KURIER – Story 9

Ich stamme aus einer Proletarierfamilie, die sich mit Heimarbeit über Wasser hielt und erst mit der Generation meines Vaters infolge des Wirtschaftswunders in kleinbürgerliche Verhältnisse aufstieg. Geld spielte bei uns zuhause immer eine große Rolle. Geld und Erfolg, Geld als Gradmesser des Erfolges.

So definierte sich mein Vater, nachdem er Armut und Tuberkulose überwunden hatte, das lebte er mir vor. Ich selbst wusste nie wirklich, was ich werden wollte. Ich wusste nur, dass ich niemals so knechten wollte wie der Alte, der nie Zeit für seine Familie hatte, der sich nur um seine Arbeit und um sein Hobby scherte und tief enttäuscht war, weil ich kein Interesse an seinen Interessen entwickelte. Wenn ich an meine Kindheit denke, denke ich an Dauerstreit und ständig frustrierte Erwartungen, bis zu jenem Tag, an dem mein Vater keine Erwartungen mehr in mich setzte und ich keine mehr in ihn. Von da ab redeten wir nicht mehr miteinander. Sie mussten ihn auch ohne mich unter die Erde bringen, was mir meine Mutter niemals verzieh.

Zwei Lektionen allerdings habe ich von dem alten Sack gelernt. Die erste lautet, „du schaffst alles, was du wirklich willst“, und die zweite, „du hast Erfolg, wenn du deine Chance und Möglichkeiten richtig einschätzt“. In der Limousine reichte mir der Boss ausgerechnet die zweite Lektion als wohlgemeinten Rat rein, damit ich bloß sein Angebot annehme.

Ehrlich gesagt, habe ich nur ein einziges Mal meine Chancen und Möglichkeiten richtig eingeschätzt, das war als ich mich um den Job bei der Bank bewarb. Die wollten jemand mit solidem Wissen über das Finanzwesen, wie sie es nannten und ausgezeichneten Englischkenntnissen, vor allem aber jemand Hungriges, der gewillt war, sich den Arsch rundzuarbeiten, um möglichst viel Geld zu verdienen.

Ich war total abgebrannt und benötigte dringend einen Ausweg. Also versicherte ich der Personalabteilung, in einem besonderen Maße über letztere Qualität zu verfügen. Das meine wahre Qualität (und damit der Turbobeschleuniger meiner Karriere) eine absolute Skrupellosigkeit ist, habe ich erst bei der Bank begriffen.

Pecunia non olet – auch nur ein Gerücht

„Du bist genau der richtige Mann fürs Investmentbanking“, sagte mein damaliger Chef und ließ mich auf unsere Kunden los, die zumeist in zwei Kategorien fielen: In a) zusammengerafftes Vermögen zu erhöhen und möglichst wenig davon dem Staat in den Rachen zu werfen oder in b) dreckiges Geld spurlos reinzuwaschen. In den Disziplinen Vermögensvermehrung, Steuervermeidung und Geldwäsche leistete ich Außergewöhnliches. Und nicht ich allein. Denn ich war nur einer von vielen erfolgssüchtigen, absolut gewissenlosen Playern.

Wir manipulierten Zinssätze wie Libor und Euribor und verkauften ahnungslosen Kunden todsichere Anlagen, an denen sich die Bank hemmungslos bereicherte, den Investoren aber mickerige Erlöse ausschütte. Wir verdienten ein Vermögen mit trickreichen Geldtransfers, deren einziger Zweck es war, sämtliche Hinweise auf die Herkunft der Milliarden zu verschleiern.

Wir verkauften unseren Kunden (Privatanleger sowie Städten und Gemeinden) absolut wertlose Subprime-Bündel als risikofreie, höchstprofitable Wertanlagen und kassierten dafür Prämien in Millionenhöhe, während wir zugleich wissentlich gegen die Anlagen wetteten. Wohl wissentlich brachten wir tausende Anleger um große Teile ihres Vermögens wenn nicht um ihre Existenz.

Na und? Das Geschäftsmodell Investmentbanking lautet, aus anderer Leute Geld mittels krimineller Finanzprodukte sehr viel Geld für die Bank zu machen. Wie, das bleibt der Phantasie und dem Geschick der Mitarbeiter überlassen. Damit alle dieses Ziel vierundzwanzig Stunden lang, dreihundertfünfundsechzig Tage im Jahr hochmotiviert verfolgen, bekommen sie überproportional hohe Erfolgsboni. Dieses System wurde mir zum Verhängnis. Der große Crash hat meine Familie und mich komplett ruiniert.

Seitdem leide ich unter Burn-out.

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