Der Theaterstadel, der sich hierzulande Wahlkampf nennt, tourte die letzten sechs Wochen durch die hessische und bayrische Provinz. Morgen darf sich das nicht gänzlich angewiderte Publikum – offiziell Wahlberechtigte – zu den Urnen schleppen, um für die nächsten fünf Jahre über die Mannschaft des Narrenschiffs und seine Kapitän:innen abzustimmen. Angesichts der bestehenden Unterschiede zwischen den aussichtsreichsten Bewerbern und Parteien – es gibt keine Unterschiede, oder? – hat der zurückliegende „Wahlkampf“ einmal mehr die Sinnlosigkeit des Polittheaters bewiesen. Ist das gewollt? Ja? Muss das so sein? Natürlich nicht …
Die Geschichte (lt. Napoleon, Lügen, auf die sich die Sieger verständigt haben) will uns weismachen, dass Demokratie etwas ist, das nur selten und meistens gar nicht funktioniert, wenn man nicht besonders gut auf sie acht gibt. Wie sehr den hiesigen „demokratischen Machthabern“ (okay, das ist ein Widerspruch in sich) daran liegt, „gut acht zu geben“, beweisen die zunehmenden Aktivitäten ihrer „Selbstschutzapparate in Bund und Ländern“, die unser Zeitalter der grassierenden Cancel Culture (Zensur aus den Reihen der Rezipienten) für ihre Zwecke nutzen. Hmmm? Wer hat eigentliche Cancel Culture erfunden?
Das alles ist kein Wunder angesichts der allgemeinen Vertrauenstalfahrt, die ein Resultat des Systems ist.
POLITIK HAT EIN VERTRAUENSPROBLEM
War Politkverdrossenheit nicht einmal Wort des Jahres? Vor zehn Jahren, oder so? Zum Stand des Elends gibt’s Neuigkeiten. Das Edelman-Trustbarometer 2023 (Vertrauensbarometer) veröffentlichte jüngst aufschlussreiche Zahlen über die Befindlichkeit der Gemüter im Lande. Hier einige Schlaglichter:
PERSÖNLICHE ÄNGSTE
Arbeitsplatzverlust 80%
Inflation 69%
Klimawandel 73%
Atomkrieg 68%
Lebensmittelknappheit 62%
Energieknappheit 61%
VERTRAUEN in …
Regierung 47%
Unternehmen 50%
Medien 47%
NGOs 41%
Politiker 37%
Unternehmensführer 39%
Journalisten 47%
Alles nicht so dolle Werte. Edelmans Markforscher sprechen schon von einer möglichen Spaltung der deutschen Gesellschaft. Die Meinungen über die Lage divergieren je nach persönlicher Liquidität der Bürger:
REICHE geben auf der Skala 0 – 100 einen Vertrauenswert von 60 an, knapp positiv (50-59 ist neutral). ARME hingegen 42, also negativ.
Was Wunder, die Reichen profitieren, die Armen weniger bis gar nicht von den Verhältnissen.
LINK: Edelman Trust Barometer 2023 Deutschland (in englischer Sprache)
INTERESSIERT DAS EINEN PARLAMENTARIER?
Unterstellen wir, dass den Politikdarstellern aus den bürgerlichen Parteien diese oder ähnliche Erhebungen im Wesentlichen bekannt sind. Daraus ergibt sich die Frage, was sie dagegen zu tun gedenken. Ein objektiver Beobachter des Wahlkampfgekaspere kann nur zu einer Schlussfolgerung kommen: ganz wenig bis gar nichts. Zwar behauptet alle Kandidaten von sich und ihren Parteien, sie hätten die richtigen Rezepte, ein Blick auf die bourgeoisen Parteiprogramme, mehr noch ihre bisherige politische Arbeit belegen hingegen systemische Kontinuität. Sie wollen sich weiterhin durchlavieren. Es geht demnach in Wahrheit um die Verteilung des Machtkuchens, um persönliche Karrieren und Pfründe und um das Wohl der Parteien. Der Schwanz wedelt mit dem Hund.
Ergo sind das Hauen und Stechen im Wahlkampf, die Skandale und Krisen mehr oder weniger unterhaltsame Ablenkung, künstliche Aufreger in einer ansonsten völlig öden Reality-Soap, deren großes Finale Sonntag, den 08.10. ab 18:00 Uhr im TV zu verfolgen ist. Huch, wie spannend.
POLITIK ALS CHARISMA-WETTBEWERB
Parlamentarische Politik, wie unser System sie versteht, basiert auf der Attraktivität, auf dem Charisma der Kandidat:innen. (N.B. ist gendern nicht herrlich?) Je weniger die Parteien und ihre Programme sich voneinander unterscheiden, desto notwendiger sind die positiven Assoziationen, die ein Bewerber beim Stimmvieh auslöst. Vertrauen, Verlässlichkeit, Durchsetzungsstärke zählen allgemein als die wichtigsten Qualitäten.
Charisma gilt offiziell lediglich als Sahnehäubchen, nach dem Motto, es hilft, wenn man es besitzt. Dabei ist es die einzige Qualität, auf die Politiker wie Parteien und ihre Marketingstrategen setzen. Strahlkraft, deutsche Übersetzung, ist allerdings relativ.
Im Vergleich zu den Hollywood-Darstellern auf der anderen Seite des großen Teiches verfügen deutsche Politiker über wenig bis gar kein Charisma. Ein Umstand, der nicht ins Gewicht fällt, schließlich treten US-Strahlebacken hierzulande nicht an. Das charismatische Prinzip gilt trotzdem, auch bei einem Kandidatenfeld, dessen Ausstrahlung auf dem Niveau von vielwarzigen Erdkröten dümpelt, finden sich noch Unterschiede. Unsere Wahlen sind aufgrund ihrer Form – aufstachelnde Emotionen anstatt argumentative Debatten – zwangsläufig Popularitätswettbewerbe. Schon die geläufige Bezeichnung für Ministerpräsidenten als Landesfürsten weist unbewusst auf ein aristokratisches/feudales Verständnis des Amtes hin.
Besonderes Charisma, wenn man so will, besaß nur Bundeskanzler Willi Brandt, inbesondere 1972. Alle anderen deutschen Regierungschefs waren und sind mehr das Produkt von Angstmacherei (z. B. Keine Experiment – Konrad Adenauer) und Koalitionsgeschachere als einer überschäumenden Wählereuphorie. Zwei Beispiele:
Alt-Kanzlerbirne und Herr des Bimbes Helmut Kohl (Unfriede seiner Asche) zog 1983 mit der Parole in den Wahlkampf: Arbeit, Frieden, Zukunft – miteinander schaffen wir’s. Er besaß das Charisma eines Pfingsochsen (ähnlich wie Pistorius heute) und schaffte es dank einer korrupten, von den USA finanziell motivierten FDP ins Kanzleramt. (Vorgänger Schmidt wurde von der Reagan-Administration abgesägt, weil er mit den Russen ein Gas-Röhrengeschäft eingefädelt hatte.) Einmal im Kanzlerbungalow krallte Kohl sich dafür 16 Jahre bräsig an den Furzsessel.
Heute wird der tapsige, kriminelle (2-Millionen-Spendenaffäre, schon vergessen?) Alt-Kanzler der Einheit (Spitzname Birne) beinahe ins Mythische verklärt.
Der aktuelle Buka Scholz (Cum-Ex-Äffare, etwa kriminell und korrupt aus Tradition?) bewarb sich 2021 u.a. mit: Sichere Arbeit und Klimaschutz wählen – Scholz packt an, ums Kanzleramt. Bei ihm von Charisma zu sprechen, ist ebenfalls gewagt. Angesichts seiner Konkurrent:innen Laschet und Baerbock, deren Ausstrahlung „schwarzen Löchern“ gleicht, war er aber nicht das geringste Übel, sondern konnte sich nur mit einer Dreifarben-Koalition ins Amt warzen.
Eine interessanter Trend ist seit den 2000ern allerdings festzustellen: die Person steht im Zentrum. Wieder so ein Oxymoron: Personenkult und deutsche Politiker. Es geht also um Markenbildung, um Fandom, auf welcher Seite man steht, das schließt kritisches Denken aus. Politiker in diesem System sind Kunstprodukte mit der Zielsetzung der Machterlangung und des Machterhalts. Wie und womit dies erreicht wird, ist absolut nebensächlich. Hauptsache, es wird erreicht.
(N.B. Die Verlierer bemühen als Erklärung für ihre Niederlage immer die mangelhafte Vermittlung der politischen Ziele an die Wähler. Die Themen und die Kommunikation waren schuld, nie die mangelnde Strahlkraft. Denn das einzugestehen wäre politischer Selbstmord.)
Appellierten Kohls Strategen noch an einen latent vorhandenen Gemeinsinn, so waren sich Scholz‘ Wahlkampfdenker der großen Entfremdung und Unlust des Stimmviehs bewusst. Darum versuchten sie mit Scholz packt an, Vertrauen zu suggerieren: An Olaf könnt ihr die Verantwortung des Amtes beruhigt delegieren, hier ist der Mann, der eure Lasten freiwillig schultert. Egal um welches komplexe Thema es sich auch handelte, der Kandidat versprach, es anzupacken. Allein der Wille zählte, vielmehr das Signal, sich bemühen zu wollen.
Seit seiner Amtsübernahme beweist der Anpacker alles mögliche, insbesondere, dass er besser niemals Hand anlegen sollte. Seine Lieblingsstrategien lauten zwar Zaudern, Zögern und Aussitzen, Kohl und Merkel machten vor, wie’s geht (Scholz hat vom ausdauerndsten Sitzfleisch seiner acht Vorgänger gelernt), aber wenn der Olaf entscheidet, wird’s erst richtig grausam. (Stichworte Ukrainekrieg, Inflation, Heizungsgesetz etc.)
Das sieht der Meisenkaiser natürlich völlig anders. Er spricht weise: „Wer bei mir Führung bestellt, bekommt sie auch“, und versteht seine Idiotismen als klare Linien in chaotischen Zeiten.
Geht den Politikdarstellern dieser Bücklingsrepublik auch Charisma ab, so kennzeichnet sie alle die Begleiterscheinung der Strahlebacken: ein teflonbeschichtetes, hypertrophiertes Ego. Je dümmer die Poltiker:in, desto ausgeprägter die Eigenschaft (Stichwort: Bundesaußenamöbe).
Genau dieses Ego gilt es ihnen auszutreiben und die „Strahlkraft“ zum Teufel zu jagen – und zwar gründlich. Wie das funktioniert, schildern die nachfolgenden zwei Bespiele (Das Problem, ohne Ego bleibt von den Politikdarstellern nix übrig, schieben wir für den Moment zur Seite.) …
DEMUT ALS VORAUSSETZUNG FÜR POLITISCHE ÄMTER
Einen Gegenentwurf zur Ermittlung des politischem Führungspersonal via Charisma finden wir in Tlaxcala im Mexico des frühen 16. Jahrhunderts und ein paar hundert Jahre davor:
Diejenigen, die eine Rolle im Rat von Tlaxcala anstrebten, mussten weder persönliches Charisma noch die Fähigkeit, Konkurrenten auszustechen, unter Beweis stellen. Es wurde erwartet, dass sie sich in einem Geist der Selbstverleugnung, ja sogar der Scham bewarben. Sie waren gehalten, sich den Einwohnern der Stadt unterzuordnen. Um sicherzustellen, dass diese Unterordnung ernst gemeint und keine bloße Show war, wurde jeder von ihnen einer Prüfung unterzogen. Diese begann mit einer obligatorischen öffentlichen Beschimpfung, die als angemessene Belohnung für den Ehrgeiz angesehen wurde und das Ego des Kandidaten reichlich erschütterte. Darauf folgte eine lange Zeit der Abgeschiedenheit, in welcher der angehende Politiker die Qualen des Fastens, Schlafentzugs, Aderlasses und einer strengen moralischen Unterweisung erdulden musste. Die Initiation endete mit einer Präsentation des neu „geformten“ Volksdieners bei Festgelagen und Feierlichkeiten.
Die Übernahme eines Amtes in dieser indigenen Demokratie erforderte ganz andere Persönlichkeitsmerkmale als jene, die wir in der „modernen Politik“ und ihren Wahlkämpfen als selbstverständlich ansehen. In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass die griechischen Schriftsteller der Antike sich der Tendenz bewusst waren, dass Wahlen charismatische Führer mit tyrannischen Ambitionen hervorbringen konnten. Deshalb hielten sie Wahlen für eine „aristokratische Form der politischen Ernennung“, die den demokratischen Grundsätzen zuwiderlief, und gingen davon aus, dass die wirklich demokratische Form der Besetzung von Ämtern (…) ein Losverfahren war.
(Quelle: The Dawn of Everything, David Graeber und David Wengrow, 2021; deutscher Titel: Anfänge, Klett-Cotta Verlag, 2022; Übersetzung des Zitats aus dem Englischen und Hervorhebungen MiC)
Interessant ist festzustellen, dass die politischen Traditionen von Tlaxcala keine Anomalie waren, sondern sich immer wieder in den städtischen Entwicklungen auf der Welt seit 3000 v.C. finden lassen. Was beweist, auch komplexe, große Gesellschaften können anders organisiert werden, als die Historiker der Macht es uns glauben machen wollen. Ausgerechnet die sogenannten primitiven Kulturen machten es vor. Die europäische Arroganz, die wir täglich in Politik, Medien und Wissenschaft erleben, ist unerträglich. Anfänge ist ein Lesmuss für jeden historisch, archäologisch, anthropologisch und politisch Interessierten.
Es gibt noch ein weiteres handfestes Beispiel, die richtige Einstellung zum Amt zu vermitteln.
POLITIKERN MÄCHTIG EINHEIZEN
B. Traven schildert in seinem Roman Die Regierung eine interessante Spielart der vorgenannten Tradition, die wohl noch im vorrevolutionären Mexico im Chiapas betrieben wurde:
Um sowohl den Rechten und Eigenheiten jeder einzelnen der vier Sippen gerecht zu werden als auch die Einheit und Kraft der Federation zu wahren, beschlossen die Männer im Rat der Nation folgendes: Der Häuptling der Nation wird in jedem Jahr neu erwählt. Wer einmal Casique war, kann es nicht zum zweiten Male werden. Die Amtszeit dauert ein Jahr. In jedem Jahr hat ein anderer Barrio den Casique zu wählen. Nur Angehörige des Barrios, der in diesem Jahr den Casiquen zu stellen hat, dürfen wählen. Der amtierende Casique nimmt während seiner Amtszeit Wohnsitz im Zentralort der Föderation, wo ihm gutes Land zugewiesen wird, das er mit seiner Familie bebauen kann. Eine Vergütung für sein Amt erhält er nicht. Für Fehler in seiner Verwaltung ist er den Abgesandten aus allen vier Stämmen der Nation verantwortlich. Die Zeremonie der Amtseinsetzung des neuen Häuptlings ging in merkwürdiger Weise vor sich. (…)
Der neu gewählte Häuptling wird vor dem Portal des Cabildo von den bevorzugten Männern seines Stammes dem abtretenden Häuptling und dessen Räten vorgestellt. Mit dieser Vorstellung ist die Prüfung der Wahldokumente vollzogen. Der zurücktretende Häuptling hält eine Rede in indianischer Sprache, die in poetische Form gesetzt ist und die offenbar sehr alt sein mag. Der neue Häuptling antwortet darauf bescheiden und höflich. (…)
Nachdem unter vielen Zeremonien endlich der Amtsstab übergeben ist, wird ein Stuhl gebracht. Dieser Stuhl ist niedrig. Er ist aus bastartigem Holz gefertigt und erscheint wie Flechtwerk. Der Sitz jedoch ist ausgehöhlt, in der Größe des Gesäßes. Unter Lachen und fröhlichen Scherzen und derben Witzen der Männer, die in Mengen der Zeremonie beiwohnen, streift der neue Häuptling nun seine weißen Baumwollhosen halb herunter und setzt sich mit dem unbekleideten Gesäß in die Öffnung des Stuhles. Er trägt den Ebenholzstab mit dem silbernen Knopf, den Amtsstab, im rechten Arm, und er sitzt nun würdevoll auf dem Stuhl, das Gesicht allen Männern der Nation, die vor ihm stehen, zugekehrt. (…)
Aber nunmehr kommen drei Männer herbei, die zu dieser Feier von jenem Stamm hergeschickt wurden, der im folgenden Jahr den Casique zu wählen hat. Diese Männer tragen einen irdenen Topf, in dessen Seiten zahlreiche Zuglöcher eingebohrt sind. Der Topf ist mit glühenden Holzkohlen gefüllt, die infolge jener Zuglöcher tüchtig am Glühen bleiben. Mit einer gereimten Rede in indianischer Sprache erklärt der Mann, was der Zweck der Handlung sei, die er jetzt vornehme. (…)
Dieses Feuer unter dem Hintern des Häuptlings, der würdig auf seinem Amtssessel sitze, möge ihn daran erinnern, daß er nicht auf diesem Stuhle sitze, um sich auszuruhen, sondern um für das Volk zu arbeiten, er solle lebendig bleiben, selbst wenn er auf dem Amtssessel sitze; ferner solle er nicht vergessen, wer ihm das Feuer unter den Hintern gelegt habe. Es habe ihm der Stamm das Feuer untergelegt, der im nächsten Jahr den Häuptling stelle, und es sei geschehen, um ihn schon heute daran zu erinnern, daß er kein Kleber werden möge, daß er das Amt aufzugeben habe, sobald seine Zeit abgelaufen sei, um lebenslängliche Herrschaft und Diktatur, die dem Gedeihen eines Volkes schädlich sei, zu verhindern. Sollte er dennoch kleben bleiben wollen, dann würde man ihm ein Feuer unter den Hintern legen, groß genug und lange genug, daß weder von ihm noch von dem Sessel etwas übrig bleiben werde. (…)
Sobald der Topf mit den glühenden Holzkohlen untergestellt ist, werden gereimte Sprüche aufgesagt, von je einem Manne aus dem Stamme, dessen Erwählter jetzt zurücktritt, einem Manne aus dem Stamme, der im nächsten Jahre den Jefe erwählt, und einem Manne aus dem Stamme des neueingesetzten Casique. So lange diese Sprüche nicht beendet sind, darf sich der neue Häuptling von seinem Sitz nicht erheben.
Es hängt von seiner Beliebtheit oder Unbeliebtheit als Volksgenosse ab, ob die Männer, die jene Sprüche aufsagen, die Reime langsam und bedächtig heruntersingen oder mit einer solchen Eile, wie gerade noch zulässig ist, um nicht die Absicht ganz offen zu verraten. Wenn es dem Manne, der seinen Spruch zuletzt aufsagt, so erschienen ist, als hätten die beiden Männer, die vor ihm sprachen, zu schnell geredet, so kann er den angerichteten Schaden durch verdoppelte Langsamkeit in seiner Rede reichlich wieder wettmachen.
Der Häuptling, was immer er auch fühlen mag, wird durch keine Miene oder Geste offenbaren, wie nahe ihm die Hitze ist. Ganz im Gegenteil. Wenn die Sprüche alle aufgesagt sind, dann springt er nicht etwa gleich auf, erfreut darüber, daß die Anwärmung nun vorüber ist, sondern er bleibt noch eine gute Weile sitzen, um anzudeuten, daß er vor den Schmerzen, die ihm sein Amt vielleicht bereiten könne, nicht davonzulaufen gedenke. Oft genug macht er jetzt sogar noch Scherze. Und das steigert die Belustigung der Männer, die ihm zusehen und die so gierig darauf warten, daß er ein Zeichen von Unbehaglichkeit offenbaren möchte, um ihn auslachen zu können. Aber je lustiger seine Scherze sind und je länger er sitzen bleibt, um so mehr gewinnt er auch an Achtung und Vertrauen unter den Männern.
(Quelle: Die Regierung, B. Traven, Ausgabe Büchergilde Gutenberg Berlin, 1931)
FAZIT
Charismatiker sind Blender, denen es an Charakter mangelt (siehe Barack Obama und Bill Clinton, um hierzulande populäre US-Präsidenten als absolute Paradebeispiele zu nennen). Ihnen fehlen wesentliche Qualitäten für ein politisches Mandat wie moralische Integrität, auf Ausgleich bedacht, diplomatisch und zugleich durchsetzungsfähig zu sein sowie auf der Seite der Ärmsten und Schwächsten zu stehen.
Die Form unserer Wahlen laufen echter Demokratie zuwider. Über den Parlamentarismus und die Parteienoligarchie mehr im LINK ganz unten. An dieser Stelle die Kurzfassung:
Unser hiesiges politisches System, ja das des gesamten Westens befördert diejenigen, die sich der Parteienoligarchie verpflichten. Um sich in den Strukturen durchzusetzen, wird jede noch so idealistische Kandidat:in geschliffen. Am Ende bleiben nur die übrig, die genau den Anforderungen der Eigentümerklasse entsprechen, welcher die Parteien bekanntlich dienen.
Es obliegt dem Souverän (also uns, dem Pöbel, dem Stimmvieh usw.), die vorgenannten Beispiele zur Erziehung repräsentativer Amtsträger in dieser Bücklingsrepublik umzusetzen, damit der aufrechte Gang in Regierung und Parlamente zurückkehrt. Ein völlig aussichtsloses Unterfangen, aber immerhin lobenswert. Das System ist in Wahrheit nicht reformierbar.
(N.B. Vorgenannte charakterliche Qualitäten fand der Journalist Dirk Pohlmann vor allem bei einem westlichen Politiker des 20. Jahrhunderts: Bei Dag Hammarskjöld, dem schwedische UN-Vorsitzenden, der 1961 bei einem Flugzeugabsturz über dem Gebiet des heutigen Sambia ums Leben kam. Pohlmann geht davon aus, dass Hammarskjöld ermordet wurde, weil er versuchte, eine Friedenslösung für die rohstoffreiche Katanga-Region im Kongo zu vermitteln. Sein Engagement für den Kongo und andere junge, in die Unabhängigkeit entlassene afrikanische Staaten war mit den Wirtschaftsinteressen der ehemaligen Kolonialherren und den westlichen Konzernen unvereinbar. Inzwischen sind wieder offizielle Ermittlungen im Mordfall Hammarskjöld aufgenommen worden.)
LINK: Demokratie als Trugbild, über gelenkte Volksherrschaft …