Preis. Dem Wachstum ist es egal, woher es kommt. Darum arrangieren sich die Habenden und die Mächtigen, ob Staaten oder Verbrecherkartelle, denn die einen besitzen, was den anderen fehlt. Eine perfekte Symbiose.

3

Die Habenden und die Mächtigen sind daher ein und dasselbe.

Keine Macht für niemand – hilft auch niemand

4

Oligopole bestimmen. Konzerne kontrollieren Politik und Medien – und damit unsere „Demokratie“. Wer die Regeln bestimmt, die formellen und die informellen, dem gehört das Spiel. Die Regel Nr. 1 lautet: Das Spiel darf nicht verändert werden.

5

Die Wähler stimmen über sich wenig unterscheidende „Alternativen“ ab. (Besonders sich als wahre Alternativen gerierende Politiker und Parteien sind die schlimmsten Propagandisten des vorherrschenden neoliberalen Systems, dem Brandbeschleuniger der Krise.)

6

Wir erleben die Welt und unsere Gesellschaft immer stärker durch die Repräsentation in den digitalen Medien (siehe Link Debord unten). Diese mediale Darstellung folgt den (Geschäfts-)Interessen ihrer Eigentümer im Besonderen und der Eigentümerklasse im Allgemeinen.

7

Diese Geschäftsinteressen werden mit Lobbyismus, Meinungsselektion, Zensur und Propaganda gesichert.

8

Die Darstellung unserer Gesellschaft in den Medien ist selbst in der Beschwichtigung aufmerksamkeitsheischend, das heißt: hysterisch.

9

Unsere Gesellschaft ist folglich hysterisch. Hysterie verhindert klares Denken.

Wer ist ist hier hysterisch?

10

Wir reproduzieren unsere hysterische Gesellschaft in „asozialen Medien”.

11

Die „asozialen Medien“ sind hochprofitable Geschäftsmodelle einer Handvoll Großkonzerne.

12

Geschäftsmodelle sind reproduzierbare Muster zur Profiterwirtschaftung. Einzig die Profitabilität rechtfertigt ein Geschäftsmodell. Geschäftsmodelle werden um ihrer Profitabilität willen erhalten.

13

Das herrschende System versucht jedes Problem mithilfe eines Geschäftsmodelles, d.h. mit den Methoden der Profiterwirtschaftung zu lösen. Somit geht es niemals um die richtige Lösung, sondern immer um die profitabelste.

14

Eine derartige Gesellschaft, die sich nach Profitabilität organisiert, braucht angesichts ihrer krassen, nicht zu leugnenden, existenziell bedrohlichen Widersprüche das Spektakel als Organisationsform ihrer „Normalität“.

15

Diese sogenannte Normalität ist ergo abnormal und zerstörerisch: sie macht psychisch und physisch krank.

FAZIT

Was tun? Wer die unhaltbaren Umstände ändern will, eine Alternative gibt es nicht, der muss wissen, wie die Habenden und die Mächtigen ticken, ihre Strategien, Taktiken und Methoden studieren. Hierbei helfen Machiavelli, Lenin, Sun Tzu und viele andere, über die noch zu sprechen sein wird.

LINKS . . . von Guy Debord bis Sun Tzu

Debord zur Auffrischung . . .

Niccolos Worte für Emporkömmlinge . . .

Einstiegsdroge Lenin . . .

Sun Tzu zum Anschmecken . . .

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