VIGILANTEN – work in progress 2

Nachdem abends eine Gruppe Kinder und Jugendlicher auf dem Spielplatz im Ortsteil Zepter von vermummten Männern niedergeknüppelt wurden, findet am Tag darauf im Büro des Oberbürgermeisters eine Krisensitzung statt . . .

Auf dem großen Flachbildschirm ist die improvisierte Pressekonferenz des Bürgervereins ,Nachbarn in Zepterʻ zu sehen: Herr und Frau Abbas sowie zwei weitere Frauen und ein Mann, alle mittleren Alters, deutscher und ausländischer Abstammung, sitzen an mehreren zusammengeschoben Tischen mit weißen Tischdecken und Mikrofonen.

„Wir fordern Oberbürgermeister Hohmann auf“, sagt Abbas, „endlich mit allen Bürgern und Gruppen in den Dialog zu treten, um gemeinsam eine Lösung für unser Viertel zu finden. Wir gehen hier nicht fort. Wir sind ein Teil der Stadt und wir sind ein Teil ihrer Zukunft. Zepter hat Zukunft.”

Der Kanal wird gewechselt, eine SKYPE-Maske erscheint.

„Was ist das für ein Schlägertrupp?” Hohmann legt die Fernbedienung auf den Schreibtisch. Er sieht seinem grinsenden Konterfei auf den Wahlplakaten, mit denen die ganze Stadt zugekleistert ist, nicht sehr ähnlich. (Slogan: Mit Sicherheit. Hohmann!) Der OB steht sichtlich unter Druck. Außer ihm hocken Polizeipräsident Fritz Junkert und Hohmanns Berater Birger Obermeier um den riesigen Eichentisch.

„Der zuständige Revierleiter berichtet gleich den aktuellen Sachstand”, sagt Junkert.

Ein Rufton ertönt. Hilflos betrachtet Hohmann für einen Moment die Fernbedienung.

„Darf ich?”, sagt Obermeier und drückt auf einen Knopf.

Willes erscheint auf dem Monitor, er befindet sich anscheinend in seinem Büro in der Polizeiwache.

Junkert begrüßt ihn: „Hallo Hauptkommissar Willes.”

„Hallo Herr Polizeipräsident, Herr Oberbürgermeister.”

„Ich grüße Sie, Willes. Da sage noch jemand unsere Polizei hätte keine moderne Technik”, ruft Hohmann aufgesetzt jovial.

„Ich benutze mein privates Telefon, unsere Dienstcomputer sind veraltet und viel zu langsam”, erwidert Willes.

„Du zeigst Initiative in schweren Zeiten”, sagt der Polizeipräsident sofort, „wie ist der Sachstand?”

„Wir haben zwei Ärzte ausfindig gemacht, dazu ein Krankenhaus, wo mehrere Jugendliche mit ähnlichen Verletzungen behandelt wurden. Es gibt vermutlich noch eine Dunkelziffer, Opfer die nicht gemeldet wurden, weil die Eltern Ausländer sind, oder aus Gleichgültigkeit …”

„Oder aus Angst?”, fragt Junkert dazwischen.

„Auch das. Wir haben keine weiteren Zeugen. Der Junge auf der Intensivstation verweigert die Aussage. Trotz Druck von Seiten der Eltern”, Willes liest aus dem Protokoll vor, „er sagte wörtlich: Ich bin keine Ratte.”

„Haben Sie schon einen bestimmten Verdacht?”, will Junkert wissen.

„Spekulationen, wer das gewesen sein könnte, sind müßig.”

Hohmann lacht unwillkürlich: „Kommen Sie, wir sind hier unter uns. Nur keine Hemmungen.”

„Bulgaren, Rumänen, verfeindete Türken, Kurden, Rocker“, sagt Willes, „Neo-Nazis, anständige deutsche Wutbürger. Suchen Sie sich was aus.”

„Ein bisschen mehr Ermittlungseifer könnte Ihnen nicht schaden”, sagt der Oberbürgermeister.

„Das ist eine Aufgabe für die Kollegen von der Kripo.”

„Das wissen wir, Willes”, sagt Junkert beschwichtigend.

„Der Junge hat uns gegenüber keine Aussagen gemacht”, fährt Willes fort, „gegenüber den Eltern hat er aber von schwarzer Kleidung und Sturmhauben gesprochen. Mehr hat er angeblich nicht gesehen.”

„Und sein Vater, dieser Abbas, ist Sprecher des Bürgervereins”, sagt Obermeier.

„Ja, er ist einer von den ,Nachbarn in Zepterʻ. Er hält sich für den Obernachbarn.”

„Großartig”, sagt Hohmann und an den Polizeipräsidenten gewandt, „was machen wir jetzt, Fritz?”

„Die Kollegen der Kripo gehen der Anzeige nach.”

Obermeier sagt: „Hallo, Herr Willes, danke, dass Sie sich die Zeit nehmen. Ich bin Birger Obermeier, der Berater des OB. Meine Frage lautet, welche Maßnahmen haben Sie selbst eingeleitet?”

„Momentan unterstützen wir die Kollegen der Kripo bei der Anwohnerbefragung.”

„Gibt es begründete Hoffnung auf weitere Zeugen?”

„Warum sollte es die geben?”

„Dann wird also in sechs Wochen das Ermittlungsverfahren ergebnislos eingestellt”, folgert Obermeier.

Der Polizeipräsident kommt einer Antwort seines Revierleiters zuvor: „Sechs Wochen sind eine lange Zeit, Herr Obermeier. Bis dahin können sich noch viele neue Erkenntnisse ergeben. Nicht wahr, Willes?”

Willes schweigt.

Obermeier fragt Willes: „Und wie wahrscheinlich ist das?”

Junkert sagt: „Sehr.”

„Unwahrscheinlich”, sagt Willes.

„Aber nicht unmöglich”, wirft OB Hohmann ein, „danke für Ihre gute Arbeit, Herr Hauptkommissar. Viel Erfolg. Grüßen Sie mir Ihre Mannschaft. Wir zählen auf Sie und Ihren unermüdlichen Einsatz an der Front.”

Bevor Willes etwas erwidern kann, klickt Hohmann ihn weg und blickt fragend in den Raum. „Sollen wir etwa den Dingen ihren Lauf lassen?”

„Korrigieren Sie mich, Herr Polizeipräsident”, sagt Obermeier, „aber keine Ermittlungen wirken sich doch positiv auf die Statistik aus. Richtig?

Fragender Blick des Polizeipräsidenten.

„Nun, werden weniger Verbrechen erfasst und dementsprechend auch weniger Verbrechen ermittelt, dann geschehen statistisch betrachtet auch weniger Verbrechen”, erläutert Obermeier, „die Zahlen sinken und in der Folge steigt das subjektive Sicherheitsgefühl der Bürger.”

„Ich bin Polizist, kein Statistiker, Obermeier, Sie scheinen keines von beiden zu sein, nicht? Sie sind ein ausgemachter Zyniker.”

„Realist ist der korrekte Begriff. Danke, für Ihre offene Antwort.” Obermeier lächelt milde.

Hohmann wirft sich in seinen Ledersessel zurück. „In Zepter wählt mich doch niemand.”

„In Zepter geht niemand wählen. Ihre Wähler, Herr Oberbürgermeister, sind ältere Mitbürger in den besseren Vierteln. Leute, die sich um ihr kleines, zusammengerafftes Vermögen und ihre persönliche Sicherheit sorgen.”

Hohmann wirft sich ruckartig nach vorn: „Was schlagen Sie vor, Birger?”

„Wir konzentrieren uns noch stärker auf Vertrauen und Sicherheit.”

„Auf das bewährte Vertrauen in meine entschiedene Sicherheitspolitik. Das ist meine Botschaft an die Wähler?”

„Mit Sicherheit, Herr OB.”

Polizeipräsident Junkert betrachtet die beiden Politstrategen mit einer Mischung aus Faszination und Abscheu.

Weiter mit Teil 3 . . .

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