VIGILANTEN – work in progress 4

Nach der Straßenschlacht und den nächtlichen Angriffen auf die besseren Viertel hat die Gewalt in der Stadt den Siedepunkt überschritten. Der Oberbürgermeister fürchtet ernsthaft um seine Wiederwahl – und das will er unter allen Umständen abwehren. Es gilt ein paar unbequeme Entscheidungen zu treffen und alle Verantwortlichen ins Boot zu ziehen, damit keiner versucht, seinen Hintern zu retten . . .

Die Anwesenden im Büro des OB waren sichtlich übermüdet, die Kleidung gelockert. Leere Kaffeekannen und Energiedrinkdosen übersäten den Konferenztisch.

„Was sind denn Ihrer Ansicht nach die Gründe für die zunehmend brutalere Kriminalität in Deutschland?”, fragte Politikberater Obermeier den Polizeipräsidenten.

„Ich bin Polizist, kein Soziologe”, wich Junkert aus.

„Fritz”, sagte der Staatsanwalt an Junkert gewandt, „das ist doch ganz klar. Es mangelt an harten Gesetzen und an konsequent hartem Durchgreifen.”

Junkert zuckte mit den Achseln.

„Das sind Gegenmaßnahmen und sehr umstrittene, wenn Sie mich fragen, aber keine Gründe”, sagte Obermeier in die Stille.

„Raus damit, Birger, spannen Sie uns nicht länger auf die Folter.” Hohmann war der Spielchen überdrüssig.

„Die Ursachen liegen in der Vermögensverteilung, in der Diskrepanz zwischen Reich und Arm, dem Mangel an gutbezahlten Arbeitsplätzen für eine breite Masse einfach strukturierter Menschen, damit sie an der Konsumwelt ordentlich teilhaben können. Oder sind geschönte 450-Euro-Jobs Statistiken wirklich die Lösung?”

„Als nächstes behaupten Sie, dass man heute nur noch mit Erben oder Spekulationsblasen reich wird”, sagte Hohmann.

„Eindeutiger hätte ich es nicht formulieren können.”

„Beraten Sie die Linken oder mich?”

„Die Fakten gelten für alle Parteien gleichermaßen, Herr Oberbürgermeister.”

Dieser Logik wollte keiner widersprechen.

„Der Unterschied liegt allein in ihrer Interpretation und wie man sie für seine eigenen Zwecke nutzbar macht. Können wir vier in diesem Raum auch nur einen der vorgenannten Fakten ändern?” Obermeier blickte ins Rund.

„Quatsch, wie denn?”, sagte Junkert ungehalten, „keiner von uns hier kann Jobs oder Perspektiven fürs Prekariat schaffen oder irgendetwas daran ändern, dass der Teufel immer auf den größten Haufen scheißt. Ich habe keinen Bock mehr auf dieses akademische Gewichse.”

Die verbale Verbrüderung des Polizeipräsidenten mit der Unterschicht entlockte Obermeier ein mildes Lächeln.

„Als Oberbürgermeister bin ich selbstverständlich entschieden anderer Meinung”, gab Hohmann zu verstehen.

Der Staatsanwalt nickte zustimmend, er war ebenfalls politisch ambitioniert.

„Wenn wir also die Ursachen nicht bekämpfen können und wenn wir keine ausreichende Polizeimittel haben, um die Folgen wirklich dauerhaft zu bekämpfen, was bleibt uns dann?” Obermeier bereitete die logische Schlussfolgerung für seinen nachfolgenden radikalen Vorschlag vor.

„Wen du nicht besiegen kannst, mit dem verbünde dich”, sagte der Staatsanwalt spontan. Er hatte gerade die 48 Gesetze der Macht gelesen und fühlte sich schon wie ein richtiger Politiker.

„Gratuliere, ich prophezeie Ihnen eine große politische Karriere, Herr Staatsanwalt”, sagte Obermeier und fuhr an alle gewandt fort, „seien wir doch mal ehrlich, der Kampf gegen das Verbrechen ist längst verloren. Es geht nicht mehr darum, die Kriminalität zu bekämpfen, es geht darum, sie zu kontrollieren. Nein, besser formuliert, es geht darum, die Kosten der Kriminalität zu managen.”

Diese Wendung hatte der Jurist Reuter nicht kommen sehen, als Politiker musste er noch viel lernen.

„Wissen Sie eigentlich, was Sie da für einen Blödsinn verzapfen? Am Ende wollen Sie den Profit noch in die richtigen Kanäle leiten, was?”, der aufgeregte Polizeipräsident suchte Beistand bei den beiden anderen, aber die hatten nur noch Augen für den Berater der Erfolgreichen.

„Einen Schritt nach dem anderen, mein lieber Junkert”, erwiderte Obermeier kryptisch.

„Jaja. Einverstanden. Was wollen wir denen vorschlagen?” Hohmann wollte endlich den Vorschlag hören.

„Sie schlagen Ghassan Rifi vor, dass er der Partner ihres Vertrauens ist. Kooperation statt Konfrontation. Damit die Geschäfte laufen können, brauchen schließlich alle Parteien Ruhe.”

„Wir sollen uns mit einem kriminellen Clanoberhaupt verbünden?” Der Polizeipräsident schien persönlich beleidigt.

„Ruhe und Sicherheit. Mein Motto. Sehr gut, Birger. Nur schlage ich den Rifis gar nichts vor.”

„Soll ich seinen Rechtsanwalt anrufen?”, fragte Obermeier.

Hohmann sagte: „Ich stimme einem Deal, von dem ich natürlich gar keine Kenntnis besitze, nur zu, wenn wir im Gegenzug auch Erfolge in der Terrorbekämpfung erzielen können. Das ist mir eine Herzensangelegenheit.”

„Eine hervorragende Haltung, Herr Oberbürgermeister, alle Achtung”, rief Staatsanwalt Reuter aus.

Junkert stand auf: „Ich weiß von dem ganzen Scheiß hier absolut nichts, und will auch gar nichts davon wissen. Wartet mit dem Anruf bloß, bis ich draußen bin.”

„Prima, dass wir uns einig sind”, rief Hohmann dem Polizeipräsidenten nach.

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