Nicht nur das Stimmvieh schläft schlecht angesichts des Niedergangs der ach so schönen Republik, auch die verantwortlichen Politrickser haben harte Nächte durchzustehen. Besonders wenn sie vor Machtgier und der Angst, ihre Masche könnte entdgültig auffliegen, am Vorabend der Wahl an sich und ihrer Hybris leiden. Strohfeuer lodern besonders grell. Zugegeben nur kurz, aber immerhin. Nachstehend eine E-Mail von Friedel M. – welchem der organisierten Machterlangungs- und Erhaltungsvereine steht der noch mal vor? –, die heute irrtümlich bei Max Säger im Posteingang gelandet ist, zwischen einer Aufforderung eines nigerianischen Rechtsanwalts, endlich die 1000 Euro zu überweisen, damit sein Millionenerbe nach Deutschland transferiert werden kann, und einem Viagrasonderangebot, damit der Tinderheld im Manne nicht schlapp macht. Hier nun Friedels Beichte, ungeschönt und unzensiert …
Friedel M. (Baldkanzler und zutiefst verunsicherter Feudalkapitalist)
Berlin, den 22. Februar 2025
An Karl Marx im Revoluzzerhimmel oder aber, was wahrscheinlicher ist, auf der Müllkippe der Geschichte
Lieber Kalle,
es ist jetzt 5:12 Uhr und der scheiß Whisky ist fast alle. Der geniale HST-Mix aus Pillen und Nasenpuder und Halluzinogenen wirkt noch, aber kann nicht die Erinnerungen betäuben, die mich diese Nacht heimsuchen. Ich habe dir bereits in der Nacht vor meiner Wahl zum Parteivorsitzenden geschrieben, aber es gibt noch was, das ich dir (leider) gestehen muss – etwas, das ich (Gott sei dank) nie zugegeben habe, nicht einmal mir selbst (sonst wäre ich garantiert in den Biggesee gelatscht und nicht ins Büro des Vorsitzenden). Vielleicht ist es die Mischung aus Alkohol, Drogen und dieser verdammten Schlaflosigkeit, die mich dazu bringt, aber hier ist die Wahrheit. Halt dich fest, Alter:
Ich bin nicht aus Überzeugung in die C-Partei eingetreten. Nein, es war aus verschmähter Liebe.
Große Güte, habe ich das wirklich geschrieben?
Zu meiner Verteidigung kann ich anführen, dass es in den 70er Jahren geschah, als ich noch blutjung und idealistisch war – oder zumindest dachte, ich wäre es. Idealistisch, meine ich. Ich war nämlich verliebt in Britta, das heißeste Mädchen auf dem katholischen Mädchengymnasium „Helga von Bingen“.
Doch die heiße zölibatäre Katholikin entpuppte sich als heiße promiskule Kommunistin. Sie war leidenschaftlich mit allen anderen beim Schützenfest und auch sonst. Allen, außer mir. Sie, die süßeste aller Süßen, wenn sie mit Marx-Zitaten um sich warf, als wären es Poesiealbumsprüche. Was habe ich gelitten. Sie war alles, was ich nicht war: radikal, engagiert, voll wahrer Ideale und 100% pickelfrei.
Und ich?
Ich war ein junger pickeliger Schlacks, bei dem Clearasil versagte, mit weniger Muskeln, als ein Spatz Krampfadern, der versuchte, ihr mit Poesie in Form von Birnenzitaten, kleine Anspielung auf mein großes Idol, zu imponieren. Helmut hat seine Hannelore schließlich auch mit Hölderlin schwach gemacht.
Aber Britta hat mich abgewiesen. Schlimmer noch, Kalle, sie hat mich ausgelacht: Ich wäre ein kleiner Bourgeois, der später als Rechtsanwalt arbeiten und sich die Taschen mit teuflischen amerikanischen Dollars vollmachen würde. Einer, der nie schnallen würde, was Solidarität und Völkerverständigung bedeuteten und niemals verstünde, was es hieße, um Gerechtigkeit für die Schwächsten zu kämpfen.
Also trat ich in die C-Partei ein. Aus Trotz. Aus verletztem Stolz. Aus pubertärer Wut. Ich dachte, ich würde ihr zeigen, wer ich wirklich war. Aber stattdessen wurde ich die Karikatur ihrer Prophezeiung.
Jetzt, kurz vor der Erreichung meines Lebensziels, der Bundeskanzlerschaft, werde ich von Selbstzweifeln geplagt. Was, wenn mein ganzes Leben ein Verrat an den Idealen der Menschlichkeit war? Was, wenn ich immer noch der kleine zurückgewiesene Junge bin, der nie erwachsen geworden ist? Ich sitze hier in meinem teuren Anzug, umgeben von den verdammt teuren Symbolen meines Erfolgs und meines Reichtums und frage mich: Wie habe ich das alles verdient?
Kalle, ich weiß, du würdest mich verachten. Du würdest mich als das sehen, was ich wohl bin: ein Kerl, der für Macht, Geld und Streicheleinheiten von Larry Fink und Klaus Schwarz alles verkauft hat, sogar die Ideale, die er nie besaß. Und das Schlimmste ist, ich werde es immer weiter tun. Als Kanzler werde ich noch mehr Privilegien und Geld für die Reichen in Gesetze gießen. Denn die Schmach von damals ist noch lange nicht vergessen. Die Wut, die Scham, die Verletzung – sie sind immer noch da, sie stecken tief in mir drin. Da hast du’s.
Jetzt schmeisse ich ein Röhrchen Alka-Selzer ein, denn ich muss morgen klar sein, um Klartext, machen, und den ganzen Quatsch zu verkörpern, mit dem meine Werber auf Stimmviehfang gegangen sind. Und das alles nur, damit ich mit Leib und schwarzer Seele den kalten, berechnenden Politiker geben kann, der ich sein will, damit die Welt mich fürchtet und nicht für eine Witzfigur aus einem Spirou-Comic hält. Heute Nacht aber, in dieser langen, dunklen Nacht, gestehe ich dir: Ich has–, scheiße, das sage ich dir nicht. Wer bist du überhaupt? Historischer Materialismus? Revolution? Hahaha. Die Fäden der Macht werden aus dem Garn der Korruption gesponnen und mit dem Blut der Proletarier gehärt–, ne bei dem Gedanken kommt mir glatt der Whiskey hoch. Ich bin sensibel.
Vielleicht ist das der Grund, warum ich dir diesen Brief schreibe. Vielleicht will ich nur, dass jemand die Wahrheit weiß, der mich nicht mit einem Tweet oder wie dieser digitale Terror heißt, blamieren kann, ein toter Philosoph, der mich wahrscheinlich genauso verachten würde wie Britta damals, der aber längst vermodert ist.
Auf jeden Fall danke ich dir. Wofür? Na für deine Ideen, vor allem aber deine Sekundärtugenden wie Wut und Unerbittlichkeit. Du magst tot sein, aber dein Geist lebt – in den Köpfen von drei oder vier Menschen, in den Straßen der verödeten Geisterstädte, in den stillgelegten Fabriken und leeren Büros dieser neuen schönen KI-Welt. (Mentale Notiz: mit Klausi Schwab über Transhumanismus sprechen.)
Ihr habt’s weit gebracht, du und deine blöden Massen. Und manchmal, in diesen langen Nächten, in denen ich nicht schlafen kann, bilde ich mir ein, deine Stimme zu hören, wie sie mir zuflüstert: „Proleten aller Länder, vereinigt euch. Ich habt nichts zu verlieren, als eure Ketten, mit denen die Kapitalisten auch anketten!“ Dann lache ich bestimmt hämisch im Traum und zähle die Hunderschaften, die mein Innenminister dem Gesocks auf den Hals hetzen wird. Woher ich das weiß? Weil, wenn ich schweißnass aufwache, immer noch die Polizeisirenen in meinen Ohren heulen.
Vielleicht sollten wir beide uns eines Tages auf einen Drink treffen. Wenn ihr in der Hölle Ausgang habt, du und mein (Vor-)namensvetter. Ich stelle mir vor, es wäre ein verdammt interessantes Gespräch. Sind eure Rauschebärte eigentlich von der Höllenhitze verkokelt? Ich kann mir übrigens immer noch keinen Bart stehen lassen.
Bis dahin,
Dein (zutiefst verunsicherter) stiller Bewunderer,
F
P.S.: Entschuldige die Tippfehler. Wie gesagt, es ist 5:12, ne 25 Uhr, und ich bin nicht ganz nüchtern. Aber vielleicht ist das die einzige Zeit, in der ich so was wie ehrlich sein kann. Guter Witz, was?