KURIER – Story Ende

Kurier bettelt um das Leben seines Sohnes und ist dafür bereit, sich auf jeden miesen Deal einzulassen …

Der Boss blickt mich beinahe mitleidig an. „Ich soll dich anstelle des kleinen Scheißers hier abservieren? Warum? Damit er deinen Job macht? Wie kann ich jemandem trauen, der seinen eigenen Vater ans Messer liefert?“

Auf allen vieren haste ich zu ihm. „Bitte lass meinen Sohn leben. Ich tue alles, was du verlangst. Alles!“

Meine Ohnmacht bereitet ihm sichtlich Vergnügen. Kopfschüttelnd holt er eine Packung Zigaretten hervor, schnippt mit einem Zeigefinger unter ihren Boden, sodass ein Glimmstängel hochschießt und fängt ihn zwischen seinen Lippen auf. Ohne den Blick von mir zu nehmen, steckt er die Zigarettenpackung wieder weg.

Malte zuckt und grunzt unverändert, weil der Bodyguard nun mit erhobenem Vorschlaghammer über ihm steht und auf die Order wartet, zuzuschlagen.

Mit einer flüssigen Geste holt der Boss ein Zippo-Feuerzeug aus der Hosentasche. Er spielt mir irgendeinen coolen Scheißkerl aus einem dieser idiotischen Gangsterfilme vor: Die Kappe schnappt auf und eine große Flamme züngelt hoch, an der er seinen scheiß Glimmstängel anzündet. Lässig zieht er den Rauch ein, die Glut leuchtet rot im Halbdunkel der Halle. Er macht ein paar Rauchringe als würde er spielerisch überlegen, ehe er das Feuerzeug wieder in die Hosentasche schiebt. Genüßlich den nächsten Zug nehmend, läßt er den Rauch diesmal durch die Nase ausströmen. Nacheinander betrachtet der Boss seine Zigarette, dann Malte, dann mich und sagt: „Komm, steh auf, dein schöner Anzug wird noch ganz dreckig.“

Ich höre, wie der Bodyguard mit einem demonstrativen Pock den Vorschlaghammer absetzt und spüre alle Kraft aus meinem Körper weichen.

„Danke“, sage ich, „danke.“ Ich bin völlig erschöpft, schaffe es nicht, alleine aufzustehen.

Die Zigarette zwischen den Lippen hilft der Boss mir hoch. Entkräftet stehe ich vor ihm. Er klopft mir den Staub ab, streicht das Sakko glatt, rückt die Krawatte zurecht, korrigiert sogar ihren Knoten. „So, jetzt bist du wieder präsentabel.“

Fehlt nur noch, dass er meine Wange tätschelt. Er verzichtetet darauf und nimmt lächelnd einen weiteren Zug. Ein Gedanke fährt mir durch den Kopf: Jetzt kommt das Urteil.

„Also, gut“, sagt der Boss. „Du arbeitest das fehlende Geld ab. Wie, werden wir noch sehen. Plus 30% Entschädigung. Ich denke, das ist mehr als fair. Was meinst du?“

„Das ist fair.“

Das Stöhnen und Strampeln in meinem Rücken hat aufgehört, Malte muss den Wortwechsel mitbekommen haben.

„Also, einverstanden?“, fragt mich der Boss.

„Ja …“

„Hand drauf?“

„Ja.“ Ich schlage ein und fühle mich irgendwie erleichtert, zugleich aber verunsichert, mich beschleicht eine dunkle Ahnung, dass da noch etwas kommt.

Richtig, der Boss hält meine Hand fest und sieht mir in die Augen. „Damit dein Junge, wie heißt er noch gleich?“

„Malte.“

„Damit Malte Benimm lernt, wirst du an ihm eine charakterbildende Maßnahme vollziehen.“

„Eine charakterbildende Maßnahme?“ Ich verstehe nicht, was er damit meint.

„Du wirst ihm beide Beine brechen.“

„Ich soll was …?“

„Du hast mich richtig verstanden. Du brichst ihm beide Beine. Und zwar sofort.“

Auch Malte hat das verstanden. Er schreit und strampelt wieder unter seinen Fesseln.

Ich frage: „Sonst bringst du uns beide um?“

„Ach was. Ich bin doch kein Unmensch. Das übernimmt Bodyguard.“

Vor einer Sekunde glaubte ich noch, mein Plan wäre aufgegangen und jetzt soll ich meinen Sohn verkrüppeln, nur weil dieses Stück Scheiße es von mir verlangt? Nicht genug damit, dass ich mich vor ihm erniedrigen und erbärmlich im Dreck herumkriechen musste, nein, für einen dummen Fehler, soll ich Maltes Gesundheit ruinieren?

Der Bodyguard packt meinen sich wild aufbäumenden Sohn an einem Fußgelenk, schleift ihn mühelos zu einem Stapel Betonplatten. Auf die legt er Maltes Unterschenkel, sodass die Beine gestreckt sind und die Kniescheiben nach oben zeigen. Mit einem Mal erlischt aller Widerstand in Malte. Der Boss schiebt mich an.

Kraftlos schleiche ich zu meinem Sohn hinüber. Ängstlich sieht er aus verheulten Augen zu mir hoch. Ich unterdrücke meine Angst, meine Verzweiflung, meine ohnmächtige Wut. Ich habe keine andere Wahl. Dies ist der schlimmste Moment in meinem elenden, beschissenen Dasein.

Der Bodyguard stößt mir den Hammerstiel vor die Brust. Er sagt: „Mit dem Ding ist das ein Kinderspiel. Nimm beide Hände, schön fest zupacken und jedes Knie einzeln. Mit welchem du anfängst, kannst du dir aussuchen.“

Den ganzen Tag lang hat der sadistische Dreckskerl kaum ein Wort an mich gerichtet. Ich sehe noch die Fassungslosigkeit im Blick meines Sohnes, als meine Hände den Hammerstiel umschließen.

„Weit ausholen und dann in einem Zug“, höre ich die Stimme des Bodyguards neben mir und schwinge das Werkzeug hoch über meinen Kopf. Warum schlage ich diesem aufgepumpten Arschloch nicht den Schädel ein, und dann dem Boss? Das wäre die Gelegenheit …

Das Knacken von Maltes Knochen jagt wie ein stechender Schmerz durch meinen Körper – ich schreie bei jedem Schlag, als würde ich mich selbst verstümmeln.

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