Mit dem Überfall auf die Sparkassen-Filiale in Huckarde nahm das Schicksal Fahrt auf . . .
Groß und rot prangte der Schriftzug an einem hässlichen, grauen Altbau. Im Schaufenster darunter waren drei Sparschweinchen dekoriert, in rosa, grün und blau, mit Ringelschwänzen und lachenden Augen. Die Einwurfschlitze auf ihren Rücken besaßen kleine Zähne, bestimmt um kindliche Sparer zu entmutigen, die Münzen wieder herauszuholen.
Spare in der Zeit, dann hast du in der Not, mahnte ein Werbespruch. Direkt daneben warb ein Plakat in kumpeligem Idiom für den modernen Dispokredit: Gönn dir was, dann biste was. Mit Dispo. So funktionierte offensichtlich die Dialektik des Geldes.
Schräg gegenüber, vielleicht zwanzig Meter entfernt, auf der anderen Straßenseite, lehnte ein kräftiger Mann in einer offenen Hofeinfahrt. Der zunehmenden Leibesfülle und abnehmenden Haardichte nach, mochte er Anfang vierzig sein. Eine Hand hielt eine Bierflasche, die andere umklammerte den Griff einer abgenutzten Arbeitstasche aus schwarzem Leder, mit Henkelmann-Beule und Thermoskanne. Der Mann lungerte hier nicht einfach nach der Schicht rum, er beobachtete die kleine Filiale.
„Euch geb ich Dispo”, sagte er, nachdem er den Schriftzug im Fenster gelesen hatte, und dann, mit einer Stimme, die bedrohlich klingen sollte, „her mit die Kohle und keine Fisimatenten.“ Die Bedrohung in seiner Stimme schien ihn nicht zu überzeugen. „Dat is ein Überfall, her mit die Fisimatenten … (klang jetzt echt bedrohlich) Scheiße. Reiß dich zusammen … Kohle, Walter. Her mit die Kohle.“
Der Mann, den wir gerade als Walter kennen lernten, schien nervös zu sein. Er nahm einen Schluck Bier, spülte den Mund und ließ den warmen Gerstensaft die Kehle hinab laufen, um dann mit normaler Betonung zu sagen: „Dat is ein Überfall, her mit die Kohle und keine krumme Nummer.“
Zufrieden setzt er die Bierflasche ab und peilte zu der Filiale hinüber. „Krumme Nummer klingt reeller.” Er zog eine Pistole aus der rechten Jackentasche, prüfte sie kurz, steckte sie wieder weg.
Nach einem letzten Schluck Bier stellte Walter die Flasche auf den Boden und schlenderte Richtung Sparkasse. Er wechselte auf die andere Straßenseite. Knapp zehn Meter vor der Filiale strich sein Blick erneut über die Straße: Nur parkende Autos, kein Mensch weit und breit. Die Luft war rein.
Eilig klemmte Walter die Aktentasche zwischen die Beine und holte eine Damenstrumpfhose aus der linken Jackentasche. Mit einer Bewegung, die Übung verriet, zog er sie über den Kopf. Die Spitze des einen Strumpfbeines formte einen Zipfel, der wie ein Horn von seiner Stirn abstand, das zweite Strumpfbein hing schlaff auf seine Brust hinab. Das Gesicht vom engen Nylon zur Unkenntlichkeit verzerrt, nahm Walter die Aktentasche wieder in die Hand.
„Na, Walter, haste was am Kopf?“ sagte plötzlich eine Männerstimme direkt neben ihm.
Zwischen den am Bordstein parkenden Autos stand ein beiger Passat-Kombi, auf dessen Beifahrersitz träge ein uniformierter Polizist mit Minipli-Dauerwelle und Schnäuzer lag. Er hatte das Fenster heruntergekurbelt und kaute an einem Salami-Brötchen. Ein Senfkorn klemmte zwischen seinen oberen Schneidezähnen.
Walters von der Strumpfhose verzerrtes Gesicht blickte den Polizisten einen Moment lang an, bevor ein schiefes Grinsen das Nylon noch weiter spannte.
„Tach Gerd, ich hege den Verdacht meine Viola steht neuerdings auf Fetisch“, sagte er, von seiner Spontanität selbst beeindruckt.
„Und da wollste se überraschen?“
„Kennst mich doch, bin für alles offen.“
„Warum fragst du nicht einfach, worauf se steht. Vielleicht sacht sie es dir.“
„Sacht dir deine Frau bei so ein’ pikanten Thema vielleicht die Wahrheit?“ Walter zog die Strumpfhose ab und steckte sie ein, „dämmlichet Ding.“
„Da sachste was Wahres.“ Gerd wischte ein paar Brötchenkrümel von seinem Bauch.
„Na tschüss dann“, sagte Walter und ging zügig davon. Als er an dem Eingang der Sparkasse vorbeikam, fiel ihm aus dem Augenwinkel ein kleines Schild im Fenster auf: Heute Nachmittag bleibt diese Filiale wegen einer Betriebsversammlung geschlossen.
Am nächsten Tag wurde Walter von niemandem aufgehalten. Nur war Mittwochnachmittags die Filiale immer geschlossen.
„Idiot, hättste auch dran denken können“, fluchte er, zerrte sich die Strumpfhose vom Kopf und verpasste ihr prompt eine Laufmasche. Die brauchte er Viola jetzt nicht mehr zurückbringen.
Donnerstag war Feiertag und Freitag fuhr er mit den Jungs zum Auswärtsspiel nach Gelsenkirchen. Nur um ihn zu ärgern, ging die fußkranke Truppe sang- und klanglos auf Schalke unter, woraufhin Walter seinen letzten Hunderter an Quoten-Manni abdrücken durfte.
„Zahlen und fröhlich sein, weisste doch“, sagte das Sackgesicht und grinste sich eins.
„Ich verpass dir gleich ‘ne Hasenscharte!“
Quoten-Manni war Walters Jähzorn nicht geheuer. Er bestellte flott zwei Kronenpils. Nach der zehnten Flasche überlegte Walter, eine Münze zu werfen. Bei Kopf würde er Quoten-Mannis Hirn wegblasen, bei Zahl sein eigenes. Letzteres aber nicht ohne vorher hinterm Bahnhof sein restliches Guthaben vom Sparclub zu vervögeln. Für einen spritzigen Abgang reichte die Kohle vielleicht.
„Man muss dem Elend konstruktiv die Stirn bieten.“
Zwei Kronenpils später entschied Walter sich, das Westfalenstadion zu überfallen. Die letzte Mannestat des 20. Jahrhunderts. Ein Gedanke, der ihn in Euphorie versetzte.
„Dat haste jetzt davon, Viola.“
Er nötigte Quoten-Manni, ihm eine Heimfahrt mit dem Taxi zu spendieren und reiherte kurz vorm Hellweg auf die Rückbank.
Lange keinen so guten Abend mehr gehabt.