DESPERADO: Unter Coltan-Schmugglern im Ostkongo

URLAUBSLEKTÜRE FÜR KURZENTSCHLOSSENE:

Er ist ein Anti-Held, dieser Roland Burget, ein abgerissener Abenteurer und Pilot, der sich wegen politischer Verstrickungen in Deutschland nicht mehr blicken lassen kann, ein verkappter Romantiker, dem jeglicher revolutionäre Eifer von der Realität ausgetrieben wurde. Nachdem er sich jahrelang mit illegalen Frachtflügen kreuz- und quer auf dem gesamten afrikanischen Kontinent über Wasser gehalten hatte und dabei zusehen musste, wie andere Leute unanständig reich wurden, will er nun endlich selbst an das ganz große Geld …

Auszug aus KAPITEL 4

Am ruandischen Völkermordgedenktag saßen Burget und Olivier wie Schuljungen nebeneinander auf einer kleinen Bank vor der Terrasse des Hotels Karibu, beaufsichtigt von zwei Bodyguards in der Uniform der kongolesischen Armee, und warteten. Weißes Hemd, helle Stoffhose, schwarze Lederschuhe, Burget war rasiert und sauber. Präsentabel für General Bobo Nokoma, wie Olivier zufrieden befand.

Der General hatte sich seinen Kampfnamen „Der Endlöser“ hart erarbeitet, wie Burget inzwischen in Erfahrung bringen konnte. Diese Auffassung teilte auch der Ankläger beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Der verfasste eine Klageschrift wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen und verlangte seine Auslieferung. Das lag schon einige Jahre zurück. Nichts geschah, trotz regelmäßiger Appelle des ICC, Protesten diverser Menschenrechtsorganisationen und eindringlicher Forderungen der UN. General Nokoma residierte einen Steinwurf von der ruandischen Grenze entfernt in Goma und wusste sich unantastbar. Er war jener loyale Gefolgsmann, von dem CIA-Mike sprach, der General Makellos absägte, nachdem dieser die Geschäfte derart gestört hatte, dass die Machthaber in Kigali die Geduld verloren. Und weil Nokoma nach dem sogenannten Friedensschluss und der offiziellen Legitimierung der CDNP seine Kämpfer in die kongolesische Armee überführte, wurde er zum Dank in den Generalsrang befördert. Statt steifer Uniform mit engem Kragen, Schulterklappen und Goldkordel bevorzugte er heute jedoch türkis- oder rosafarbige Polohemden, wie es hieß, kombiniert mit weißen Shorts und Slippern, wahlweise auch Cowboystiefeln, und war seinen Kindern ein guter Vater. Er kümmerte sich lieber um seine Geschäfte als ums Abschlachten. Sein Kampfname wurde höchstens noch geflüstert und auch nur, wenn ganz sicher niemand Verdächtiges in Hörweite war.

Der General ließ seinen Besuch warten. Er hatte sich zunächst auf dem Tennisplatz dieser Luxusoase inmitten elender Armut verausgabt, danach beim Lunch gestärkt und regenerierte in diesem Moment wahrscheinlich bei einem Nickerchen. Drei Stunden später platzte Nokoma förmlich vor Energie, als er auf die Terrasse hinaustänzelte. Burget und Olivier erhoben sich. Auf ein Zeichen hin ließen die Bodyguards sie vortreten. Der General streckte ihnen seine Hand entgegen. In gebührendem Abstand beugte Burget sich vor, ergriff die große, weiche Pranke mit den manikürten Fingernägeln und schüttelte sie leicht. Dabei legte er seine linke Hand an seinen rechten Unterarm und vermied den direkten Augenkontakt. Eine Respektbezeugung gegenüber Ranghöheren, wie Olivier ihm zuvor eingeschärft hatte. Der General goutierte die Geste mit dem Selbstverständnis eines absolutistischen Herrschers.

Olivier begrüßte Nokoma mit der gleichen zur Schau gestellten Demut wie Burget und sagte dazu: „Muroho. Hallo, lange nicht gesehen“ und „was gibt‘s Neues? Amakuru?“

Der General bestätigte mit überraschend hoher Stimme, dass es ihm bestens gehe. Sie nahmen Platz. Die Schwarzen plauderten von Tutsi zu Tutsi miteinander. Olivier lauschte aufmerksam den Ausführungen Nokomas, der wiederum die Schilderungen des Directeurs de Comptoir mit kleinen, ruckartigen Kopfbewegungen zur Seite und skeptischen Ehs kommentierte. Beide lachten. Burget bemühte sich gar nicht erst, dem Gespräch zu folgen. Diese Phase nannten erfahrene Verkäufer Anwärmen, um Ansatzpunkte für den Verkaufspitch zu erkennen. Der Verkaufsgegenstand war Burget selbst.

Der Endlöser wandte sich ruckartig von Olivier ab und deutete mit dem Kinn Richtung Burget.

„Du kannst also fliegen?“

Nokomas Französisch hatte den harten, abgehackten Akzent eines Mannes, der es durch Skrupellosigkeit und Gerissenheit ganz nach oben geschafft hatte. Vielleicht bildete Burget sich dies auch nur ein. Auf seinem hellen Hemd breiteten sich dunkle Flecken aus. Olivier beobachtete den Piloten mit einem gefrorenen Dauerlächeln.

„Fünf Jahre habe ich Frachtflugzeuge kreuz und quer über den afrikanischen Kontinent geflogen. In der Regel eine Hercules C-130, mon général, aber auch Transall und die üblichen Cessnas, einmotorig und zweimotorig, meistens von den Emiraten aus und Kenia, aber auch Uganda und Sudan“, sagte Burget. Er sah seinem Gegenüber dabei nicht direkt in die Augen und hob vielsagend die Hände, als wüsste der General schon, was er meinte.

Nokoma machte ein schmatzendes Geräusch.

Daraufhin neigte Burget sich leicht vor und präsentierte dem General mit beiden Händen seinen belgischen Pilotenschein mit der Nummer 99-0045. Laut diesem war der Inhaber, wohnhaft in 2320 Hoogstraten, Zuikerplein 3b, ein Air Transport Pilot, ATP, und berechtigt, mehrmotorige Flugzeuge nach Instrumenten über Land und Wasser zu fliegen. Die Lizenz war vor drei Wochen abgelaufen.

Coltan-Routen von den Kivus zu den Seehäfen

Auszug aus KAPITEL 5

Kaum erkennbar wand sich der Pfad zwischen Bäumen, Farnen und Gestrüpp hindurch. Ein Soldat erschien. In Grünzeug, Stiefel, Cargohosen, das Hemd offen, darunter ein blaues T-Shirt, um den Hals mehrere Amulette, auf dem Kopf ein Barett. Seine linke Hand umschloss eine Machete, seine rechte lag schussbereit am Abzug einer AK, die an einem kurzen Schulterriemen diagonal vor seiner Brust hing. Dem Soldaten folgten zwei ungefähr zwölfjährige Jungen, Kadogos, in zu weiten Uniformjacken, mit zu großen Gewehren. In jedem steckte ein gebogenes Magazin, an das mit Klebeband spiegelverkehrt ein zweites Magazin befestigt war. Ein improvisiertes Wendemagazin. Ein Griff, ein Dreh, einrasten, weiterballern. Die Blicke der Kadogos wanderten zwischen dem Pfad und dem dichten Gestrüpp rechts und links davon hin und her. Nach den Kindersoldaten kamen die Träger, kräftigere Jugendliche und junge Männer, bekleidet mit dünnen Jacken, T-Shirts oder Unterhemden mit Aufdrucken wie „Obama – change we can believe in“, „50 Cents“ und „Halloween IV“, manche in Shorts, andere in langen, löchrigen Hosen, an den Füßen Flip-Flops oder Gummistiefel. Jeder von ihnen trug einen großen Sack Coltanerz auf dem Rücken. Jeder Sack wurde von einem dicken Tragegurt gehalten und war fünfzig Kilogramm schwer. Den Tragegurt gegen die Stirn gepresst, stemmten sich die Träger vorwärts. Knochenarbeit. Nur die kräftigsten wurden dafür ausgewählt. Sie bekamen pro Tag ein paar Dollar mehr Lohn als ein gewöhnlicher Minenarbeiter. Hier schleppten neunzig Träger, zehn davon Reserve, insgesamt viertausend Kilogramm Coltanerz. Zwölf Soldaten sicherten den Zug. Seit beinahe zwei Tagen waren sie auf engen, verschlungenen Pfaden wie diesem unterwegs. Ihr Ziel war eine schmale gerodete Piste mitten im Dschungel. Ihre letzte Rast lag eine halbe Stunde zurück. Trotzdem stolperten einige der Träger mehr vorwärts, als dass sie gingen. Die Angst hielt sie auf den Beinen. Nur nicht umfallen. Immer den Blick auf die Beine des Vordermanns gerichtet, mühte sich der Tross der Träger wie ein riesiger Tausendfüßler voran.

Nord-Kivu und Ruanda – Handlungsorte von DESPERADO

Großblättrige Farne wurden vom Anführer zur Seite geschoben. Gräser, Wurzeln, Gestrüpp, wenn nötig mit der Machete bearbeitet. Weiter hinten heulte jemand auf, dann folgte das dumpfe Geräusch eines Sackes, der in weichen Boden fiel. Gestein knirschte. Der Anführer hielt. Der ganze Tross geriet ins Stocken. Die beiden Kindersoldaten richteten ihre Gewehre auf das Gebüsch um sie herum. Aufgeregte Worte in Swahili liefen durch die Reihe und erreichten den Anführer. Die Träger setzten ihre Last ab, verschnauften. Der Anführer drängte an ihnen vorbei, bis zu einem Jungen, der auf der Erde lag. Der Sack mit einem Zentner Coltanerz lag neben ihm. Der Anführer fragte etwas. Ein Wortschwall ergoss sich aus dem Mund des Jungen, er hatte panische Angst. Der Anführer bellte einen Befehl. Der Junge versuchte aufzustehen. Er schaffte es nicht. Der Anführer packte grob an, zog ihn auf die Füße, sofort knickte der Träger wieder ein. Er konnte nicht weiter. Die Mienen der anderen Träger in der Nähe waren ernst. Der Anführer blickte böse. Sie vermieden Augenkontakt. Einer der Kadogos schob einen Jungen in T-Shirt mit dem Aufdruck „Badass“ zu dem Anführer. Ohne einen Befehl abzuwarten, hob Badass den Sack des Gestrauchelten auf seinen Rücken. Das war seine Aufgabe. Der Kindersoldat zerrte den verletzten Träger ein paar Schritte abseits des Pfades und ließ ihn liegen. Der Anführer gab laut einen Befehl. Die Träger nahmen ihre Last wieder auf. Badass berührte scheu den Anführer am Arm, der fuhr herum.

„Was ist mit Nbola?“ Badass wagte es nicht, den Blick zu heben.

„Weiter“, befahl der Anführer und schob sich an dem Träger vorbei Richtung Zugspitze.

„Weiter“, rief der Anführer erneut, und dann sagte er leise etwas zu einem Kadogo. Der Kindersoldat nickte bekräftigend und machte Platz. Langsam bewegte sich der Tross voran. Der Kindersoldat marschierte zu der Stelle, wo der verletzte Träger gelegen hatte. Der Junge war weg. Der Blick des Kadogos suchte die Umgebung ab. Er sah nur Farne, Gräser, Wurzeln, Gestrüpp, Baumstämme. Unter seiner olivgrünen Kappe war ein rundes Gesicht mit großen Augen und einem noch größeren Mund. Es musste viel Mühe gekostet haben, dem Jungen das Lachen auszutreiben. Um seinen Hals hingen mehrere bunte Ketten, schmale und breite, und ein Anhänger aus gefaltetem Leder, mit dunklem Stoff und Bast umwickelt. Ein Talisman. Risasi na maji. Sein Zauber machte unzerstörbar, anfliegende Geschosse würden am Körper des Kadogos zerlaufen wie Wassertropfen an der Windschutzscheibe eines rasenden Autos. Aus dem Augenwinkel bemerkte der Kindersoldat ein Rascheln unter einem Farn, erschrak, drückte den Abzug seines Gewehrs durch und rotzte ein halbes Magazin raus. Die Geschosse zerfetzten den Farn, rissen Rinde von den Bäumen, bohrten sich ins Erdreich und in den Körper des verletzten Trägers. Nbola fehlten Teile des Unterkiefers und des Halses. Er war sofort tot. Kalt, beinahe feindselig musterte ihn der Kindersoldat, schulterte sein Gewehr und ging. Niemand im Tross gab einen Laut von sich. Badass biss sich auf die Lippen, bis sie bluteten. Entlang der Dschungelpfade starben täglich Träger, die wenigsten durch Kugeln, die meisten vor Erschöpfung oder Auszehrung. Viele der Toten wurden begraben. Zahllose Gräber säumten diese Pfade. Beinahe ganze Friedhöfe.

Leidschaft bis zum Letzten: alles für unsere Smartphones

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