In Teil 1 betrachtete Thekenphilosoph Max Säger die Thesen des Denkers Karl Jaspers, der 1966 in seiner Analyse über die Bundesrepublik (West) feststellte, dass die angebliche Demokratie im Lande von einer machtgeilen, wählerverachtenden Parteienoligarchie gekapert wurde. In diesem Teil watet Säger durch den widerwärtigen Morast der wirtschaftlichen Verflechtungen unserer heutigen Politikvollstrecker. Der Faulgasausstoß hätte bei Jaspers akuten Sauerstoffmangel erzeugt. Säger überlebt dank einer ABC-Schutzmaske aus alten NVA-Beständen …
IDEAL UND WIRKLICHKEIT
Der gute Kalle war ein unverbesserlicher Idealist. Er vollbrachte tatsächlich den verblüffenden Spagat, Folgendes vom Stapel zu lassen:
„Der Wille der echten Demokratie, in der sich die republikanische Verfassung der Freiheit konstituiert, würde sich zuerst an die Besten, die Denkenden, die Urteilsfähigsten, die Sehenden, in der Tat an eine Minorität wenden, aber an eine solche, die die politische Aristokratie im Wortsinn, nicht im Sinne von Geburt und Herkunft, wäre. Demokratie ist ihrem Sinn nach zugleich aristokratisch. Von dieser sich ständig erneuernden Aristokratie geht der Einfluß auf die Umgebung, beginnend in den kleinsten Kreisen, schließlich auf die gesamte Bevölkerung. Man muß das Volk nur freilassen, es nicht in Parteien an Ketten legen und nicht an die Stelle des Volkes die Masse setzen, etwas Durchschnittliches, zu Manipulierendes.“
(Quelle: Karl Jasper, Wohin treibt die Bundesrepublik, Pieper-Verlag 1966)
Herrschaftszeiten. Demokratie hat einen Willen? Das grenzt ja an Schopenhauer, bei dem war der Wille allerdings ein blindes Drängen des Lebens. Aua! So wie heute die Parlamentarier blind zum Abkassieren drängen hat das nix von die Besten, die Denkenden, die Urteilsfähigsten, die Sehenden.
Faxen beiseite, Jaspers forderte tatsächlich, die „geistigen Eliten“ sollten aus Vernunft und Überzeugung die „Aristokratie der Demokratie“ bilden – ein Oxymoron –, die als Primus inter pares das einfache Volk zu sich emporhebt, auf dass es die gleiche Erkenntnis und Überzeugung gewänne und vor allem lebe.
Aus Jaspers spricht der „romantisch beseelte Idealismus“ des wilhelminischen Bürgertums, der ihm wohl in seiner Kindheit vermittelt wurde und welchen er, der Existenzphilosoph als Ideologien und Staaten versagten, zur Pflicht des Einzelnen erhob:
„Der erste Weltkrieg und die russische Revolution hatten die Autorität von Staat und Kirche ins Wanken gebracht. Aus der Wissenschaft ließen sich keine moralischen Maßstäbe ableiten. Deshalb sah Jaspers die Philosophie in besonderer Verantwortung: als Ansporn, selbst zu urteilen“, wie zum 50-zigsten Todestag unter dem Titel „Philosophischer Störenfried“ im Deutschlandradio Kultur verbreitet wurde. (N.B. Ohne auf seine explizite Kritik der Bundesrepublik einzugehen. Echt ‘ne Kunst.)
Jaspers hielt die/den Einzelne(n) also zum Denken und zum eigenverantwortlichen Handeln verdammt. Pech auch. Jede Generation muss Demokratie nicht nur neu erfahren, sondern auch im Geiste der ewigen Ideale gestalten. Allein die Vorstellung ist angesichts der deformierten Gestaltungswut unserer Regierenden unheimlich.
GESCHÄFTSMODELL POLITIK
Der Fehler, nach einem reiflichen Denkprozess mit unvoreingenommener Betrachtung aller Fakten und dem Abwägen der Vor- und Nachteile zum Wohle der Allgemeinheit zu entscheiden, kann unseren parlamentarischen Politikvollstreckern wirklich nicht passieren. Sie stehen bei den Abstimmungen sicherheitshalber unter (offiziell nicht existenten, tatsächlich aber kontinuierlich praktiziertem) Fraktionszwang. Die Parteiräson entscheidet, und das ist die Crux, nicht der Einzelne.
In Krisenzeiten wie den unserigen gilt die Geschlossenheit der Ränge umso mehr. Schließlich geht es vor allem um die Sicherung von Macht und Pfründen für die eigene Partei. Konkret meint das den Wirtschaftsnutzen einer Partei, denn der alleine zählt im herrschenden Kapitalismus:
„Die politischen Parteien der Bundesrepublik haben immer weniger mit Gesellschaftsgestaltung oder Ideologien zu tun, sondern sie sind ein Wirtschaftszweig geworden, eine gewinnorientierte Dienstleistung, die einen Service anbietet: die Umsetzung von Partikularinteressen in Gesetze. Im Angebot sind Förderungen, Subventionen, Steuerbegünstigungen und wirtschaftlich vorteilhafte Bestimmungen. Dazu haben die Parteien als Bundes-, Landes- und Kommunalregierungen Milliarden an Aufträgen zu vergeben. Im Jahr 2009 allein rund 40 Milliarden Euro.“
(Quelle: Korrupt?, Mathew D. Rose, Heyne-Verlag 2010)
Im ersten Halbjahr 2021 beliefen sich die öffentlichen Aufträge auf schlappe 52,2 Milliarden Euro.
Die Vergabe von Finanzmitteln für öffentliche Aufträge verleiht den Parteien einen ungeheuren Hebel. Sie sind de facto Unternehmen, die ein Geschäftsfeld (ein Business Model) betreiben, bei dem die Kundschaft Schlange steht. Es gibt schließlich viel abzugreifen.
Rose schreibt weiter:
„Diese Kommerzialisierung der Politik ist nicht ausschließlich eine deutsche Entwicklung, sondern gilt für die meisten westlichen Demokratien. (Sie ist eine direkte Konsquenz des Wirtschaftssystems. MS) Die Zeit, in der Politik eine gerechtere Umverteilung, also eine Verbesserung von Bildung, Gesundheit und Wohlstand der gesamten Gesellschaft anstrebte, ist in den Industrienationen lange vorbei.“
Eigenständiges Denken der Abgeordneten ist angesichts dieser Entwicklung karriereschädigend, dem System dienen, hingegen karriereförderlich. Die Parteiunternehmen brauchen zur Erreichung ihrer Ziele die „Besten“ und honorieren natürlich die „Besten“ (nur so versichert man sich ihrer).
Das Profil eines „Besten“ im Parteisinne beschreibt eine Person, die den Souverän (Euphemismus fürs Stimmvieh) für sich einnehmen kann und dabei absoluten Erfüllungsgehorsam gegenüber den Bossen, der Eigentümerklasse an den Tag legt.
Eine interessante Rolle fällt den Stiftungen zu. Sie sind generell eine populäre Lösung für Reiche und Superreiche, um der Gesellschaft, auf deren Kosten sie Millionen und Milliarden gescheffelt haben, faire Steuern und Abgaben vorzuenthalten, zugleich aber mit vermeintlicher Philanthropie Einfluss auf die Gesellschaft auszuüben. (Das ist einen gesonderten Beitrag wert.) Zusätzlich zu der staatlichen Parteienfinanzierung nutzen Parteien die Steuerbegünstigung der Stiftungen, die sie selbst gesetzlich verankert haben, für ihre Propaganda, um Parteiarbeit zu schulen und Nachwuchs zu entwickeln, damit ihr Geschäftsmodell auch zukünftig gewinnbringend perpetuiert wird. Gemeinnützigkeit dient als Feigenblatt für eine mehrfache „Kapitalbildung“ in eigener Sache.
DIE DIE TASCHEN VOLLMACHEN
„Die gesamte politische Klasse hat sich transformiert. Neben den Politikern und Verbandsvertretern, hat sich das Heer der Politik-Dienstleister eingereiht“, fährt Rose fort, „Lobbyisten jedweder Provenienz, Berater, Public-Relations-Experten, Anwälte, Wissenschaftler, Medienmanager und Journalisten. Diese neue politische Klasse ist ein Netzwerk von Menschen, die – ständig im Fluss – von einem Bereich in den anderen wechseln können. In dem aufgeblähten politischen Wirtschaftskreislauf kann man in allen Bereichen gleichermaßen gute Erträge erwirtschaften. Für viele Mitglieder der neuen politischen Klasse gibt es keine Barrikaden mehr, sondern nur noch verschiedene Profitcenter.“
Da haben wir ihn, den Regelkreislauf von Wirtschaft und Politik, von Interessendurchsetzung, individueller Vorteilsnahme und Machtsicherung. Alles zuvor Geschilderte ist legal. Die Gesetze sind von den mächtigen Lobbyisten und Beratern „abstimmungsfertig“ ausgestaltet, dass sie einen maximalen Nutzen im Sinne der Partikularinteressen gewährleisten. Das ist instituionalisierte Korruption.
LINK: LobbyControl. Wer sich vor nichts ekelt, kann sich hier die korrupte Scheiße in großer Detailfülle – Zahlen, Daten, Fakten, Player – reinziehen und auf die teuren Plätze reihern …
LINK: Ein aktuelles Beispiel für Lobbyvergehen ist das jüngste Heizungsgesetz …
Und falls etwas vor dem Verfassungsgericht landet, weil im Parteienoligopol Uneinigkeit herrscht, dann findet sich schon irgendwann eine passende Regelung für die Partikularinteressen. Selbst wenn’s ewig dauert. Beruhigend, was? Wie lautet die 1. Regel im Spielcasino? Die Bank gewinnt immer.
LESERQUIZ
Nachstehende harmlose Fragen würde kein Systemmedien-Fuzzi stellen, und selbst wenn, würde kein Regierungs-, Partei- oder Verbandssprecher sie ernsthaft beantworten.
Beantwortet sie euch selbst, Leute.
1) Welchen wirtschaftlichen Partikularinteressen dienten die Covid-19-Pandemiemaßnahmen Lockdowns und Impfungen? (Es geht nicht um ihre diskutablen gesundheitlichen Aspekte.)
2) Welche wirtschaftlichen Partikularinteressen profitieren von dem Ukrainekrieg?
3) Welche wirtschaftlichen Partikularinteressen sind die Nutznießer der Nordstream-Pipeline-Sprengung?
Für jede richtige Lösung gibt es 100 Ernüchterungspunkte auf der nach oben offenen Parlamentarismus-Skepsis-Skala.
Wer gerne dicke Bretter bohrt, darf im nächsten Schritt darüber nachdenken, in welcher Form die wirtschaftlichen Nutznießer Einfluss auf die jeweiligen Entscheidungen ausüben bzw. ausgeübt haben.
FAZIT
Wer zahlt, der bestimmt, und damit kann von wahrer Demokratie in der bei uns herrschenden Form des Parlamentarismus keine Rede sein. Doch muss die Illusion von Demokratie und Bürgerherrschaft gerade deshalb besonders aufrechterhalten werden, sonst droht der Politikverdrossenheit ganz bald das blanke Chaos zu folgen.
Merke: Vor nichts hat der brave Deutsche mehr Angst als Chaos. Der Staat erst recht. (Weshalb sonst wurden die Einsatzkommandos der Polizei zu wahren militärischen Spezialeinheiten hochgerüstet?)
Jetzt kommt wieder die ewige Leier (trotzdem wahr, Leute): Solange der eigene Wohlstand und die finanzielle Absicherung nicht gänzlich futsch sind, wird sich der von Verlustängsten um den Schlaf gebrachte Spießbürger mit den Zuständen irgendwie arrangieren. Es könnte ja alles noch viel schlimmer sein.
Keine Sorge, das wird es noch. Und was geschieht dann? Gemach, erst einmal kommt Teil 3.
TEIL 3 UND SCHLUSS: