GEGEN DEN ABSTIEG – Auszug 4

Der Verein des Anstoßes war also doch in die Relegation abgerutscht. Deprimierend, denn der Niedergang der überbezahlten Ballhochhalter erinnerte unsere drei Freunde sehr an die eigene Ausweglosigkeit. Allerdings würden die illoyalen Kicker im Falle des endgültigen Abstiegs einfach zu einem anderen Verein abwandern, unsere Freunde hingegen …

Der Tag danach. 12.30 Uhr. Die hellen Strahlen der Frühjahrssonne krochen um die Schrebergartenhütte und drangen durch das milchige Fensterglas in den dunklen Raum. Eine Batterie leerer Bierflaschen drängte sich bedenklich auf dem wackligen Holztisch. Walter hing halb auf dem Sofa, neben ihm quetschte sich Günter. Jochen lag im Sessel. Die Sonne schien Günter mitten ins Gesicht. Mühsam schirmte er die Augen ab, schließlich öffnete er sie einen Spalt und peilte umher.

„Lieg still“, sagte Walter mit geschlossenen Augen.

„Es ist bald Mittag“, sagte Günter.

„Oh ne, heute habe ich Sophie.“ Jochen setzte sich hoch, schaute auf seine Uhr. „Heute? Jetzt gleich.“

Walter bequemte sich in den Stand, sah kurz in den Spiegel. Ein entmutigender Anblick. „Versoffen und vergammelt. Mann, hab ich wieder Bock auf mich.“

Jochen müffelte an seinen Klamotten. „Schlecht riechen haste vergessen.“

„So wat macht meine Viola erst richtig scharf.“

An der Spüle spritzte Walter sich Wasser ins Gesicht. Jochen richtete seine Haare und Kleidung vor dem Spiegel, blickte sich suchend um und entdeckte eine alte Sprühdose Ofenreiniger. Auf dem Etikett stand: Ofenfrisch – vernichtet alle Gerüche. Versuchsweise sprühte Jochen sich etwas unter die linke Achsel. Roch gar nicht schlecht, beinahe wie Altmetall. Er gönnte seiner anderen Achselhöhle auch einen Sprühstoß – von wegen der olfaktorischen Symmetrie und so.

Günter machte sich auf dem Sofa lang, schloß erneut die Augen. Darauf hatten Walter und Jochen offenbar gewartet, sie wechselten Blicke, nahmen eine feierliche Haltung ein und …

„Zum Geburtstag viel Glück, zum Geburtstag viel Glück, zum Geburtstag, lieber Günter, Warzen am Arsch und Dauerschiss … Zum Geburtstag, zum Geburtstag, zum Geburtstag, zum Geburtstag viel Glüüüüüück!“

Günter hielt fest die Augen geschlossen, konnte sich aber ein Lächeln nicht verkneifen. Strahlend kam er aus dem Sofa hoch, merkte dann erst, wie steif und verkatert er war. Au, au. Stakste zu seinen Freunden, schloß sie beide in die Arme. „Ihr Arschgeigen. Ich liebe euch.“

„Jetzt ist aber gut“, sagte Walter.

„Wieso eigentlich Warzen am Arsch und Dauerschiss?“, wollte Jochen von Walter wissen.

„Damit es sich reimt.“

Auch eine Erklärung.

„Warum dann nicht 19 Jahr, blondes Haar?“, fragte Jochen nach.

„Bin ich vielleicht ein Mädchen?“, sagte Günter.

„Ne, aber 19. Dachte nur. Egal. Bis nachher. Ich bringe Sophie zum Kaffee mit. Die freut sich schon.“

„Viola kommt vielleicht auch, das heißt, wenn ihre Haare und Gesicht rechtzeitig ausgehfein sind“, sagte Walter.

„Kommt doch jetzt mit. Mutter macht extra Römerbraten.“

„Heb ein Stück für mich auf“, sagte Jochen eilig die Laube verlassend. Walter hastete ihm hinterher.

Einige Zeit darauf stapfte Günter die Bunsenstraße entlang, um am Weiher die Abkürzung in die Siedlung zu nehmen, als es hinter ihm hupte. Ein nagelneuer 3er BMW rollte heran. Am Steuer saß Heinzchen. Schmollend blickte Günter wieder geradeaus. Der Heini konnte ihn mal.

Und wie. Der BMW rollte neben ihn. Stolz wie Oskar lehnte Heinzchen sich über den Beifahrersitz und stieß die Tür: „Na, kleine Spritztour gefällig?“

„Muss nach hause, Mittagessen.“

„Los, stell dich nicht so an, war extra bei der Autokosmetik.“ Heinzchen lächelte einladend.

Kaum war Günter eingestiegen, gab die Viper Sprüh. Mit quietschenden Reifen jagte der BMW geradeaus.

Günter musste sich festhalten. „Geile Kiste. Neu?“

„Ich hab mich schon mal ausstaffiert, wie et sich für ‘nen anständigen Profi gehört“, sagte Heinzchen.

„Aber dat bist du doch noch gar nicht.“

„Den Profivertrag hab ich sicher. Dat macht der Arzt schon. Mein Knie wird wieder, sollste mal sehen. Ich kenne die Leier seit Jahren. Noch eine Untersuchung. Reine Routine. Hier …“ Stolz zeigte Heinzchen seine Autogrammkarte. Darauf war er breit grinsend im Trikot der 1. Mannschaft abgebildet, lässig einen Fuß auf einem Fußball geparkt, darunter stand in Kinderschrift geschrieben: Herzlichst! Heinzchen.

Er sagte: „Autogramm gefällig? Selbst entworfen.“

Günter nahm die Karte.

„Herzlichst, Heinzchen? Donnerwetter. Und wo haste die Kohle her?“

„Kannste mal sehen. Ich sach immer, sei flexibel mit Privatdispo.“

„Pivat? Wat?“

Heinzchen bretterte lachend um eine scharfe Kurve: „Mit dat Geld, wat dir zusteht.“

„Etwa von Wetten-Dieter?“

„Mann, Kredit. Von ‘ne Bank. Nicht von WD, du Doof.“

Beeindruckt betrachtete Günter die Autogrammkarte von allen Seiten. Plötzlich machte er wieder ein ernstes Gesicht. „Warum biste eigentlich gestern nicht mit mir, Walter und …“

In diesem Moment bremste Heinzchen hart vor einer Mietskaserne. Der BMW stand schlagartig still.

„Einmal Endstation Mama“, sagte Heinzchen und dann: „Weil Walter’n Sack Sülze ist.“

Günter griff zum Türöffner und zögerte, bevor er sagte: „Komm doch mit rauf, meine Mutter kocht immer zu viel. Gibt Römerbraten.“

Gefolgt von Heinzchen, betrat Günter die Wohnung. Er rief: „Mama, ich hab den Heinzchen zum Essen mitgebracht.“

Keine Antwort. Günter spähte in die Küche. Der Braten im Ofen war kalt. Ein Apfelkuchen stand unter einer Klarsichtabdeckung auf der Anrichte. Dann schaute er bei Opa Kurt nach. Dompfaff Thälmann flötete und hüpfte in seinem Käfig hin und her. Alle anderen waren ausgeflogen

„Komische Überraschung“, sagte Günter.

„Deine Mutter hat keine Böcke mich zu bekochen, woll“, meinte Heinzchen.

„Na endlich, Junge. Ich hab schon überall nach dir telefoniert.“

Günter und Heinzchen drehten sich um. Die Nachbarin stand plötzlich hinter ihnen auf der Türschwelle. Den drallen Leib in einen Kittel mit Blümchenmuster gezwängt, Lockenwickler im Haar, schüttelte sie teilnahmsvoll den Kopf.

„Tach, Frau Breuers“, sagte Günter.

„Schicker Kittel, Frau Breuers“, sagte Heinzchen und grinste keck.

Frau Breuers sagte: „Du wieder“, zu Heinzchen und zu Günter: „Opa Kurt haben sie mit dem Krankenwagen abgeholt.“

„Wat haben sie?“ Günter blickte Frau Breuers erschrocken an.

„Blut hatter gespuckt. Is dat nich schrecklich? Ach, bevor ich es vergesse. Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Günter.“ Frau Breuers fummelte eine Tafel Merci-Schokolade mit roter Schleife aus ihrer Kitteltasche. „Da, für dich, weil du mir immer den Müll runterträgst.

Heinzchen blickte überrascht: Sieh an, der Günter hat Geburtstag.

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