WAHLLOS WÄHLEN – Parlamentarismus als Scheindemokratie?

Inzwischen hängen in der Stadt die ersten Plakate bürgerlicher Parteien zur Landtagswahl in NRW. Darauf präsentieren sich immer häufiger die strahlenden Konterfeis der KandidatInnen (ältere Männer oftmals jugendlich ohne Krawatte, jüngere Männer oftmals seriös mit Krawatte, Frauen zumeist geschäftsmäßig professionell) nur mit Namen und diskretem Parteihinweis.

Wer das Geschehen länger verfolgt, erkennt die stets gleichen Gestalten, die sich angeblich für „mich“ im Landtag um „mein Wohl und meine Zukunft“ sorgen. Ihre Gesichter sind ebenso austauschbar wie ihre nichtssagenden Parolen auf den wenigen Plakaten mit „Aussagen“. Allein an der Farbe sollen Mann, Frau und Divers sie irgendwie unterscheiden. Jetzt warte ich darauf, dem allgemeinen Trend folgend, von „meiner AbgeordnetIn in spe“ im vertraulichem Du angekobert zu werden: „Wähle mich für dich – Gemeinsam für ein besseres Nichts.“

Komm, lecker Kreuzchen machen

Wahlen degenerieren zu Sympathiebekundungen und der Stimmzettel zur beliebigen Like-Abstimmung. Das nenne ich einen „politischen Wettstreit“ auf höchstem Niveau.

POLITIK UND KNETE

Abgedroschen aber wahr: Geld regiert die Welt. Die offensichtliche Verbindung zwischen bürgerlichem Parlamentarismus und der Geldelite müsste jedem noch so optimistischen Vollhonk die Augen verätzen. Das unschlagbare Erfolgsrezept: Eine reiche Oberschicht aus Industrie und Finanzwelt sucht sich die Parteien und Kandidaten, die ungeachtet der wahren Bedürfnisse der Bevölkerung ihre Interessen politisch, d. h. in Form von Gesetzen realisieren. Beispiel gefällig: die Versteuerung von Lohn, Einkommen, Erbschaft und Vermögen. Es ist offensichtlich, wessen Interessen hier die Nase vorn haben.

Dafür bezahlen die Geldgeber schließlich mit Wahlkampfspenden, Think Tanks, Fördervereinen, Aufsichtsratsposten und Karrieren für Politiker a.D. sowie dem amüsantem Entertainment für parlamentarische Entscheider. Das Spektrum reicht Insidern zufolge angeblich von Verkostungen bis zu SM-Orgien. Den Begierlichkeiten sind keine Grenzen gesetzt.

Die WählerInnen (vulgär: das Stimmvieh) müssen allerdings richtig angesprochen werden: Ihnen das Gegenteil ihrer Interessen als Offenbarung zu verkaufen, erledigen darum jene Marketingstrategen, die sonst „krebserregenden Dreck in Tüten“ als Krönung von Schönheit & Gesundheit unter die Konsumenten bringen.

EMOTIONALISIERUNG UND VERBLÖDUNG

Eine der wichtigsten Erkenntnis der Motivforschung lautet: Menschen hören am liebsten, was sie hören wollen. Gefühle gelten bekanntlich als „authentisch und wahr“, und wenn sie von einer populären TV- oder Smartphone-Screen-Fresse direkt in meine Seele souffliert werden, dann kann mein Hirn beruhigt meinem Herzen vertrauen – völlig egal, ob ich verängstigt, empört oder beglückt reagiere. Ganz schön primitiv, funktioniert in unserer hyperemotionalisierenden, von 15-Sekunden-Clips und 280-Zeichen-Botschaften dominierten Medien-Realität aber bestens.

Die vermeintlich simplen, bewußt ängstigenden und/oder zugleich beruhigenden Botschaften (wähle mich, dann wird all das Böse nicht geschehen), mit denen Parteien versuchen, Wähler zu gewinnen, dienen nur dem Zweck der Machterlangung und Machterhaltung. Mehr dazu siehe:

LINK kleine Machtkunde für Interessierte . . .

Einmal oben angekommen, wird ohnehin nicht das eingelöst, was versprochen wurde (das haben die Vorgänger schließlich auch nie getan), sondern konsequent die Agenda der Geldgeber und der Klasse vorangetrieben, zu der man als Karrierist und/oder Regierender selbst gehört oder gehören möchte. Wer will schon bei seiner wichtigsten Klientel in Ungnade fallen?

Falls diese Agenda sich ab und an mit der Mehrheitsmeinung deckt. Prima. Falls nicht, macht auch nichts.

KONTINUIERLICHE ÖFFENTLICHKEIT

Schon in den 1970er Jahren beklagte Bundeskanzler Helmut Schmidt, dass die Politiker „heute einer ständigen öffentlichen Bewertung und Kritik ausgesetzt seien, was langfristiges, überlegtes Regieren erschwere“. Er verwies auf Bismarck, der sich mit solchen Problemchen nicht herumschlagen musste (und für seine Vorstellung von Staatsräson wurschteln konnte, wie es ihm beliebte).

Beklagte der Altbundeskanzler etwa die vermeintliche „Transparenz“ oder besser „Entblößung“ einer öffentlichen (und in seinem Falle gewählten) Person und deren Handeln? Bestimmt. Er wünschte sich etwas mehr Abstand von der neugierigen Journaille. Schmidt verschwieg natürlich, wie schnell die so „geouteten“ öffentlichen Personen gelernt hatten, sich „öffentlich“ in Szene zu setzen. Marketing und PR-Management nutzten die angebliche Transparenz, um sie sogleich im Sinne der „Botschaft“ zu vernebeln.

Ein Wahlkampf ist hierzulande im Wesentlichen auf sechs Wochen beschränkt. Seitdem sich jedoch die asozialen Medien großer Beliebtheit erfreuen, wird keine Gelegenheit ausgelassen, unabhängig von irgendwelchen Wahlterminen, Meinungsmache in eigener Sache zu betreiben.

WAHRNEHMUNG IST ENTSCHEIDEND

Vor über 2400 Jahren verglich Plato die attische Demokratie mit dem attischen Theater. Heute ist die Bühne multimedial. Jeder Politiker inszeniert sich auf allen Plattformen, besser, sie oder er werden von Experten mediengerecht auf allen Plattformen inszeniert. (Die 4. Gewalt, unsere freien Medien helfen kräftig dabei mit und das seit Anno Dunnebier. Wie’s funktioniert, beschreibt das absolut empfehlenswerte Buch Manufacturing Consent von Chomsky und Herman.)

Um Alzheimer-Joe zu zitieren: „Politics is all about perception.“ Es geht einzig und allein um die Wahrnehmung und deren Management – niemals um die Wahrheit.

Wahrnehmungspolitik ist knüppelharte Interessenspolitik, die sich gezielter Beeinflussung der Gefühle bedient, um diese Interessen durchzusetzen. (Wir sehen, der Kreis schließt sich.) So verkauft man der Bevölkerung den oben angeführten „krebserregenden Dreck in Tüten“ ebenso wie den Ukrainekrieg.

Der Parlamentarismus in Deutschland ist seit Jahrzehnten das Instrument der Parteien zur Durchsetzung von Minderheiteninteressen. Wie sonst sind angesichts der Realität die vorherrschende Umweltpolitik, die Bildungs-, Gesundheits- und Wirtschaftspolitik sowie aus aktuellem, äußerst besorgniserregendem Anlass, die Außenpolitik der Bundesregierung zu verstehen?

LINK wie man einen Krieg produziert . . .

LINK zur Idiotie politischer Verantwortungsträger . . .

Solange es gelingt, kritisches Denken von Gefühlswallungen zu übersteuern, haben die Wahrnehmungsverkäufer gewonnen. Und wenn nur genügend der zu den Urnen taumelnden WählerInnen den Stuss glauben, dann reicht’s am Ende auch für eine Regierungsmehrheit.

Darum wird alles emotionalisiert. Sollen wir vielleicht daraus folgern: Hauptsache gefühlsduselig in den Untergang?

ÖFFENTLICHER UNMUT

Wird die Politik unter Druck gesetzt, reagiert sie autoritär und gerät schnell an ihre Grenzen. Das demonstrierte der jetzige Buka Scholz 2017 als Erster Bürgermeister mit den brutalen Polizeiaktionen beim G20-Gipfel in Hamburg und heute in Echtzeit mit seinen dummen Äußerungen und gefährlichen Aktionen zum Ukrainekrieg.

(Wenn Sanktionen „Krieg mit wirtschaftlichen Mitteln“ bedeuten, befindet sich Deutschland dann nicht im Krieg mit Russland? Schon mal darüber nachgedacht, was das wirklich heißt?)

Öffentliche Proteste werden von den Regierenden begrüßt, wenn sie den Zielen ihrer Politik dienen. Sie werden erschwert und medial denunziert, wenn sie ihnen zuwider laufen. Dieses enggesteckte Feld umreisst den momentan akeptierten Rahmen für öffentliche Meinungsäußerung.

Blah, blah, 100 Milliarden für die Bundeswehr, blah, blah

RAUS AUS DEM DILEMMA

Was also tun, wenn Wahlen an den systemischen Problemen gar nichts ändern und Demonstrationen lediglich öffentlichem Dampfablassen dienen oder unmittelbar von den Herrschenden vereinnahmt werden?

Nur ein 1) breiter, organisierter Widerstand auf der Straße kann die Politik – auch die der wenigen noch wählbaren Parteien (N.B. gibt es überhaupt welche?) – unter Druck setzen. Ohne zivilen Ungehorsam sowie neue außerparlamentarische Organisationsformen, die im echten langfristigen Interesse der Mehrheit – Umweltschutz, soziale Gerechtigkeit, Friedenspolitik, Neuregelung der Vermögensverhältnisse, etc. – 2) klare Ziele formulieren und 3) mit Dauerdruck durchsetzen, wird nichts geschehen. Das haben in den 1970er und 80er Jahren die Anti-AKW-Proteste und die Friedensbewegung bewiesen. Die herrschende Klasse hat aus der Vergangenheit gelernt und unternimmt alles, um ein Wiederaufleben dieser Massenmobilisierung zu verhindern. Besonders anstrengen müssen sie sich derzeit allerdings nicht.

Jetzt fragt sich, wer seinen Hintern hochkriegt? Die Erfahrungen nach „Occupy 2011“ machen wenig Mut, den „Schülern am Freitag“ ist der Atem schon lange ausgegangen und was ist mit „Extinction Rebellion“ los? Auf der anderen Seite des Atlantiks haben die Herrschenden gezeigt, wie man die größte Protestbewegung der letzten Jahrzehnte „Black Lives Matter“ mustergültig vereinnahmt und erstickt. Hierzulande lautet die Parole der Verantwortlichen: Vom Ami lernen, heißt siegen lernen.

Bei den Protesten gegen den Krieg in der Ukraine war anschaulich zu beobachten, wie diese Vereinahmung bei uns funktioniert. Gegen den völlig sinnlosen Krieg und das Leid zu protestieren, ist richtig und gut, den Protest aber an einseitigen Forderungen aufzuhängen, die dazu dem offiziellen Wortlaut des Westens entsprechen, beweist einmal mehr die o.g. Emotionalisierung und offenbart die eigenen Ängste und Empörung der Demonstranten, aber leider nicht Sachkenntnisse und Kontextwissen.

(Im Zuge der hochgekochten Gefühle fand Buka Scholz’ Ankündigung, den Kriegsetat der Bundeswehr, anders kann man diese Erhöhung nicht nennen, auf den dreistelligen Milliardenbetrag zu schrauben, keinen Widerspruch, sondern breite Zustimmung. Damit wird dieses ach so friedliebende Land in die Top 5 bei den Militärausgaben hochschnellen. Wer will das und vor allem, wem nützt das? Der Kanzler bestätigt in der Prüfung erneut, wess’ Geistes Kind er ist.)

Wir in Deutschland brauchen zu allererst eine neue Friedensbewegung, die den existenziellen Wahnsinn der NATO-Politik stoppt und die unsere Parlamentarier und Regierungsverantwortlichen in Angst und Schrecken versetzt, damit sie sich den wirklich wichtigen Themen unserer Zeit widmen. Die anstehenden Wahlen wären eine gute Gelegenheit, ihnen mächtig in die Steißbeine zu treten. Nur, wo sind die Friedenskandidaten? Also doch auf die Straße, Freunde, uns bleibt keine andere Wahl!

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