GRÖSSENWAHN IM SANDKASTEN – Feindbild Iran

Meine noch immer gärende Syrien-Story erfordert es, einen genaueren Blick auf den Iran zu werfen, welchen Bush der Dümmere in Unkenntnis, was eine Achse ist, einst als Bestandteil der „Achse des Bösen“ bezeichnete. (Die beiden anderen angeblichen Achsenmächte waren der Irak und Nord-Korea.) Hier ein paar Überlegungen und Links, um die verfahrene Situation besser zu verstehen . . .

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Die „Erzfeindschaft“ zwischen Iran und USA geht auf das Jahr 1951 und die Unterminierung des ersten demokratisch und frei gewählten Premierministers Mohammad Mossadegh zurück. Nach der Ankündigung von Mossadegh, die Ölindustrie zu verstaatlichen, unternahmen CIA und MI6 zwei Jahre später eine gezielte Umsturzkampagne. Sie hatte Erfolg. Der Premierminister wurde abgesetzt und der Schah Reza Pahlevi mit seinem brutalen Folterregime als treuer Vasall des Westens re-installiert. Weiterführende Informationen siehe . . .

LINK: http://www.mohammadmossadegh.com/news/central-intelligence-agency/cia-documents-iran/)

(N.B. Der Versicherungsverkäufer und Ex-Präsident Obama hatte sich auf die Frage, ob die USA nach Freigabe der geheimen CIA-Akten über den Coup nicht den Iran um Endschuldigung bitten sollten, anstatt „sorry, people of Iran, but we are dipshits“, die Worte „it had seismic repercussions“ – es hatte Nachbeben zur Folge – aus dem Hintern gequält. Wir lernen: Ein Imperium entschuldigt sich nicht.)

Mohammad Mossadegh (1882 – 1967)

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Im Februar 1979 erlaubten die Staatschefs – viele westliche Machtstrategen sagen auch Staatstrottel – Carter, USA, Callahan, UK, Giscard d’Estaing, Frankreich, und Schmidt, Westdeutschland – als Reaktion auf die seit Monaten andauernden Unruhen und Anti-Schah-Proteste, dem Ajatollah Khomeini die Rückkehr aus dem Pariser Exil nach Teheran. Sie verbanden damit die Hoffnung, der US-Einfluss auf den Iran würde dadurch aufrecht erhalten, wenn ihr Schah den Abgang macht. Eine krasse Fehleinschätzung der großen Geo-Strategen, was wieder einmal die „totale Unkenntnis gepaart mit debiler Arroganz“ westlicher Politiker offenbart.

3

Obwohl Khomeini bei seiner Ankunft von 3 Millionen Menschen begrüßt wurde, dauerte es zweieinhalb Jahre, bis er seine Macht entgültig festigen konnte. Die iranische Revolution war ursprünglich eine linke Revolution, die ihren Anfang bei den Arbeitern und Armen in den Städten nahm. Khomeini jedoch erwies sich als geschickter Taktiker, der mit wechselnden Allianzen und Druck von der Straße seine strikten theologischen Vorstellungen von der Zukunft des Landes durchsetzte. Nach und nach eliminierte er lästige Mitstreiter wie offene Widersacher, ohne dabei besonders zimperlich zu sein. Genaueres nachstehend . . .

LINK: https://socialistresistance.org/the-iranian-revolution-socialism-and-theocracy/3826

4

Die neugegründete Islamische Republik Iran verfolgte zunächst eine islamisch-nationalistische Politik. Den Amis ging’s um den politischen Einfluss in der Region – es herrschte schließlich noch der Kalte Krieg – und natürlich um die Sicherung der Ölvorkommen. Khomeini und Co. ging es um die Konsolidierung ihrer neugewonnenen Macht und die Rückbesinnung auf „islamische Traditionen“, denen die „westlichen“ Freiheiten und Veränderungen unter dem Schah-Regime zuwider liefen. Der Sturm der US-Botschaft und ihre Besetzung ist in diesem Kontext einschneidend. Nicht nur weil dies dank des Dirty Tricks „October Surprise“ von Reagans Wahlstrategen Auswirkungen auf die Präsidentschaftswahlen 1980 hatte, die Ronald Reagan ins Amt brachten und die offizielle Neo-Liberale Machtübernahme in den USA signalisierten. Besonders seltsam sind auch die Waffengeschäfte der Amis mit dem „Todfeind“ Iran, die als Iran-Contra-Affäre bekannt wurden und unter normalen Umständen das Ende von Reagans Präsidentschaft bedeutet hätten. Zu beiden Themen . . .

LINK: ABC-Television Bericht über die Geisel-Krise nach Sturm der US-Botschaft . . .

https://www.youtube.com/watch?v=2Wq94enhBYA

LINK: Zur Iran-Contra-Affäre . . .

Ohne Wikileaks würden heute solche Staatsverbrechen kaum publik werden.

5

Mit den Jahren wurden die Revolutionären Garden, einst als Verteidiger der Islamischen Revolution ins Leben gerufen, zu einem wirtschaftlich-militärischen Machtapparat, der dem eigenen Privilegienerhalt ebenso dient wie dem herrschenden Klerus. Das „Mullah-Regime“ – um den westlichen Propagandaausdruck zu bemühen, der suggerieren soll, dass der Iran keine echte Demokratie wie unsere westlichen Demokratien ist – hat inzwischen immer mehr Mühe, die Jugend, die westliche Medien- und Konsumbotschaften zwar empfängt aber selten erlebt, auf seine konservativen islamischen Wertvorstellungen einzuschwören. Bei diesen handelt es sich um Errungenschaften wie das von „Gott gewollte“ Vorenthalten individueller Freiheitsrechte oder die Ungleichstellung von Mann und Frau und natürlich die mittelalterliche Scharia-Justiz. (N.B. Diese Werte scheinen alle islamischen Fundamentalisten, unabhängig ob Schiiten oder Sunniten, zu vereinen).

Teheran, der Große Basar in Coronazeiten

6

Die US-Sanktionen verschärfen die ökonomische Lage und forcieren den Außenhandel des Iran z.B. mit China, denn die EU kann sich nur schwer gegen den „Obermaxe“ im westlichen Bündnis positionieren, was die Möglichkeiten einer eigenen Iran-Politik stark begrenzt. Wider aller Vernunft ziehen Pompeo und Konsorten die Sanktionsschrauben immer weiter an und fordern zugleich die kategorische Unterordnung der europäischen Vasallen ein – „Bündnistreue“ heißt das im Diplomatensprech. Allein die stets servilen, kriegsgeilen Briten, deren imperialen Scherbenhaufen die Amis ab 1945 sukzessive übernahmen, halten stramm zum „besonderen Freund“ auf der anderen Seite des Atlantiks. In dem vom imperialen Phantomschmerz geplagten London gilt nach Verlust der eigenen Großherrlichkeit: Wer neben dem „Sieger“ steht, ist selbst ein Sieger.

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Ihre Feindschaft mit den USA nutzt die Führung in Teheran von Anfang an zur benötigten Stabilisierung nach innen, ein äußerer Feind schließt bekanntlich die Reihen und rechtfertigt die Unterdrückung jeglicher Form von scheinbar systemgefährdender Opposition (worunter häufig auch Reformer in den eigenen Reihen fallen). Die mittlerweile über 40 Jahre währende Kriegstreiberei der Hardliner in Washington, die unverändert den Machtwechsel in Teheran zum Ziel hat und deren Methoden seit 1980 von immer extremeren Wirtschaftssanktionen (inkl. Medikamente und medizinische Hilfe, gerade in Covid-Zeiten besonders grausam), über den Stellvertreterkrieg Irak-Iran 1982-88 (in dem 1 Million Menschen starben), der Aufkündigung des 2015 geschlossenen Atomabkommens bis zur Ermordung von General Soleimani am 02. Januar d.J. reichen, ist an strategischer Dummheit und moralischer Widerwärtigkeit kaum zu überbieten. (Es sei denn Chaos und Schrecken sind das eigentliche Ziel, um die Kriegsmaschinerie am Laufen zu halten. Eine perverse aber durchaus folgerichtige Logik der Machthaber des Imperiums.)

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Als eine der Konsequenzen aus der „US-amerikanischen Niederlage“ nach der Invasion des Irak 2003, hat sich Teherans Einfluss in der Region um ein Vielfaches vergrößert. Darum haben die Amis eine Allianz aus Saudi-Arabien, Vereinigten Arabischen Emiraten, Oman und der Atommacht Israel befördert, um der „wachsenden Bedrohung“ durch den Iran Einhalt zu gebieten. (Man könnte meinen, die Aufnahme diplomatischer Beziehung zwischen Israel und den arabischen Scheichtümern nütze in Wirklichkeit der Vorbereitung eines möglichen Krieges und weniger dem Frieden, „legitimieren“ sie doch die seit Jahren untereinander laufenden diskreten Geschäfte mit Waffen- und Überwachungstechnologie.)

9

Im Kampf um die Vormachtstellung im Nahen Osten wird vordergründig gern die tiefe Feindschaft zwischen Schiiten und Sunniten als eine der zentralen Ursache angeführt, siehe Punkt 12. Auch wenn das nicht von der Hand zu weisen ist, geht es in Wirklichkeit vor allem um die Öl- und Gasreserven der Region. Damit wird sogleich jedem klar, welche Industrie sich hinter dem andauernden Washingtoner Geschwafel von US-Interessen und „Nationaler Sicherheit“ verbirgt.

(N.B. Gibt es angesichts der Klimakatastrophe einen noch klareren Beweis für die wirschaftsdevote Idiotie des politischen Führungspersonals, als die Tatsache, dass sie zerstörerische Kriege betreiben um sich die Ressourcen für die klimatische Zerstörung unserer Biosphäre zu sichern?)

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Die Apokalyptiker im US State Department träumen vielleicht schon von einem „begrenzten Nuklearkrieg“ im Nahen Osten. In ein paar Jahren sind die Kampfroboter des Pentagon – an dieser Stelle eine Danksagung an die Kriegsverbrecher-Fraktion im Silicon Valley, Google, Microsoft etc., die auf diesem neuen Geschäftsfeld großartige Pionierarbeit leisten – in der Lage, völlig ferngesteuert eine der Wiegen menschlicher Zivilisation in einem strahlend-flammenden Inferno untergehen zu lassen, ohne dass kostbares heimisches Patriotenblut vergossen wird.

LINK: Peter Scholl-Latour über den Iran . . .

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Die Haltung der dummdeutschen Propagandisten von Atlantikbrücke und Co. spiegelt sich in der Schlagzeile einer deutsche Boulevard-Zeitung, bei deren Anblick allein ich ständig vor den Kiosk kotzen muss. Sie titelte in ihrer unerträglichen ideologischen Verblödungsstrategie doch glatt: „Kein Krieg. Danke, Mr. President“, weil der Pissblonde auf den iranischen Vergeltungsschlag für die von ihm angeordnete Ermordung Soleimanis im Januar seinerseits nicht mit einem tödlichen „Vergeltungsschlag“ reagierte. Was für eine feige, anbiedernde Irreführung und Verkehrung der Realität.

12

Die große Feindschaft zwischen Sunniten und Schiiten resultiert aus einem blutigen Streit im Jahre 632 um die Nachfolge des verstorbenen Religionsstifters Muhammad und erinnert an die einst ebenso blutige Feindschaft von Protestanten und Katholiken im Christentum. Vereinfacht ausgedrückt: die Schiiten halten es mit dem Iran, die Sunniten mit Saudi-Arabien. Weil 85% aller Muslime weltweit Sunniten sind und nur 15% Schiiten, scheint das Kräfteverhältnis innerhalb der Religionsungemeinschaft numerisch klar. Die logische Folgerung: Wer angesichts dieser Bedrohung überleben will, der muss sich die Waffe besorgen, vor der selbst das Imperium Respekt hat: die Atombombe. Israel hat sie, Saudi Arabien strebt sie an – und der Iran wird auch versuchen, sie zu bekommen. Dann ernten die Hardliner in Washington und ihre willfährigen Helfer, was sie gesät haben, und wie immer müssen es Unschuldige und Unbeteiligte ausbaden.

Anmerkung zu Wahrheit, Ideologie und Macht

Hinter dem Anspruch auf die absolute Wahrheit einer monotheistischen Religion (oder eines harten Richtungsstreites innerhalb des Glaubens), die nichts anderes ist als Ideologie in Reinform, verbirgt sich der wahre Grund des Streits: Die absolute Macht. Für dieses Ziel lassen sich Massen erfahrungsgemäß viel leichter mobilisieren, wenn der Gegner ein widerwärtiger Mörder ist und man selbst unschuldiges Opfer und damit moralisch der Überlegene, weil im Recht. Kommt bekannt vor? Richtig, diese Grundhaltung ist die Kriegsstrategie jedes Angreifers: Es wird immer nur zurückgeschossen.

Erklärung: Wir _____________ sind unschuldig und gut und werden von allen anderen, insbesondere _____________ bedroht, darum müssen wir zuerst zurückschlagen.

(Der geneigte Leser kann selbst die Namen seiner Wahl einsetzen, den des Aggressors an die erste und den des Empfängers der Aggression an die zweite Stelle.)

In sekulären Ländern werden anstatt eines religiösen Wahrheitsanspruchs westliche Werte angeführt: da geht es dann um den Sieg von Frieden, Freiheit, Demokratie und Menschenrechten. Im global vorherrschenden Wirtschaftssystem ist Profit das Ziel aller Bestrebungen. Auch die Kampfansage dieser Ideologie verkauft sich mit der vorgenannten Botschaft von Friede, Freude, Eierkuchen, Tralala einfach besser.

Jetzt kommen mir vor lauter Pathos beinahe die Tränen . . .

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