Gedanken zu Dashiell Hammetts Meisterwerk
Ab November 1927 in vier Teilen unter dem Titel „The Cleansing of Poisonville“ in Black Mask erschienen, wurden die überarbeiteten Geschichten im Februar 1929 als sein erster Roman bei Knopf in der Borzoi Mystery Series veröffentlicht.
Eine hässliche Bergbaustadt in Montana, über vierzig Jahre das Privateigentum eines allgewaltigen Minenbesitzers, dem neben der größten Mine und der Bank, auch Bürgermeister, Stadtrat, Polizei und zwei Tageszeitungen gehören. Ganz Kapitalist und Räuberbaron, lässt er seine Arbeiter unter miesen Bedingungen schuften und bezahlt sie selbstverständlich noch schlecht. Bis eines Tages professionelle Rädelsführer der Wobblies, Gewerkschaftler der Industrial Workers of the World (IWW), in die Stadt kommen und die unzufriedenen Bergarbeiter aufstacheln. Die Proletarier beginnen sich zu organisieren, ihre Rechte einzufordern und zu streiken. Ein kostspieliger Arbeitskampf entbrennt, den weder die örtliche Polizei, noch die Handlanger des Minenbesitzers unter Kontrolle bekommen. Die finanziellen Verluste schnellen in bedenkliche Höhen. Anstatt den berechtigten Forderungen der Arbeiter nachzukommen, entschließt sich der Minenbesitzer, die Streikfront mit brutalster Gewalt zu brechen. Dafür holt er organisierte Gangsterbanden in die Stadt. Die machen mit den Streikenden kurzen Prozess und entscheiden den Arbeitskampf zu Gunsten des Minenbesitzers. Die geschlagenen Arbeiter kehren in die Minen zurück. Und die Gangster? Die kassieren den Lohn für ihre schmutzige Tat, entmachten anschließend den Minenbesitzer und übernehmen kurzerhand die Stadt. Sie bringen Verwaltung und Polizei unter ihre Kontrolle, um sich fortan ungestört mit Alkoholschmuggel, Glücksspiel, Prostitution, Schutzgelderpressung und Kreditwucher ordentlich zu bereichern. Vom heimgekehrten Sohn des Minenbesitzers und neuen Herausgebers einer Zeitung, die gegen das Verbrechen anschreibt, angeheuert, kommt der Continental Op, der namenlose Detektiv und Ich-Erzähler, in die Stadt Personville – die alle nur Poisonville nennen. Anstelle seines ursprünglichen Auftrags, übernimmt er die Suche nach dem Mörder seines Auftraggebers …
Das ist Hintergrund und Ausgangssituation von RED HARVEST, für mich Dashiell Hammetts bester Roman. Wie alle seine Geschichten, spielt er zur Zeit der Prohibition und erzählt in Form einer „Action Detective Story“ (Hammett am 11.02.1928 in einem Brief an Albert Knopf) letztlich die Geschichte des Kapitalismus in den Vereinigten Staaten von Amerika und damit unserer heutigen globalen Wirtschaftsordnung. Es ist eine gnadenlose Geschichte, sie handelt von Ausbeutung und Missbrauch, von Reichtum und Macht. Eine Geschichte über menschliche Gier und Hemmungslosigkeit, die mit ihrer gesellschaftlichen Ordnung der ungebremsten Zerstörung einen legalen Rahmen gegeben hat.
Von Anfang an ist die Urlüge der weißen Europäer in den USA die Verdrängung des Völkermords an den Bewohnern des Kontinents, den Indianern, politisch korrekt Native Americans, und die Sklaverei. Der amerikanische Traum von einem Leben in Freiheit – frei von religiöser und gesellschaftlicher Unterdrückung, der Grund warum die Pilgrims, die Quaker, etc. Europa entflohen und in die neue Welt segelten – reduzierte sich sehr schnell auf die Freiheit zur persönlichen Bereicherung auf Kosten anderer.
In RED HARVEST wird der legale Ausbeuter von den Geistern, die er rief, entmachtet, weil diese nicht mehr zurück in die Flasche wollen. Die illegalen Ausbeuter erweisen sich als stärker und damit als neue Machthaber. Wie alle guten Kapitalisten, arbeiten sie nur auf eigene Rechnung. Die Politik ist ihnen zu Diensten, Polizei und Justiz sind zu schwach und zu korrupt, die Bürger zu verängstigt, die Arbeiterschaft geschlagen, der Wobblie-Rädelsführer bestechlich. Alle versuchen irgendwie durchzukommen und wenn möglich ein bisschen mitzuverdienen. Die wenigen Frauen in dieser Männerwelt sind dabei genauso schlimm wie die Männer. Jeder verfolgt seine/ihre eigenen Ziele, Allianzen sind temporäre Zweckbündnisse und am Ende zählt allein das Geld. Je mehr desto besser. Der Dreck aus den Minen hat nicht nur die Luft verpestet – die Ausbeutung geschieht selbstredend ohne Rücksicht auf Umwelt und Gesundheit –, sondern auch die Herzen und Hirne der Bewohner.
Poisonville ist ein Ort ohne Recht und Ordnung, in dem das Gesetz des Stärkeren gilt. Die neuen Herrscher der organisierten Kriminalität sind aber keine homogene Gruppe mit einem Boss an der Spitze, sondern verschiedene Gruppen, die ein Oligopol der Macht bilden. Damit keiner dem anderen ins Gehege kommt, haben sie ihre Geschäftsfelder streng voneinander getrennt. Ein fragiles Gleichgewicht. Dieser wirtschaftlich vernünftigen Aufteilung und damit Stabilisierung (dem Win-Win), steht die Irrationalität menschlicher Gefühle gegenüber. So brodeln Hass, Neid und Eifersucht, Machtgier und Rachegelüste unter einer dünnen Schicht rationaler Zivilität. Der Continental Op analysiert nüchtern die Machtkonstellation. Weil er mit roher Gewalt gegen die Übermacht des Verbrechens wenig ausrichten kann, besteht seine einzige Chance darin, das Equilibrium ihrer Macht zu zerstören, die Gangster gegeneinander aufzuwiegeln und auszuspielen.
Schnell erweist er sich dabei als absolut skrupelloser Meister der Intrige und der Manipulation. Der Op trickst aber auch gegenüber seinem Auftraggeber und seinem Chef im fernen San Francisco (den er mit telegraphischen Berichten ruhigstellt). Das große Abschlachten beginnt, jeder kämpft gegen jeden – Hobbes lässt grüßen. Natürlich verschont der Mahlstrom der Gewalt auch unseren Strippenzieher nicht. Er gerät unter Mordverdacht und weiß bald selbst nicht mehr, ob er zum gemeinen Mörder verkommen ist. Der Continental Op muss um sein eigenes Überleben kämpfen. Als am Ende die Nationalgarde gerufen wird, um die vollständige Wiederherstellung der legalen Ordnung (Rückkehr zu den Eigentumsverhältnissen vor der Übernahme durch die Gangster) zu gewährleisten, hat der Op sich längst aus dem Staub gemacht, leckt seine Wunden und überlegt in seinem Versteck, wie er am besten den Einsatzbericht für seinen Chef verfasst, damit der ihn nicht feuert.
RED HARVEST ist ein unglaublich zeitgemäßer Roman. Inspiriert von tatsächlichen Ereignissen, nimmt Hammett einen Western-Basisplot, „ein namenloser Fremder kommt in eine Stadt, räumt auf und stellt die Ordnung wieder her“, um ihn zugleich völlig zu verdrehen. Der namenlose Detektiv ist kein klassischer Gesetzeshüter, sondern ein Mann, der seinem eigenen moralischen Kodex folgt (ebenfalls ein Westernheld-Klischee). Zugleich ist er aber auch ein Angestellter, der seinem Boss – durch lebenslange Tätigkeit als Privatdetektiv zum absoluten Zyniker degeneriert – Rede und Antwort stehen muss. Dieser Widerspruch macht den namenlosen Detektiv so modern.
Raymond Chandler hatte die Konstellation des angestellten Ermittlers keine zehn Jahre später bereits verworfen und durch den selbständigen Kleinunternehmer ersetzt. Zugleich romantisierte Chandler seinen Detektiv, stilisierte ihn zum enttäuschten Weißen Ritter. Hammett hingegen machte nie einen Hehl daraus, dass der Detektiv kein romantischer Held ist, sondern ein Mann, der versucht innerhalb des Systems mit seinem eigenen Kodex zu überleben. Dieser Kodex überschneidet sich nur bedingt mit dem Gesetz. Wo er es nicht tut, hat das Gesetz eben Pech gehabt. Wenn Chandlers Philip Marlow aus Frustration und Selbstmitleid säuft, dann trinkt Hammetts Continental Op eher aus Zorn und Verachtung. Romantische Gefühle passen eben nicht in diese grausame Welt.
Es ist daher die größte Angst des Continental Op, dass sein persönlicher Kodex unter die Räder kommt. Dann verlöre er nämlich seinen moralischen Anker, man könnte fast meinen seine Existenz. Zu diesem Kodex gehört auch das Selbstverständnis eines Profis. Der Op definiert sich über die Arbeit. Seine Work-Life-Balance besteht nur aus Work. Privatleben Fehlanzeige, Erinnerungen hat er lediglich im Zusammenhang mit dem Job. Sein Motto ist „the Job well done is a life well lived”. Die Arbeit stiftet nicht nur Sinn, sie garantiert zudem seinen Platz im System und sichert sein ökonomisches Überleben. Wem kommt das nicht bekannt vor?
Hierin sehe ich einen interessanten Bezug zu dem 1918 an Tuberkulose erkrankten Hammett, der zeitweilig so schwach war, dass er Stühle in einer Reihe aufstellen musste, um auf ihre Lehnen gestützt, vom Schreibtisch zum Bad gehen zu können. Arbeitsunfähig, zugleich aber Vater zweier Kinder, brachte er sich per Fernkurs das Handwerk des Schreibens bei, weil dieses ihm als einzige Möglichkeit erschien, Geld zu verdienen und zum Lebensunterhalt seiner jungen Familie beizusteuern. Den Tod in sich tragend, sicherte das Schreiben Hammett das Überleben. Er wurde aus wirtschaftlicher Notwendigkeit ein Profi. Seine eigene Arbeitsethik spiegelte sich in der des Op – auch wenn Hammett Freiberufler war. Hammett schrieb aber nicht nur Stories und später Romane, sondern Roman-Rezensionen und Anzeigentexte für den Juwelier Albert Samuels.
Sobald Hollywood rief und das Geld leichter zu verdienen war, stellte Hammett sein Schreiben nach und nach ein. Der letzte Roman THE THIN MAN handelt auch schon von einem Ich-Erzähler, der ein trauriger, verlorener „has been“ ist, ein Ex-Detektiv, nach reicher Heirat vollauf damit beschäftigt, das Vermögen seiner Frau zu verwalten, es mit ihr auszugeben und sich andauernd zu betrinken. Er muss nicht mehr auf Gummisohlen Verbrechern nachstellen. Auch Hammett musste keine Verbrechergeschichten mehr schreiben. Trotz zahlloser Anläufe hat er nach 1934 keinen Roman mehr vollendet.
Die Parallelen von RED HARVEST zu heute sind unübersehbar. Der Rollback der herrschenden Klasse seit den 1970er Jahren (siehe hierzu Die Große Erleuchte) hat u.a. zur Folge, dass die Vermögensverhältnisse wieder denen von vor 100 Jahren entsprechen, der Zeit, in der RED HARVEST spielt. Im Unterschied zu damals ist die Luftverschmutzung und Umweltzerstörung nicht mehr auf Poisonville (stellvertretend für Nordamerika) oder Europa begrenzt, sondern haben den gesamten Globus ergriffen. Ihren Konsequenzen entkommt niemand mehr.
Ich lese ja aktuell nebenher immer mal wieder im Big Book of the Continental Op.
Da gibts ab Seite 527 die 4 Geschichten- The Cleansing of Poisonville/ Crime Wanted-Male or female/Dynamite und The 19th Murder. Alle 4 im Original im Black Mask Magazine veröffentlicht. Im Vorwort wird unter anderem der Briefwechsel zwischen Chandler und seinem Editor bei Knopf veröffentlicht,der Verlag der die 4 Geschichten dann als Novel unter dem Titel Red Harvest herausgebracht hat.
Interessant ist das Red Harvest auf Wunsch des Verlags wohl deutlich weniger Gewalt beeinhalten soll sowie einige Handlungsstränge weggelassen wurden. Dem Verlag waren die Black Mask Vorlagen zu gewalttätig. Auch der Titel Poisonville missfiel dem Verlag. Chandler war relativ willfährig mit den Wünschen, immerhin hing sein finanzielles Überleben sowie ein 3 Buch Kontrakt daran. Er schlug verschiedene Titel wie Black City-Murder Plus oder City of Death vor, Red Harvest machte dann das Rennen. Sein nachfolgender Roman The Dain Curse wurde wohl noch heftiger in die Mangel genommen. Ich freu mich dann erstmal auf die unzensierte Version Im Continental Op Reader welche bei Afficinados als die bessere gelten soll. Obwohl,ich sagen muss das die ersten beiden Geschichten um den Op sehr entschleunigt und behäbig sind.
Ich hoffe das entwickelt sich noch.
Das “Big Book of Continental Op” kannte ich noch gar nicht. Danke für den Hinweis, muss ich mir besorgen. Die Infos zu “The Cleansing of Poisonville” habe ich “Shadow Man” von Richard Layman entnommen, das Briefzitat stammt aus “Dashiell Hammett – Selected Letters 1921-1961”.